Gesetzentwurf für innerparteiliche Demokratie − Lippmann: Gesetzentwurf schafft mehr Probleme als es ohne Gesetzesänderung gäbe

Redebausteine des Abgeordneten Valentin Lippmann zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion:
"Gesetz zur Stärkung des subjektiven Rechtsschutzes und der innerparteilichen Demokratie bei Wahlen zum Sächsischen Landtag" (Drs 6/11223)
77. Sitzung des Sächsischen Landtags, Mittwoch, 5. September, TOP 5

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
seit unsere Vorfahren auf die gewagte Idee kamen, mittels Wahlen Entscheidungen herbeizuführen, sind Wahlrechtsfragen stets Machtfragen. Über die Frage, wer wählen darf, entstanden über Jahrhunderte hinweg Revolutionen. Die Überlegungen, wie gewählt wird, prägten zuletzt die Diskussionen um das Grundgesetz und die Erwägung, wie logisch ein Wahlrecht zu sein hat, erörterte zuletzt das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zu negativen Stimmgewicht.
Es ist daher sinnvoll, ja gar notwendig, das Wahlrecht regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen. Insbesondere dann, wenn sich eine neue nachzuzeichnende Rechtsprechung ergeben hat. Dies versucht der Gesetzentwurf der LINKEN.

Im Wesentlichen drehen wir uns hier um zwei große Fragen:

  1. Ist unser Wahlprüfungsrecht reformbedürftig? und
  2. Wie anwendungsfreundlich und verständlich muss Wahlrecht eigentlich sein?

Die erste Frage müsste man eigentlich sehr viel grundsätzlicher stellen. Das deutsche Wahlprüfungsrecht krankt auf allen Ebenen am entscheidenden Webfehler, dass es zunächst das gewählte Gesetzgebungsorgan selbst ist, das über die Gültigkeit seiner eigenen Wahl und in der Regel erst im Nachgang der Wahl entscheidet. Zwar will ich hier nicht den falschen und überdies arg strapazierten Vergleich von Bock und Gärtner bemühen, allerdings entstehen naturgemäß Dysfunktionalitäten, denn die Hemmung ist groß, einen Wahlfehler festzustellen, wenn daran das eigene Dasein als Abgeordneter hängt.

Auch wenn ich der Überzeugung bin, dass wir eigentlich über einen Paradigmenwechsel reden müssen, beispielsweise die Landtagswahlprüfung durch eigenständige Wahlprüfungsgerichte zu ersetzen und den Rechtsschutz bereits im Vorfeld für Zulassungsfragen zu ermöglichen, setzt der Gesetzentwurf der LINKEN hier an einem wichtigen Punkt an.

Durch die Möglichkeit der Feststellung der subjektiven Wahlrechtsverletzung dürfte die Hemmung sinken, zumindest kleinere Fehler auch als solche zu benennen. Sachsen ist gut beraten sich dieser bundesweiten Entwicklung im Wahlrecht anzuschließen. In dem Punkt unterstützen wir den Vorschlag der LINKEN.

Ein hehres Ziel ist auch, das Wahlrecht anwendungsfreundlich zu gestalten und möglichst viel klar im Gesetz selbst zu regeln. Seit jeher gangiert das Wahlrecht daher zwischen dem Anspruch für die Wählerinnen und Wähler – immerhin der Souverän – verständlich und gleichzeitig möglichst bis ins letzte Detail rechtssicher ausgestaltet zu sein. Das diesbezügliche Highlight hat der Bundesgesetzgeber in der Sitzzuteilungsvorschrift des § 6 Bundeswahlgesetzes kreiert. Dass die Wählerinnen und Wähler hieraus ableiten können, welche Konsequenz ihre Stimmabgabe hat, ist indes illusorisch.

Nach der Entscheidung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofes in der causa Samtleben ist es somit bereits aus Gründen der Verständlichkeit angezeigt das Wahlrecht anzupassen und klarzustellen, was Vertrauenspersonen eben nicht dürfen!
Leider schafft jetzt der Gesetzentwurf der LINKEN in dieser Frage mehr Probleme als es ohne Gesetzesänderung gibt. Denn er leidet unter einer beachtenswerten Unlogik sowohl in der grundsätzlichen Überlegung, wie Rücknahmen von Wahlvorschlägen möglich sind, als auch in der verwendeten Terminologie.
Aufgrund der Änderungen im § 27 muss zukünftig eine >>Aufstellungsversammlung zum Zwecke der Rücknahme eines Wahlvorschlages<< geladen werden. Fernab der Frage, ob eine auf eine ersatzlose Rücknahme gerichtete Aufstellungsversammlung sui generis möglich ist, schafft man für die Anwender nur vollkommene Konfusion.

Mit ihrem Änderungsantrag konterkarieren Sie zudem ihre eigene Logik, dass die Nichtteilnahme am politischen Wettbewerb eines Beschlusses des Kreationsorgans braucht. Denn Sie nehmen die Änderung der § 23 zurück und ändern nur noch den § 27. Demnach kann dann zukünftig der im Falle der erfolgreichen Wahl mandatsgenerierende Kreiswahlvorschlag weiterhin durch Erklärung der Vertrauenspersonen zurückgenommen werden, die mandatsgenerierende Liste nur durch Beschluss des Kreationsorgans. Dies dürfte schon aus den Grundsätzen der Wahlgleichheit schlicht verfassungswidrig sein.

Deshalb können wir dem Gesetzentwurf nicht zustimmen.

Vielen Dank.