Dr. Karl-Heinz Gerstenberg: Kulturelle Bildung ist auch Bildung – die Akteure im Land besser einbeziehen

Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Gerstenberg zur Großen Anfrage "Kulturelle Bildung im Freistaat Sachsen" und der Antwort der Staatsregierung (Drs. 5/11356), 85. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Oktober 2013, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren, sehr geehrter Herr Präsident,
bisweilen, so auch heute, entsteht ein recht harmonisches Bild der sächsischen Politik beim Thema kulturelle Bildung: Kulturelle Bildung ist als wichtiges Bildungsziel anerkannt, wir alle wissen mehr oder weniger was kulturelle Bildung ist und wollen diese fördern und ausbauen. Und es ist dann scheinbar nur noch die Frage zu klären, ob im Staatshaushalt genügend Gelder für diesen Zweck eingesetzt werden können.
Die Große Anfrage gibt uns nun Anlass, etwas genauer hinzuschauen und dabei zeigt sich: Allzu vieles liegt noch im Unklaren. Wie weit kann und wie weit soll kulturelle Bildung tatsächlich reichen: Wollen wir kulturelle Bildung für alle oder nur für die, die von selbst ein Interesse mitbringen? Wie soll kulturelle Bildung in Sachsen organisiert werden? Wie effektiv sind die gegenwärtigen Strukturen? Wir müssen uns darüber klar werden, dass hier Welten aufeinanderprallen: die Welt der Schule und die Welt der Kultur. Welten, die unglaublich produktiv sein können, wenn sie zusammenarbeiten, ja: wenn! Und es bleibt die Frage: Übernimmt die Staatsregierung dafür ihre Verantwortung?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind auf dem Weg, aber wir haben noch ein gehöriges Wegstück vor uns. Zunächst gilt auch mein Dank den Fragestellern. Ihre Initiative ist wichtig, sie zeugt von ihrem Interesse an Kultureller Bildung. Und ich fände es gut, wenn sie nun auch bereit wären, Anregungen aus der Debatte aufzunehmen.
Mit der Antwort der Kultusministerin hingegen können wir nicht zufrieden sein. Frau Kurth, Sie verkaufen uns das bisher Erreichte allzu oft als das maximal Erreichbare. Den Handlungsbedarf schieben Sie dann den anderen zu. Wir erhalten zwar einen gewissen Überblick über die Akteure und Angebote kultureller Bildung in Sachsen. Aber über diese Aufzählung hinaus erfahren wir recht wenig über Qualität und Nachhaltigkeit der Angebote. Dazu gibt es auch viel zu wenige Daten. Für uns ist es daher wichtig, diese Antworten mit den Erfahrungen der Menschen abzugleichen, die kulturelle Bildung in Sachsen betreiben.
Frau Staatsministerin Kurth, es wäre trotz der begrenzten Zeit für die Beantwortung notwendig gewesen, die Verbände und die Kulturräume einzubeziehen und sich mit ihren Problemlagen auseinanderzusetzen.  Diese hatten offensichtlich keine Gelegenheit, sich zu beteiligen. Ob es nun am Zeitdruck oder doch an Ihren Scheuklappen liegt, für das Ergebnis ist das schlecht. So hätten Sie wenigsten sicherstellen können, dass  ein zentraler Bereich wie die Soziokultur nicht als Randbemerkung unter "weitere Einrichtungen" auftaucht, wohlgemerkt nach den Justizvollzugsanstalten.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, die Grundprobleme liegen woanders. Die Vielfalt und Vielzahl an Angeboten und Trägern macht die Frage nicht überflüssig, wo wir bei der Reichweite kultureller Bildung in Sachsen stehen. Ich meine die Abdeckung des ländlichen Raums ebenso wie das Erreichen von Kindern und Jugendlichen mit verschiedenen sozialen und Bildungshintergründen.
Eines dürfte unstrittig sein: Einen Zugang zur kulturellen Bildung für alle schaffen wir nur über die Schulen. Die Staatsregierung postuliert in ihrer Antwort: "Unstrittig ist das Anliegen, möglichst allen Kindern und Jugendlichen in Sachsen kulturelle Angebote unterbreiten zu können. …" Da stimmen wir zu. Anschließend werden jedoch finanzielle Hürden für Schulen aufgeführt, beispielsweise für Besuche in Theatern und Museen. Wo bleibt da der Zugang für alle?
Weiterhin wird bekundet, dass Sachsen insgesamt "über ein zufriedenstellendes Angebot an Maßnahmen der kulturellen Bildung" verfügt. Da müssen sich alle Praktiker wundern. Wie ist so eine Aussage gemeint? Ist es wirklich so, dass die Schulen nur besser informiert sein müssten, dass sie einfach nur zugreifen müssten? Das bezweifle ich doch sehr. Vielmehr müssen überhaupt erst regelmäßige Angebote an der Schnittstelle von Schulen und Kulturträgern entwickelt werden!
Der Knackpunkt ist doch: Wenn wir kulturelle Bildung als Allgemeinbildung verstehen, dann muss kulturelle Bildung enger an den Unterricht angebunden werden. Freiwillige Zusatzangebote allein erreichen meist nur die bereits Kulturinteressierten. So betont auch der deutsche Kulturrat mit Verweis auf die Ergebnisse der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" immer wieder: "Kulturelle Bildung darf nicht nur Lückenfüller am Nachmittag sein." In ihren Antworten zu den Grundlagen kultureller Bildung hat die Staatsregierung diesen Begriff ja auch anerkannt. Werte Frau Staatsministerin Kurth, wer A sagt, muss auch B sagen. Es reicht nicht die Grundlagentexte brav aufzuzählen, sie müssen sich auch entsprechend dazu verhalten.
Schauen wir einmal über sächsischen Tellerrand hinaus nach Niedersachsen: Im Kulturbericht Niedersachsen aus dem Jahr 2010 ist von Frau Prof. Wanka, bis vor Kurzem dort noch CDU-Ministerin für Wissenschaft und Kultur, die Absicht zu lesen, "kulturelle Bildung als Teil der Allgemeinbildung im Bildungssystem zu installieren." Die  Landesvereinigung kulturelle Kinder- und Jugendbildung Niedersachsen begreift sie als "wichtigen Partner". Über das Programm "Kultur macht Schule" wurde folgerichtig ein Koordinationsbüro bei der Landesvereinigung eingerichtet, das Aktivitäten und Diskurse auf Landesebene bündelt und Kooperationen zwischen schulischen und außerschulischen Partnern unterstützt. Das gibt es in Deutschland noch nicht so oft, es scheint aber ein gutes Modell auch für Sachsen zu sein, um stabile Brücken zwischen den Systemen Schule und Kultur zu schlagen, und zwar auf oberster Ebene.
In Sachsen haben wir gute Ansätze auf regionaler Ebene: Die Netzwerkstelle Kulturelle Bildung im Kulturraum Oberlausitz-Niederschlesien hat Vorbildcharakter. Alle Kulturräume haben nun Ansprechpartner. Den Ansprechpartnern fehlt aber ein handlungsfähiges Gegenstück aufseiten des Schulsystems. Die Herausforderung besteht darin, die Kooperation mit außerschulischen Partnern so zu organisieren, dass diese sich besser auf den Lernort Schule mit seinen Rahmenbedingungen einstellen können. Bei der Vermittlung kultureller Bildung in die Schulen hinein liegt momentan noch eine Schwachstelle. Das wurde bereits im 5. Bericht des Kultursenats von 2012 hervorgehoben und das hat sich bis jetzt nicht wesentlich verbessert.
Einen Bedarf für ein Koordinierungsgremium auf Landesebene sieht die Staatsregierung erklärtermaßen nicht. Ein solches Gremium wäre aber dringend notwendig, um eine laufende Verständigung über die konkreten Ziele von kultureller Bildung und eine Unterstützung der regionalen Strukturen zu bewerkstelligen. Dafür sprechen sich Verbände und Kulturräume aus. Mit einer solchen Koordination dürfte es dann beispielsweise auch nicht mehr passieren, dass die Mittel aus der Förderrichtlinie Kulturelle Bildung wie im Jahr 2012 nicht ausgeschöpft werden. Die interministerielle Arbeitsgruppe von SMK, SMWK und SMS leistet das Notwendige jedenfalls nicht einmal im Ansatz.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin damit bei einem zentralen Webfehler in der Kulturpolitik der Staatsregierung. Das SMWK lädt notorisch die Verantwortung des Freistaats unter Verweis auf das dezentrale Prinzip und das sächsische Kulturraumgesetz auf die Kulturräume ab. Was spricht denn aber bitteschön gegen eine aktivere Rolle als Impulsgeber? Die Entscheidungen werden dann immernoch in den Kulturräumen und Kommunen getroffen.
Kulturelle Bildung ist eben auch Bildung. Die Zuständigkeit dafür kann doch nicht ausschließlich bei den Kommunen liegen. Wir brauchen eine landesweite Koordination, die zwischen Praktikern und Ministerien vermittelt, die hilft, Qualität zu sichern und den Erfahrungsaustausch im ganzen Land zu organisieren. Aus eigener Kraft können das die Kulturräume nicht leisten. Prof. Arend Flemming, Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen im deutschen Bibliotheksverband, hat den Zusammenhang in der Auswertungsrunde auf den Punkt gebracht: "Dezentrale Qualität braucht zentrale Kompetenzen".
Einen weiteren wichtigen Punkt möchte ich noch kurz ansprechen: Die Verstetigung von Modellprojekten. Wir haben die Problematik in diesem Haus beispielsweise anhand des Projektes JeKi oder auch des Buchsommers als Projekt der Leseförderung diskutiert. Bisher werden Modellprojekte von Haushalt zu Haushalt verlängert. Das ist besser als nichts. Sie können aber auch schnell wieder wegbrechen. Wenn sich die Ansätze bewährt haben, dann sollten sie auch in nachhaltige Strukturen überführt werden, dafür sprechen wir GRÜNE uns ausdrücklich aus.
Zu Schluss möchte ich insbesondere der Landesvereinigung Kulturelle Kinder- und Jugendbildung Sachsen sowie den Kulturverbänden und Kulturräumen für ihre beharrlichen Impulse an die Landespolitik danken. Durch ihre Aktivitäten liegen  Handlungsmöglichkeiten auf dem Tisch, um in Sachsen bei der Kulturellen Bildung die nächsten Schritte zu gehen. Das richtige Schrittmaß werden wir dann erreichen, wenn die Ministerien die Akteure im Land besser einbeziehen und ein partnerschaftliches Verhältnis zu ihnen suchen.

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