Elke Herrmann: Palliative Medizin und Hospizarbeit sind ein Zukunftsthema

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland jetzt unterzeichnen" (Drs 5/11587), 80. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. Juli, Top 6
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren Kollegen!
Wahrscheinlich haben Sie alle – oder doch einige von Ihnen – im Juni einen Brief vom Generalsekretär des Zentralkomitee der dt. Katholiken (ZdK) bekommen. Zusammen mit der Erklärung "Leben bis zuletzt – Sterben in Würde". Warum erwähne ich das? Ich möchte einen Teil daraus zitieren, weil er das Anliegen unseres heutigen Antrages gut ausdrückt. Ich hoffe, das ist für einige von Ihnen ein unverfänglicher Einstieg in eine so wichtige Debatte zum Umgang mit der eigenen Endlichkeit. Und genau das schlagen wir Ihnen heute auch vor: den Beitritt zur "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen in Deutschland". Warum, wenn Sachsen doch eine Hospizkonzeption hat?
Palliative Medizin und Pflege sowie die Hospizarbeit sind ein Zukunftsthema, denn:
1. durch den Wandel familiärer Strukturen und nachbarschaftlicher Beziehungen stößt das familiäre Versorgungsprinzip zunehmend an seine Grenzen
2. durch den demographischen Wandel nimmt die Zahl pflegebedürftiger und schwerstkranker Menschen zu
3. Selbstbestimmtheit des Menschen muss auch im Sterbeprozess gewahrt bleiben
4. deshalb bedürfen sterbende Menschen keiner Hilfe zum Sterben, sondern einer Hilfe im Sterben.
Viele Menschen fühlen sich unsicherer denn je, wenn es um Fragen am Ende des Lebens geht. Daran hat auch "öffentliches Sterben" nichts geändert. Denken sie an die Diskussionen um die Wachkomapatientin Terri Schiawo, und das für alle zu verfolgende Leiden und Sterben des vorletzten Papstes oder an in den Medien inszenierte Sterben der Britin Jade Goody. Dass wir uns Gesundheit wünschen bei den entsprechenden Anlässen, das zeigt unsere Unsicherheit und die Ängste, die mit Krankheit und Tod verbunden sind.
Da ist zum Beispiel die Angst, nicht mehr selbst über das eigene Leben entscheiden zu können oder anderen zu Last zu fallen (schwer auszuhalten für uns, die wir umfassende Kontrolle suchen und allzeit leistungsfähig und flexibel sein sollen). Und es gibt auch die Angst vor Schmerzen, Luftnot, Schlaflosigkeit, Einsamkeit etc.
Es ist wichtig, dass wir uns als Abgeordnete für würdige Bedingungen des Sterbens einsetzen. Dass wir Menschen am Lebensende Fürsorge zusprechen und Unterstützung durch qualifizierte Palliativmedizin und hospizliche Begleitung zur Verfügung stellen. Und es ist sehr wichtig, dass wir uns mit der Unterschrift unter die Charta öffentlich dazu bekennen. Es ist eine Chance die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung zu befördern und auch die Bereitschaft der Menschen in Sachsen, Sterben, Tod und Trauer als Teil des Lebens zu verstehen. Mit unserer Unterschrift können wir deutlich machen, dass es uns nicht darum geht Orte des Sterbens zu schaffen, abseits vom Trubel des Lebens gewissermaßen- Hospiz, Palliativstationen etc. Sondern es geht uns als Sächs. Landtag neben diesen Rahmenbedingungen um eine Haltung, um eine neue Kultur des Umgangs mit Sterben und Tod. Und vor diesem Hintergrund und aus dieser Verantwortung heraus gestalten wir gemeinsam die Rahmenbedingungen. Das ist die Botschaft, die mit einer Unterschrift verbunden ist.
Es ist gut, dass Sachsen eine Hospizkonzeption hat. Und diese Konzeption bekennt sich gerade auch zur Weiterentwicklung. 2007 war die letzte Fortschreibung und ich möchte einige Gründe nennen für eine Anpassung nennen:
– Es gibt immer weniger die Trennung zwischen kurativer und palliativer Medizin wird oft als ein Mittel zur Gesundung gesehen. Deshalb wir sie terminal Erkrankten manchmal nicht gerecht.
– Wenn wir sehen, dass in Zukunft eher nicht mehr onkologische und andere lebenslimitierende Krankheiten im Vordergrund stehen, sondern wir zunehmend hochbetagte, multimorbide und teils demente Menschen z.B. in Altenpflegeeinrichtungen am Lebensende begleiten, dann wird klar, dass es nicht um einige Tage oder Wochen sondern um eine längere Zeitspanne geht, die palliativ – nämlich lindernd begleitet werden sollte, um Wohlbefinden zu erhalten und Lebensqualität zu steigern
– Das hat Auswirkungen auf unser Verständnis von Medizin. Wir müssen den palliativen Ansatz in der Medizin stärken (wichtig für junge Mediziner), Ausbildung, Weiterbildung
– Menschen mit Behinderungen werden in Deutschland erstmals in größerer Zahl alt mit den entsprechenden alterstypischen Erkrankungen. Oft sind Wohnstätten der Lebensmittelpunkt und damit werden sie Orte der Palliativversorgung. Wie sind wir dafür gerüstet? Oder soll dann der Sterbeort für Menschen mit Behinderungen doch das Krankenhaus sein? Das ist mit dem Gedanken der UN-Konvention nicht zu vereinbaren.
Es ist also unbedingt wichtig, die Hospizkonzeption weiterzuentwickeln. Vernetzung wird noch wichtiger: Palliativmedizin, SAPV (spezialisierte ambulante Palliativversorgung), amb. und stat. Hospize und palliative Geriatrie. Wir müssen gemeinsam mit den dort tätigen und der Zivilgesellschaft zu neuen medizinischen, pflegerischen und sozialen Konzepten kommen. Ich glaube, dass durch die skizzierten Entwicklungen auch der Pflegeberuf deutlich aufgewertet werden muss, dass wir entsprechende Angebote zur Weiterbildung in diesem Bereich dringend ausweiten müssen! Ebenso trifft das auf die Qualifizierung und Begleitung von pflegenden Angehörigen zu. Da wünsche ich mir mehr als Lippenbekenntnisse von der Staatsregierung.
Die Unterschrift unter die Charta ist zum einen ein Bekenntnis (zu mehr Achtsamkeit, Respekt und Zuwendung) zum anderen kann sie für die Fortschreibung der Konzeption ein Anstoß sein.
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