Elke Herrmann: Jugendstudie Sachsen 2012 zeigt, dass sich die sozialen Unterschiede verstärken

Redebausteine der Abgeordneten Elek Herrmann zur Aktuellen Debatte "Attraktive Heimat – positive Perspektiven für Sachsens Jugend", 65. Sitzung des Sächsischen Landtages, 18. Oktober 2012, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren!

Die positiven Aussagen der KoalitionsRednerInnen basieren auf einer von der Staatskanzlei in Auftrag gegebenen telefonischen Befragung vom Juli 2012 zu "Lebenszielen junger Menschen in Sachsen".

Wir müssen uns immer fragen, zumal wenn diese Meinungsbilder unser politisches Handeln leiten sollen, ob die Datenbasis repräsentativ ist oder, ob nur ein bestimmter Ausschnitt erreicht wurde, der dann noch, ob beabsichtigt oder unbeabsichtigt, eher die eigene Weltsicht unterstreicht.

Was mir hier fehlt, sind z.B. Daten aus dem Sächsischen Kinder- und Jugendbericht. Der steht an, liegt aber nicht vor. Damit hätten wir an dieser Stelle sicher mehr anfangen können.

Für die gerade genannte Jugendstudie 2012 des Freistaats wurden im Juli 2012 1.000 deutschsprachige Jugendliche bzw. junge Erwachsene in Sachsen im Alter zwischen 15 und 25 Jahren zu ihren Lebenszielen befragt.

Die Methodik ist jedoch unklar:
Als Zielgruppe wurden nur Menschen in Privathaushalten mit Festnetzanschluss ausgewählt.
Ich vermute, dass viele junge Menschen, die nicht mehr zu Hause wohnen, auch keinen eigenen Festnetzanschluss haben.
Klar ist, sie verzerren das Ergebnis. Wie diese Verzerrung aussieht, müsste man anhand weiterer Daten belegen, z.B. indem man die Haushaltsform einbezieht, in der diese jungen Menschen leben und, indem man die Ergebnisse mit denen der Altersgruppe aus dem Mikrozensus korreliert.

Ein weiterer Punkt ist, dass eine Differenzierung nach Geschlecht fehlt. Interessant wäre auch, ob sich die Zielgruppe repräsentativ auf den städtischen und ländlichen Raum verteilt. Auch dazu lässt die Ergebnispräsentation keine Aussagen zu.

Aus der Kurzauswertung der Analyse geht nicht hervor, wie sich die 1.000 Menschen auf die Altersspanne 15-25 verteilen.
Bei einzelnen Fragen wird sehr wohl differenziert und zwar z.B. wenn die Priorisierung der wichtigsten Lebensziele ausgewertet wird. Da gibt es drei Gruppen 15-17 Jahre, 18-21 und 22-25 Jahre. Insgesamt denke ich schon, dass das Alter bei der Beantwortung der Fragen eine Rolle spielt, z.T. wird ja auch darauf hingewiesen.

Welche Perspektiven entwickeln junge Menschen?
Die 14. und 15. Shell Jugendstudie haben ein Maß an Pragmatismus bei den Jugendlichen festgestellt, das, so die Studie "genau das Polster bereitstellt, um auf schwieriger werdende Rahmenbedingungen nicht nur mit Beharrungsvermögen, sondern sogar kreativ und vorausschauend reagieren zu können".
Diese konstruktive Grundhaltung bestätigt auch die 16. Shell Jugendstudie von 2010.
Die Ergebnisse waren: optimistische Grundhaltung, auffällig pragmatische Umgehensweise mit den Herausforderungen im Alltag, mit viel Ehrgeiz und Zähigkeit unterbaut, Schutz bietet ebenfalls das besondere Lebensgefühl von Jugendlichen, ihre eher lockere Art, die Dinge auf sich zu kommen zu lassen, oder ihre Haltung in Freizeit oder Alltag zusammen mit anderen einfach nur "gut drauf" sein zu wollen.

Was die Jugendstudie aber deutlich zeigte, ist, dass zwar der Optimismus insgesamt ansteigt, sich aber auch die sozialen Unterschiede verstärken. Bildungsnahe Jugendliche schauen optimistischer in die Zukunft, Bildungsferne werden abgehängt und sehen ihre Zukunft negativer und zwar zunehmend negativer.

Herr Tillich, Sie haben 2012 zum Jahr der Jugend ausgerufen, in diesen Zusammenhang gehören die Studie und das ConFestival. Aber lassen sie diesen Worten doch auch Taten folgen, die sich im Haushalt niederschlagen.

Wenn, wie die Shell-Studie 2010 sagt, S.18, das Freizeitverhalten von Jugendlichen aus sozial benachteiligten Familien eben keine fördernde Struktur entfaltet, ist hier ein Punkt um gegenzusteuern. Dazu braucht es Strukturen der offenen Jugendarbeit in der Fläche.

Sie könnten jetzt etwas für Jugendliche tun. Das Vermeiden finanzieller Schulden darf nicht zu sozialer Verschuldung führen. Und die nehmen sie im Hinblick auf die "abgehängten" Jugendlichen in Kauf.

Im Detail:
PISA und auch Shell bescheinigen, dass eine bildungsferne Herkunft in Deutschland immer noch dazu führt, dass Jugendliche sich selbst keine hinreichende Bildungsvoraussetzungen für eine sichere Perspektive aneignen können (Shell 2010 S.15). Das bestätigen auch die PISA Ergebnisse. Vor allem Jugendliche ohne Schulabschluss haben seltener eine qualifizierte Arbeit und blicken deutlich seltener opitimistisch in die Zukunft (27 Prozent bei Shell 2010 S.16).
Insgesamt ist zu beobachten, dass Jugendliche, die einen Schulabschluss erreichen werden und Jugendliche, die in Ausbildung sind, deutlich zuversichtlicher sind in Bezug auf ihre Zukunft, als noch 2002. 2010 sind 71 Prozent der Jugendlichen sicher, ihre beruflichen Wünsche erfüllen zu können (2002 waren es 68 Prozent, 2006 64 Prozent).

Zur Jugendstudie Sachsen 2012
Insgesamt wird ein Wertekanon abgefragt.
Unter der Überschrift "Heimatverbundenheit mit Sachsen" wird dargestellt, was die jungen Menschen auf die Frage "Wie gerne leben sie alles in allem in Sachsen?" geantwortet haben. Vier Fünftel leben gerne hier. (Folie 2)
Warum sagen sie das? Weil die Freunde und die Familie hier leben? Weil Sachsen einfach so schön ist? Weil sie sich politisch so gut aufgehoben und repräsentiert fühlen?
Darüber können wir keine Aussage treffen.

Spannend bzw. geradezu erstaunlich wird es bei der Einschätzung, dass 50 Prozent der Befragten sagen, die Chancen, einen attraktiven und sicheren Arbeitsplatz zu finden, sind in Sachsen genauso gut wie in den anderen Bundesländern. Das ist bemerkenswert und blendet die Bedingungen, die z.B. in Bundesländern wie Bayeren oder Baden-Württemberg sind (faktische Vollbeschäftigung) aus.
Man müsste interpretieren, woran das liegt. An der Altersgruppenzuordnung? An der Stichprobenauswahl? An den Berufswünschen der Befragten?

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