Elke Herrmann: 4. Frauenförderungsbericht zeigt enormen Handlungsbedarf

Rede der Abgeordneten Elke Herrmann zur Großen Anfrage "Zu ausgewählten Lebenslagen von Frauen in Sachsen" (Drs. 5/8746), 65. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Oktober 2012, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren!

vielen Dank an die LINKS-Fraktion für die Große Anfrage "Zu ausgewählten Lebenslagen von Frauen in Sachsen". Die Antworten sind aufschlussreich und bestätigen so manche Vermutung:

Frauen verdienen weniger als Männer, Frauen sind eher von Altersarmut betroffen, Frauen arbeiten häufiger in Teilzeit als Männer, Frauen nehmen häufiger Familienverantwortung bei Erziehung und Pflege wahr, das Durchschnittsalter ist steigend. Letzteres betrifft sowohl Männer als auch Frauen.
Geschlechterstereotype scheinen sich zu verfestigen: Der Anteil von Frauen in "frauentypischen Berufen", mit den bekannten Auswirkungen, ist in Sachsen steigend wie der Vergleich der Jahre 2000 und 2010 deutlich macht (Frage II. 9.). Das Phänomen der Leiharbeit ist eher männlich (Frage II. 10.).
Der Anteil der Frauen ohne Ausbildungsabschluss ist sinkend (von 17,6 Prozent auf 13,9 Prozent) Interessant wäre zu wissen, wie die Situation bei Männern in diesem Bereich ist (Frage II. 25.).
Bei dem Anteil von Frauen als Professorinnen und Rektorinnen sind Steigerungen im Minimalbereich zu verzeichnen: waren es 2000 von 30 Rektoren 3 Frauen so waren 2010 von 28 Rektoren immerhin 6 Frauen. Ganz großen Nachholbedarf gibt es bei der Polizei (Fragen II. 40. und 41) Keine Frau leitet eine Polizeidienststelle, keine Frau ist stellvertretende Leiterin im Einsatz. Wenn man bedenkt, dass Straffälligkeit ohnehin hauptsächlich ein männliches Problem ist, kommt man zu dem Schluss: Das machen die Kerle unter sich aus. Immerhin beträgt der Anteil der Abteilungsleiterinnen 5,9 Prozent, Tendenz leider sinkend. Zu ähnlichen Befunden kommt auch der Vierte Frauenförderungsbericht.

Frau und Mann muss angesichts der sich aus der Großen Anfrage ergebenden Daten und der Ergebnisse des 4. Frauenförderungsberichts den enormen Handlungsbedarf erkennen. Wenn ich mir die Gleichstellungspolitik der Staatsregierung ansehe, drängt sich mir jedoch folgendes Bild auf:

Gleichstellungspolitik ist nicht einmal ein zahnloser Tiger, der im Zoo lebt und mit Nahrung versorgt wird und zumindest vom äußeren Erscheinungsbild her Respekt einflößen kann. Gleichstellungspolitik 2012 im Freistaat Sachsen entspricht einem zahnlosen Tiger in der Wildnis ohne Aussicht auf Unterstützung.

Überall dort, wo Sie tatsächlich gestalten könnten, verzichten Sie nicht nur mit fadenscheinigen Argumenten, sondern bauen noch Fallen, damit der Tiger ganz sicher verendet. Einige möchte ich exemplarisch nennen:

1. Bei der Frage nach diskriminierungsfreien Arbeitsbewertungsverfahren äußert die Staatsregierung stets ihre Einsicht in deren Notwendigkeit. Hebt aber alsdann wieder die Hände und verweist auf die Tarifvertragsparteien. Ja, das ist absolut korrekt. Solange wir diesbezüglich keine gesetzlichen Regelungen haben, wie das zum Beispiel im angelsächsischen Raum der Fall ist, sind wir darauf angewiesen, dass die Tarifvertragsparteien diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungsverfahren in den Tarifregelwerken etablieren. Was mich allerdings verwundert ist, dass sich die einzelnen Ministerien als Arbeitgeber von immerhin 85.542 Landesbedienstete nicht als Tarifvertragspartei verstehen. Wer sind denn die Tarifvertragsparteien? Das sind die Arbeitgeber und die Arbeitnehmerverbände. Und selbstverständlich können Sie sich über Ihren Arbeitgeberverband für diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungsverfahren wie LOGIP, Akadabra u.s.w. einsetzen. Tun Sie aber nicht.

2. Sie hätten auch im Bundesrat für die Einführung von Geschlechterquoten in Aufsichtsräten stimmen können. Haben Sie aber nicht. Sie haben sich dagegen ausgesprochen und verzichten auf ein wichtiges Instrument, um struktureller Ungleichbehandlung entgegenzuwirken.

3. Gender Maistreaming war im Freistaat Sachsen in der letzten Legislatur ein ganz großes Thema. 2004 wurde es per Kabinettsbeschluss als politisches Leitprinzip verankert. Ende 2007 hat das Sächsische Staatsministerium für Soziales dem Kabinett über den Implementierungsstand von Gender Mainstreaming in den obersten Landesbehörden berichtet. Im dazugehörigen Kabinettsbeschluss wurde verfügt, das der Einführungsprozess in den kommenden Jahren von den Ressorts eigenverantwortlich fortzuführen ist. Wo ist es hin, dieses Leitprinzip? Und apropos "Leit…", mit dem Leitprinzip ist auch sang- und klanglos die Leitstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann verschwunden.

4. Dass Gender Mainstreaming in der Landesverwaltung überhaupt keine Rolle mehr spielt, zeigt sich auch in der Verwaltungsvorschrift zur Haushalts- und Wirtschaftsführung 2012. Darin heißt es unter 3.1.3 so einfach wie lapidar: "Ersatzeinstellungen auf Stellen für in Mutterschutz befindliche Beschäftigte sind nicht statthaft. Die Erstattungsbeträge […] stehen nicht für Ersatzeinstellungen während der Mutterschutzfristen zur Verfügung. Das bedeutet konkret für die Hochschulen, in denen kurze, befristete Arbeitsverhältnisse die Regel sind, dass die Vorlesungen und Seminare für ein komplettes Semester ausfallen. Das kann sich keine Hochschule auf Dauer leisten. Die Konsequenz ist, dass keine Frauen mehr eingestellt werden. Da legen Sie den Exzellenzbemühungen sächsischer Hochschulen ziemlich große Steine in den Weg. Ein wesentlicher Baustein für Exzellenz sind nämlich aktive Maßnahmen für Gleichstellung. Was Sie an den Tag legen sind aktive Maßnahmen zur Verhinderung von Gleichstellung.

Dabei verkennen Sie, dass Sie verpflichtet sind zu handeln. Ihr Handlungsauftrag, wohlgemerkt NICHT HandlungsOPTION, entspringt Art. 3 der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und Art. 8 der Sächsischen Verfassung. Eine derartige Verfassungsuntreue an den Tag zu legen, ist wirklich nur in Sachen möglich.

Werden Sie endlich wieder aktiv in Sachen Gleichstellung. Frauen und Männer werden davon profitieren.

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