Elke Herrmann: Beim Thema Kinderarmut hat Schwarz-Gelb weder in Sachsen noch auf Bundesebene geeignete Antworten gefunden

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag "Maßnahmen gegen die Kinderarmut" (Drs. 5/9109), 69. Sitzung des Sächsischen Landtages, 30. Januar 2013, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –
————————————————————————————

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, meine Damen und Herren,

beim großen Thema Kinderarmut hat die schwarz-gelbe Koalition weder in Sachsen noch auf Bundesebene bislang eine geeignete Antwort gefunden. Deshalb diskutieren wir heute über den Antrag der LINKEN.

Die Antwort wurde nicht gefunden, obwohl alle die Priorität dieses Themas beteuern. Erinnern Sie sich einmal bitte an Folgendes: Auch im Landtag gab es in der letzten Legislaturperiode einen Antrag unserer Fraktion zum Thema Kinderregelsatz. Dieser erhielt eine Mehrheit – auch von der Koalition. Einigkeit bestand damals in der Erkenntnis. Leider sind weder auf Landes- noch auf Bundesebene Strategien des Handelns erkennbar und viele der Ansätze, über die wir bisher diskutiert haben, bleiben Stückwerk.

Aus sozialwissenschaftlicher Sicht ist hinreichend belegt, dass politische Strategien gegen Armut – auch gegen Kinderarmut – mehrdimensional sein müssen. Wir brauchen die Absicherung des soziokulturellen Existenzminimums. Hierzu besteht dem Grunde nach Einigkeit mit der LINKEN, also Punkt 1 Ihres Antrags. Auch die GRUNEN wollen eine Kindergrundsicherung einführen. In der Partei wird derzeit die Höhe und Ausgestaltung diskutiert. Die Aussagen dazu werden sicherlich im
Bundestagswahlprogramm zu finden sein. Genauso sicher ist, dass es bei der konkreten Ausgestaltung Differenzen zu den Vorstellungen der LINKEN geben wird. Der Beschlusstext des heutigen Antrags ist allerdings so allgemein, dass wir diesem zustimmen können.

Was mir bei dem Redebeitrag des Kollegen Krauß aufgefallen ist, ist Folgendes: Er hat offenbar das Prinzip der Kindergrundsicherung nicht verstanden.

Ich bin deshalb sehr froh, dass meine Kollegin Dagmar Neukirch dies und auch, welche derzeitigen finanziellen Förderungen für Kinder und Familien dort hineinfließen, umfassend erläutert hat. Das derzeitige Prinzip führt dazu, dass nicht alle Kinder – vor allen Dingen Kinder, die besonders bedürftig sind – in den Genuss der Förderungen kommen und diese ungleich verteilt sind. Man denke nur an das Kindergeld und den Freibetrag, den die Eltern über die Steuer geltend machen können.

Wie ich schon ausgeführt habe, muss dies mehrdimensional geschehen. Es geht nicht nur um die Einkommensarmut. Der im letzten Jahr erschienene Unicef-Bericht zur Lage der Kinder in Deutschland macht als Fazit Folgendes deutlich: Das gelingende Aufwachsen von Kindern, ihr Wohlbefinden und ihre Chancen lassen sich nachhaltig nicht durch Einzelmaßnahmen verbessern. Es muss gelingen, die verschiedenen Ansätze sowohl der Ebenen Bund, Länder und Kommunen und die Beteiligung der verschiedenen Ressorts zu erreichen und eine gemeinsame Politik zu entwickeln. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist unsere Aufgabe.

Es ist ein Irrtum anzunehmen, dass die Arbeitsmarktpolitik bzw. ein verbesserter Zugang zum Arbeitsmarkt Kinderarmut lösen kann. Schon der überproportional hohe Anteil von armen Kindern in den Haushalten von Alleinerziehenden macht dies völlig klar.

Somit muss die Infrastruktur eine entscheidende Rolle spielen. Wir müssen uns deshalb Folgendes fragen: Wie muss die Infrastruktur aussehen, um Kinder, Jugendliche und Familien in schwierigen Lebenslagen sozial zu integrieren? In diesem Zusammenhang sprechen wir über die Kitas, die Schulen, eine entsprechende Bildungs- und Erziehungspartnerschaft mit den Eltern, die Jugendarbeit und sozialräumlich verortete Angebote für Familien und Eltern. Zu dieser Infrastruktur trägt das Bildungs- und Teilhabepaket eben nicht bei.

Herr Kollege Krauß, hören Sie bitte einmal zu. Es ist vor allem eines: ein bürokratisches Monstrum. Es ist vor allem eines nicht: eine geeignete Maßnahme gegen Kinderarmut.

Ich habe den Kollegen Krauß direkt angesprochen, weil er immer sagt, dass er gegen Bürokratie ist. In der Anhörung wurde von einem Vertreter eines Landkreises, der für die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepakets zuständig ist, gesagt, dass es sich um ein „bürokratisches Monstrum“ handle.

Der zweite Punkt des Antrags der Linksfraktion zielt darauf, das Bildungs- und Teilhabepaket zu qualifizieren. Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist zwar nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass der Antrag im Mai letzten Jahres geschrieben wurde. Danach – am 21. Mai –  wurde unser Antrag „Bildungs- und Teilhabepaket sinnvoll umsetzen – verlässliche Rahmenbedingungen für Kommunen und Betroffene schaffen“ im Sozialausschuss angehört. Ich empfehle allen, die hier zuhören, sich dringend die Anhörung noch einmal durchzulesen. Dort sind auch Schritte skizziert, die Sachsen gehen kann. Diese sind nötig, um dem „bürokratischen Monster“ wenigstens etwas Sinnvolles entspringen zu lassen.

Deshalb verstehe ich nicht, wie Sie jetzt — ein gutes halbes Jahr vor der Bundestagswahl — der Meinung sind, dass die Staatsregierung im Bund tätig werden könnte, um dieses Bildungs- und Teilhabepaket zu qualifizieren. Weshalb sollten wir annehmen, dass eine schwarz-gelbe Koalition, die dieses Paket verbockt hat, es unseren Vorstellungen entsprechend nachbessert? Dazu wurde in der Anhörung deutlich: Sachsen steht im Vergleich gar nicht so schlecht da und ist nicht das Bundesland, dass im Bund zuerst agieren könnte.

Besser wäre es, danach zu fragen, wie die Staatsregierung mit den in der Anhörung formulierten offenen Fragen und Aufgaben umgegangen ist. Drei davon möchte ich nennen. Frau Mohr vom Städte- und Gemeindetag hatte mitgeteilt, dass sich das SMS mit den kommunalen Spitzenverbänden auf eine abgestimmte Landesstatistik und eine damit verbundene Datenerhebung verständigt hat. Meine Frage dazu lautet:
Liegt diese Statistik vor und — wenn sie vorliegt — welche Schlussfolgerungen wurden daraus gezogen?

Eine zweite Aufgabe, resultierend aus der Anhörung, ist die Forderung nach einer umfassenden Einbeziehung und Abstimmung mit dem Kultusministerium. Diese wurde von vielen Sachverständigen erhoben. Dabei geht es um die Lernförderung, die Verwaltungsvorschriften zu Schul- und Klassenfahrten und die Konten für die Schulen.

Als dritte Aufgabe haben die Sachverständigen Folgendes geäußert:
Rechtssicherheit für die Kommunen herzustellen. Es geht um das Mittagessen in den Horten oder die Abgrenzung der Leistungen für Lernförderung aus dem Bildungs- und Teilhabepaket gegenüber der Lernförderung, die jede Schule für Kinder bereithalten muss. Das sind die Fragen, auf die wir Antworten brauchen.

Ich möchte noch ein paar Zitate anführen. Das sind Zitate von jemandem, der nicht verdächtig ist, den GRÜNEN besonders nahe zu stehen. Ich möchte Herrn Jürgen Neumann vom Landkreistag zitieren. Er hat unter anderem Folgendes gesagt – es ging um die Schulkonten – : „Kultus ist im Moment nicht bereit, sogenannte Schulkonten einzurichten. Es ist nur dem Agieren der Vertreter aus den Landratsämtern, kreisfreien Städten und Schulen vor Ort geschuldet, dass dort Lösungen gefunden werden.“ Das ist ein Punkt, den wir in Sachsen durchaus lösen könnten.

Zur Lernförderung hat er Folgendes gesagt: „Die Schule ist nach dem sächsischen Schulgesetz zuvörderst für die Erreichung der Lernziele verantwortlich. Kann das nicht erreicht werden, muss man schauen, dass man mehr Lehrer einstellt und Stunden zur Verfügung hat, damit die Schüler das Lernziel erreichen.

Es kann nicht angehen, dass, wenn ein zuvorderst Verantwortlicher seiner Pflicht aus verschiedensten Gründen nicht mehr nachkommt oder nachkommen kann, andere Leistungen dafür herhalten müssen. Zuallererst sind die Schulen für das Erreichen des Bildungsziels verantwortlich. Das Bildungs- und Teilhabepaket, das die Lernförderung aufgrund bestimmter Punkte auch noch einengt, zum Beispiel Versetzungsgefahr, kann nur eine ergänzende Leistung sein.

Die anderen Sachverständigen haben sich dem Grunde nach bei allen Punkten gleich geäußert, auch die, welche von der Koalition eingeladen worden sind. Es wäre die Aufgabe gewesen, die Umsetzung des Bildungs- und Teilhabepaketes in Sachsen zu qualifizieren. Der Aufgabe sind Sie bis jetzt nicht nachgekommen.

Danke.

Alle GRÜNEN Reden finden Sie hier…