Antje Hermenau: Was gedenkt die Staatsregierung für die Region Leipzig zu tun? Keine Antwort!

Redeauszüge der Fraktionsvorsitzenden Antje Hermenau zur Regierungserklärung zum Thema: "EU-Haushalt ab 2014 sichert Sachsen weiter gute Perspektiven", 71. Sitzung des Sächsischen Landtages, 13. März 2013, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

ich möchte unter drei Aspekten auf Ihre Regierungserklärung eingehen. Der erste Aspekt ist die Frage der Demokratie, der zweite die der Finanzen und der dritte, was Europa eigentlich bedeuten soll.

Ich fange — das wird Sie nicht überraschen — mit der Demokratie an. Ich halte diese Regierungserklärung in der Tat für verfrüht. Ich finde, es ist ein Affront gegenüber dem heute entscheidenden Europäischen Parlament, dem Sie selbst einmal angehört haben, hier heute so zu tun, als wäre bereits alles in trockenen Tüchern, weil Regierungsleute es beschlossen haben.

Es bleibt ein bisschen Ihr Geheimnis, warum es nötig ist, warum diese Regierungserklärung nötig ist. Sachsen sitzt nicht am Verhandlungstisch – das haben Sie auch erwähnt –  und es ist sicherlich richtig, das Parlament zu informieren.
Das haben wir 2009 auch vor dem Verfassungsgericht eingeklagt, dass das in Zukunft so läuft. Aber Sie plaudern fröhlich von Ihren Erfahrungen als Abgeordneter, und dann bezichtigen Sie das Europäische Parlament im selben Atemzug und im selben Absatz der Schwerfälligkeit, weil es sich mehr als drei Tage Zeit nehmen möchte, um über ein milliardenschweres Budget zu entscheiden.

Ihre Zeit im Europäischen Parlament liegt offenbar lange zurück, Herr Tillich, denn es ist ja eine Folge des Lissabon-Beschlusses der letzten Dekade, dass das Europäische Parlament Mitentscheidungsbefugnisse hat. Dass es davon heute Gebrauch macht, macht mich stolz.

Ich will einmal einige Zitate bringen und dieses Mal nicht von Sozialisten, Sozialdemokraten oder GRÜNEN, sondern von Leuten, die Ihnen vertrauter sind. Ich zitiere den CSU-Europaabgeordneten Markus Ferber: „Der Rat muss natürlich lernen, dass die Zeit der Alleinherrschaft vorbei ist, und wenn Sie es jetzt noch nicht kapiert haben, dann werden Sie es in den nächsten Monaten bei den
Haushaltsverhandlungen sehr deutlich lernen.“ Da kann man sich etwas für Sachsen ableiten.

Bei den Liberalen ist es der von mir durchaus geschätzte Abg. Graf Lambsdorff: „Die Europäische Union ist schuldenfrei. Nach unserer Auffassung muss sie auch schuldenfrei bleiben.“

Da bin ich natürlich bei der Frage, was diese ganze Aufplusterei soll. Kommt jetzt nach der größten DDR der Welt das größte Sachsen der Welt, zumindest in Europa? Das sind herrschaftliche Attitüden, und diese spiegeln sich übrigens auch, meine Damen und Herren von der Koalition, so in Ihrem Entschließungsantrag wider.
Das muss ich einmal so deutlich sagen. Ich finde den peinlich und alle, die ihn lesen werden, sehr wahrscheinlich auch. Offensichtlich ist das heute hier nur die Aktion „Rettet den Bundestagswahlkampf!“ Diesen Eindruck muss man gewinnen.

Dass das Europäische Parlament zu Recht diskutiert, ein Verfallsdatum festzulegen und nicht gleich für sechs Jahre alles zu beschließen, hat eine Parallele zu dem, was wir hier im Herbst diskutiert haben, nämlich nicht Doppelhaushalte zu machen, weil die Zeiten unberechenbar werden und man viel Flexibilität braucht, sondern sich immer nur Schritt für Schritt voranzubewegen, was weise und klug wäre. Sie wollen aber Ihre Politik zementieren, wenn es geht, auf sechs Jahre, und das in ganz
Europa.

Die mangelnde Transparenz wird zu Recht eingeklagt. Natürlich ist das Europäische Parlament strikt dagegen, dass ein Haushalt ein strukturelles Defizit führt. Natürlich ist es richtig, dass sie Verhandlungswillen dokumentieren. Übrigens, Herr Herbst, geht es wirklich nicht darum, dass gegen etwas abgestimmt bzw. verhindert werden soll, sondern es geht um Verhandlungen. Dass die Exekutive und Legislative einmal anfangen, miteinander bei diesen Fragen zu verhandeln, ist doch nur legitim. Im Gegenteil, es ist doch der Auftrag des Parlamentes.

Ich hätte mir heute von Ihnen ein paar Ausführungen zum Thema Eigenmittelsituation gewünscht. Das heißt, dass die europäische Ebene in Zukunft auch eigene Mittel anschaffen kann und nicht immer auf diese Nettozahlenbatte angewiesen ist. Sie sehen doch selbst, was die Abgeordneten der
NPD aus dieser Debatte machen. Sie versuchen, so zu tun, als würde Deutschland ganz Europa aushalten und bezahlen.

Aus ostdeutscher und sächsischer Sicht muss man aber sagen, dass wir überproportional profitieren. Ohne Europa wäre in der Tat hier vieles nicht geworden. Bestandteil des Solidarpaktes II sind die Mittel der Europäischen Union. Diese haben uns geholfen, und sie werden uns weiter helfen.

Sie haben die Vermutung geäußert, die Debatte im Parlament werde lange dauern und man hätte nicht so viel Zeit und könne sich das nicht leisten. Ich will hoffen, dass die Debatte dauert, weil es ja um Grundsätzliches geht. Genau das ist die Frage.
Regierungsaktionismus auf der einen Seite und ein 6-Jahres-Budget der Europäischen Union auf der anderen Seite sind in der Tat zwei verschiedene Sachen, und das muss ein Parlament grundsätzlich diskutieren.

Ich habe mich – um auch einmal etwas Positives zu sagen – gefreut, dass Sie entgegen Ihrer vorgeplanten Rede einen gesprochenen Einschub gemacht haben, als Sie darauf zu sprechen kamen – ich zitiere erst einmal das Geschriebene: „Wir werden die Gespräche mit allen Partnern aus der Wirtschaft, dem Sozialwesen, der kommunalen Ebene suchen …“ – jetzt kommt der Einschub, der mich überrascht hat: „… und auch bald zu Ihnen ins Parlament kommen und mit Ihnen alles diskutieren.“
Sehr gut, erster Schritt nach vorn! Ich bin dankbar. Das ist in Ordnung.

Wir hatten ja unsere Probleme, wenn es um die operationeIIen Programme ging. Die Kommission hat immer Nachbesserungen in der laufenden Förderperiode gefordert. Sie wissen das, sie hat Sie ja in Bayreuth gezwungen, Nachbesserungen zu machen und aus den Straßenbaumitteln umzuschichten. Sie haben davon angefangen zu sprechen, es könnte weniger Beton sein. Ich habe in Brüssel gehört, es sei immer noch viel zu viel Beton, auch in der neuen geplanten Förderperiode, und das pfeifen dort offensichtlich zentnerschwere Spatzen von den Dächern.

Ein kleiner Ausflug zum Krötentunnel – das muss ja heute sein – der ist die direkte Konsequenz zum Thema des überzogenen Straßenbaus.

Operationelle Programme Sachsens – hierzu ist jetzt einiges in das Pflichtenheft geschrieben worden, wie der Fördermitteleinsatz sein soll. Auf diese Debatte freuen wir uns hier im Parlament in der Tat. Da geht es darum, die Schulabbrecherquote zu senken. Die EU möchte, dass Sachsen das leistet. Da geht es darum, Fachkräftemangel und Armut zu bekämpfen und die Integration von Migranten auf dem Arbeitsmarkt zu fördern. Da geht es auch darum, die Lohnungleichheit von
Frauen auszugleichen. Prima, das ist eine sinnvolle Debatte, auf die warte ich und die hätte ich gerne, und das können wir hier auch diskutieren.

Kommen wir zur ersten Nebelkerze. Warum tat es not, Herr Ministerpräsident, so zu tun, als würden die Mittel für Forschung und Entwicklung angehoben werden, obwohl das nicht stimmt? Es ist schon interessant, wie Sie die Bezugsbasis in Ihrer Rede ausgewählt haben. Vielleicht war es auch Ihr Redenschreiber, das weiß ich nicht. Vielleicht hatte er den Auftrag zu besonders positiver Kommunikation. Das gibt es ja alles. Aber bezogen auf den Kommissionsvorschlag, den die Kommission selber eingebracht hat, sind die Mittel für Forschung und Entwicklung um 12 Prozent abgesenkt worden. Bezogen auf die letzte Förderperiode, so wie Sie es aufgeschrieben haben, kann man natürlich behaupten, es gäbe mehr Geld. Aber die Aufgaben in dem Bereich sind ja gestiegen, denn die lnnovationsfähigkeit der europäischen und auch der sächsischen Wirtschaft wird deutlich wichtiger sein als zum Beispiel die Stabilisierung der Agrarsubventionen, die etwas zementiert, was wir vielleicht auch aus agrarpolitischer Sicht nicht für sinnvoll halten können, und zwar mehr Parteien als nur Bündnis 90/DIE GRÜNEN.

Ich stelle fest, dass dieser Haushaltsentwurf nicht gedeckt ist. Der finanzpolitische Aspekt ist nicht gedeckt. Die Einnahmen und die Ausgaben stehen nicht im Einklang.
Mit so einem Haushaltsentwurf hätten Sie hier als Ministerpräsident im Parlament gar nicht antanzen können. Da nimmt es einen schon wunder, dass Sie diesen nun loben. Vielleicht ist das die Solidarität von der einen Regierung zur anderen, auch wenn da unterschiedliche Maximen des Handelns gelten, obwohl in der Regel ein Ja ja sein sollte und ein Nein nein sein sollte. Aber was ist denn nun mit der soliden Haushaltspolitik? Gilt diese Maxime nicht in der EU? Gilt sie nur in Sachsen? Ist das hier eine regionale Petitesse?

Ich habe wirklich gedacht, Sie würden sich bei der Eigenmittelförderung dafür einsetzen, dass die Europäische Union sich selber zunehmend finanzieren kann, und dafür, dass sie auch das Gewicht bekommt, das sie an Bedeutung für uns hier alle hat.

Natürlich geht es bei der Frage des effizienten Mitteleinsatzes, des Bürokratieabbaus oder, wie es in Brüssel genannt wird, des better spendings darum, dass es einen Konflikt zwischen zu wenig Geld oder wenig Geld und der Sinnhaftigkeit der Ausgaben gibt. Aber das ist dieselbe Debatte, die wir hier in Sachsen auch führen.
Better spending, also das bessere Ausgeben des Geldes, könnte sich ja auf Effizienz und klare Fördermitteldirektiven und -vorgaben beziehen. Es müsste nicht unbedingt bedeuten, dass man pauschale Kürzungen vornimmt. Aber so wird es ja nicht diskutiert.

Sehen Sie einmal das Problem der Regionalbudgets. Die Staatsregierung Sachsens weigert sich, den Kommunen die Regionalbudgets zu geben. Die Kommunen könnten dann selbst entscheiden. Von der Kommission ist das ausdrücklich gewünscht, und von der Staatsregierung wird das gemieden wie das Weihwasser vom Teufel. Sie wollen alles bestimmen und ihre vermeintliche Macht nicht teilen.

Das zweite Beispiel. Etwas grundsätzlicher ist natürlich, dass auf der einen Seite aus Sachsen immer scharfe Töne gehört werden, dass man für sich selber eine hohe Flexibilität bei den Ausgaben einfordert, dass man selbst bestimmen möchte, wofür man das Brüsseler Geld ausgibt. Aber anderen in Europa wollen Sie bis zur Größe des Toilettenschildes vorschreiben, wofür und wie das Geld aus Brüssel auszugeben ist.

Das ist eine grundsätzliche Haltung. Sie haben auf Überregulierung abgehoben.
Dazu kann ich nur sagen: Fassen Sie sich an die eigene Nase. Der Verwaltungsaufwand der SAB hat auch etwas damit zu tun, wie hier in Sachsen die Kontrollvorschriften gehandhabt werden.

Überkorrekt ist auch überreguliert — auch eine Variante davon. Darüber müsste man einmal nachdenken, denn meiner Meinung nach hat sich hier in Sachsen eine gewisse Musterschülerangst etabliert. Das ist eine sehr sächsische Ausprägung der German Angst; aber lassen wir das stehen.

Eigentlich diente dieses Budget, das diese Regierungen zusammengetragen haben, zwei Gründen: Das eine war, sie wollten die britische Regierung stützen – das kann ich sogar politisch nachvollziehen, aber nicht mehr ökonomisch – und sie wollten Frau Merkel über die Ziellinie der Bundestagswahl hinwegbringen mit ihrer Politik; denn dass es jetzt immer enger wird, merkt man ja.

Das Vereinigte Königreich ist inzwischen – wie man das dort selbst nennt – in einer triple dipression. Man könnte sagen, es ist eine anhaltende Depression. Diese nationalen Egoismen führen nun dazu, dass wir hier solche Budgets vorgelegt bekommen und dass Sie uns als Parlament auffordern, unseren Kollegen im Europäischen Parlament in den Rücken zu fallen. Das ist eine Frechheit.

Die zweite Nebelkerze, die Sie geworfen haben: Sie haben den Prozentsatz der Förderung für Leipzig nicht erwähnt; Sie haben sich auf eine absolute Zahl zurückgezogen, nämlich die 200 Millionen Euro in sechs Jahren. Wenn Sie es einmal in Prozenten ausdrücken, dann erhalten die Regionen Dresden und Chemnitz in der nächsten Förderperiode 72 Prozent.

Die Leipziger Region erhält 44 Prozent. Die Regionen Dresden und Chemnitz werden erheblich stärkere Fördermittel bekommen als die Region Leipzig. Jetzt ist die Frage, die im Raum steht und die ich an Sie stelle – meinetwegen auch gern als Ministerpräsident, Herr Tillich – : Was gedenken Sie denn zu tun, um das auszugleichen? Ist Ihnen das wurst? Sind Sie der Auffassung, dass es dabei bleiben muss, dass die Region Leipzig weniger gefördert wird –  egal, welche Zahlen Sie zugrunde legen und welche ich zugrunde lege – als die Regionen Dresden und Chemnitz? Haben Sie nicht auch deswegen immer so sparsam in Sachsen gewirtschaftet, damit man eigenes Geld hat, um damit auch Aufgaben zu erfüllen? Und wäre hier nicht eine solche Aufgabe in den nächsten sechs Jahren für die Region Leipzig zu identifizieren?

Davon habe ich kein Wort gehört, nichts! Sie haben darüber keine Vorstellungen, Sie haben einen Doppelhaushalt, der auch das Jahr 2014 umfasst.

Die lnnovationsfähigkeit im Freistaat Sachsen ist wichtiger für unsere Eigenständigkeit als die Pauschalzuschüsse in der Agrarstruktur, und wenn Sie versuchen, Sachsen zum letzten Ort in Europa auszubauen, der das neoliberale Erbe retten soll, das nicht mehr zu retten ist, dann finde ich das sehr bedauerlich.
Außerdem ist es leider auch so, dass es die europäische Idee konterkariert.

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