Datum: 01. Oktober 2019

Geschäftsordnung für den 7. Sächsischen Landtag – Lippmann: Geschäftsordnung ist nicht der Weisheit letzter Schluss, aber ein Meilenstein auf dem Weg zur weiteren Stärkung unseres Parlamentarismus

Aussprache und Beschlussfassung zur Geschäftsordnung des 7. Sächsischen Landtags
1. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, 1. Oktober, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

Geschäftsordnungen sind mehr als ein bloßes komplexes Regelwerk für Parlamente. Die 119 Paragraphen und 8 Anlagen, die heute den Startschuss des parlamentarischen Arbeitens der 7. Legislaturperiode bilden sollen, sind politische Selbstvergewisserung des eigenen, dem Parlament innewohnenden, Anspruchs die erste Gewalt im Staate zu sein, einerseits und zugleich damit politischer Beleg über die Bedeutung des Parlamentarismus gegenüber der Öffentlichkeit andererseits.

So sehr sich in der Öffentlichkeit viele nicht für die Detailregelungen der Geschäftsordnung interessieren werden – das gilt ehrlicherweise ja auch für manch Abgeordneten – , so sehr wird der Sächsische Landtag umso stärker im Fokus – hoffentlich positiver Betrachtungen – stehen, wenn mit dieser Geschäftsordnung die weitere Grundlage für einen starken Parlamentarismus gelegt wird.

Für uns als BÜNDNISGRÜNE ist der Maßstab einer guten Geschäftsordnung nicht nur die Frage, ob sie praktikabel ist, sondern ob sie den Anspruch einer selbstbewussten ersten Gewalt im Staate untersetzt. Deshalb sind wir in die Geschäftsordnungsverhandlungen mit dem klaren Ziel gegangen, diesen Landtag transparenter zu machen, unser Parlament selbstbewusster aufzustellen und das hohe Haus vor allem wieder zu dem zentralen Ort der politischen Debatten in unserer Demokratie zu machen. Diesem Ziel sind wir mit der neuen Geschäftsordnung ein großes Stück näher gekommen.

Dies gilt gerade vor dem Hintergrund, dass es dem Wesen von Geschäftsordnungen inhärent ist, dass sie selten in die radikalen Maßnahmen sondern eher in kleinen Schritten fortentwickelt werden. Nicht ohne Grund beginnt der Standardkommentar zur Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages mit dem treffenden Feststellung, dass parlamentarische Verfahrensregeln einer stärkeren Beharrung unterlägen als Gesetze und ja selbst als die Verfassung.

Der vorliegenden Entwurf vereint die Prinzipien der moderaten pragmatischen Weiterentwicklung der Geschäftsordnung mit dem Ziel auch große Lösungen nicht zu scheuen und auch im Freistaat Sachsen neue Wege zu gehen, wenn es darum geht, uns alle, die Fraktionen, die Abgeordneten, dieses Parlament, als solches zu stärken.

Die Weiterentwicklung der Staatsregierungsbefragung ist Herzstück einer neuen parlamentarischen Auseinandersetzung. Wir haben uns entschieden das 2014 eingeführte Instrument, dass in den letzten Jahren sein Dasein weniger als parlamentarischer Gassenhauer, sondern eher als inoffizielle Mittagspause fristete, nicht etwa einen leisen Tod sterben zu lassen, sondern es zu einen starken Kontrollelement weiterzuentwickeln. Zukünftig kann jeder Staatsminister und jede Staatsministerin für den gesamten Zuständigkeitsbereich befragt werden und mindestens einmal im Jahr gilt diese auch für den Ministerpräsident. Das ist eine wesentliche Stärkung des Landtages gegenüber der Staatsregierung, aber auch ein neuer Anspruch des Parlamentes an sich selbst. Denn: Eine starke Staatsregierung muss sich nicht davor fürchten von einem selbstbewussten Parlament in die Zange genommen zu werden, noch weniger aber von einem schläfrigen und lustlosen Parlament. Ob hier am Ende ein Hauch von Westminster – gleichwohl bitte nur in Bezug auf das Selbstbewusstsein des Parlamentes – wehen wird, liegt somit schlussendlich in der Hand von uns allen. Ich bin zuversichtlich, dass dies gelingen kann und wir Vorbild für andere Bundesländer werden.

Mit dieser Geschäftsordnung, werte Kolleginnen und Kollegen, wird der Sächsische Landtag auch ein Stück weit transparenter werden. Das gilt im Kleinen bei der Veröffentlichung von Protokollen der Untersuchungsausschüsse und gilt auch im Großen wenn es um die teilweise Öffnung der Ausschüsse für die Öffentlichkeit geht. Ich will nicht verhehlen, dass wir hier nach wie vor eine viel grundsätzlichere Auffassung haben, als in dieser Geschäftsordnung niedergelegt, aber genau dies ist ein Punkt parlamentarischer Weiterentwicklung entlang pragmatischer und grundsätzlicher Linien zugleich. Wir schaffen den Einstieg in die Öffentlichkeit der Ausschüsse, indem wir zukünftig zumindest für jene Teile des parlamentarischen Geschäfts die Ausschüsse öffnen, welche nicht im Plenum beraten werden. Dies gibt die Möglichkeit im Ausschuss eine Bühne zu nutzen, entlastet gleichzeitig das Plenum und stärkt dieses als den Ort entscheidender politischen Debatten.

Dazu passt auch, dass wir die Aktuellen Debatten in diesem Hohen Haus weiter stärken. Die größte Aufgabe des Landtages als erste Gewalt ist die Gesetzgebung, zweifelsohne auch die Kontrolle der Staatsregierung, aber eben auch das sichtbare Ringen um die aktuellen politischen Fragen in Sachsen. Um dies zu stärken, wollen wir auch die Tagesordnung des Landtages zukünftig gemeinsam flexibler gestalten. In der Vergangenheit ist mitunter der Eindruck entstanden, dass diese – überspitzt formuliert – nicht so alt ist, wie die Zeitung von gestern und die Parlamentsdebatten von vorgestern. An uns liegt es jetzt das Gegenteil zu beweisen, die Leidenschaft der politischen Auseinandersetzung zu leben und deutlich zu machen, dass es unser Anspruch ist, dass der Landtag – trotz vieler anderer Foren der politischen Auseinandersetzung – der zentrale politische Ort im Freistaat ist. Das ist für uns auch Ausdruck einer gestärkten politischen Kultur in Sachsen.

Eine neue politische Kultur in diesem Haus setzen wir auch damit um, dass zukünftig diejenigen, die wir als Landtag dazu beauftragt haben, Kontrolle auszuüben, in diesem Hohen Hause auch darüber berichten können. Das heißt, dass wir nicht nur über den Datenschutzbeauftragten und den Rechnungshofpräsidenten und ihre Berichte im Plenum diskutieren, sondern wir uns auch hier gemeinsam anhören können, ja müssen, was sie zu sagen habe. Das wird nicht immer leicht sein, aber zeugt von einem starken Selbstbewusstsein im Umgang mit Kritik.

Werte Kolleginnen und Kollegen,

nicht immer haben wir BÜNDNISGRÜNE uns in diesen Verhandlungen mit unseren teils sehr grundsätzlichen Auffassungen zu 100% durchsetzen können. Mitunter geistert der ein oder andere Untote langjähriger parlamentarischer Praxis, getarnt als heilige Kuh durch die Sphäre der Geschäftsordnungen nicht nur dieses Parlament. Sicherlich kann man weiter Grundsatzdebatten, beispielsweise über das Sitzzuteilungsverfahren führen. Allerdings scheint es mir derzeit wichtiger, als sich im beharrlichen Kampf gegen parlamentsrechtliche Zombies zu verheddern, andere Wege zu gehen, die für die Fraktionen schlussendlich mehr bringen. Deshalb bin ich froh, dass wir zukünftig auch kleineren Fraktionen die Möglichkeit geben, in nahezu allen Gremien und Ausschüssen vertreten zu sein. Das stärkt diesen Landtag als Gesamtes und wahrt zugleich die Minderheitenrechte.

Nicht zuletzt war es für uns auch Ausdruck einer gestärkten parlamentarischen Kultur, nicht nur den dritten Landtagsvizepräsidenten zur Verbesserung der Arbeitsfähigkeit des Landtages wieder einzuführen, sondern auch klar zu machen, dass dieser dann auch der drittgrößten Fraktion in diesem Hause zusteht. Auch das ist ein Zeichen gelebter parlamentarischer Kultur!

Zuletzt möchte ich unsere Freude über eine Änderung nicht verhehlen, die eigentlich peinlich ist. Mit dieser Geschäftsordnungsnovelle wird endlich auch die sprachliche Gleichstellung von Frau und Mann im Parlamentsrecht vollzogen und Frauen und Männer gleichberechtigt benannt. Dass man dafür bis ins Jahr 2019 brauchte, gehört sicherlich nicht zu den Ruhmesblättern sächsischer Parlamentstradition – aber besser spät, als nie. In diesem Hohen Haus gibt es eine Vielzahl selbstbewusster Parlamentarierinnen und deshalb ist es eine Selbstverständlichkeit dies auch in der Geschäftsordnung deutlich zu machen. Gerade in Zeiten, wo der Frauenanteil des Landtages leider nochmal deutlich gesunken ist.

Wenn ich sehe, wo wir in der vorletzten Wahlperiode mit der Geschäftsordnung des Sächsischen Landtages standen und was wir heute vorlegen, dann kann ich unumwunden sagen, dass wir den Landtag – gerade auch in schwierigen Zeiten – die Instrumente an die Hand geben, selbstbewusst seiner Rolle nachzukommen. Auch diese Geschäftsordnung wird nicht der Weisheit letzter Schluss sein, aber sie ist ein Meilenstein auf dem Weg zur weiteren Stärkung unseres Parlamentarismus.  

Es liegt nun an uns, dieses Werk, das ohne das Wirken des Selbstbewusstseins des einzelnen Abgeordneten bloßes Papier bleiben wird, mit einer Kraft von Debatte und Auseinandersetzung mit Leben zu erfüllen. Das heißt auch, nicht hinzunehmen, wenn unsere parlamentarische Demokratie – egal ob in diesem Rund oder anderswo – verächtlich gemacht wird oder angegriffen wird. Diese klare Haltung steht in keiner Geschäftsordnung, aber auch sie ist unverbrüchlicher Ausdruck eines selbstbewussten Parlamentes. Eine Haltung, die es gerade in diesen Zeiten einmal mehr braucht.

Vielen Dank.