Elke Herrmann zum gemeinsamen Sorgerecht für Mütter und Väter

Redebeitrag der Abgeordneten Elke Herrmann zum Antrag „Kindeswohl stärken – unverheirateten Müttern und Vätern gemeinsames Sorgerecht einräumen“ in der 22. Sitzung des Sächsischen Landtages, 30.09., TOP 4
Es gilt das gesprochene Wort!
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Auch ich kann mich nahtlos an die Vorträge meiner beiden Vorrednerinnen anschließen. Wir teilen die Intention Ihres Antrages, die Diskriminierung von Vätern, die derzeit Praxis ist, weil Väter das Sorgerecht nicht erlangen können, wenn die Mutter dem nicht zustimmt, abzuschaffen.
Allerdings ist Ihr Antrag viel zu oberflächlich, um diese Diskussion, die auf allen Ebenen derzeit zu dem Thema statifindet, in ausreichender Weise  widerzuspiegeln. Er ist zu eindimensional, um dem Thema gerecht zu werden.
Ich möchte eine etwas andere Position einnehmen, und zwar vom Kind aus gesehen. Sie wissen, das Bild vom Kind hat sich verändert und Kinder gelten nicht mehr als Objekte der Fürsorge, sondern durchaus als Subjekte mit eigenen Rechten.
Schon deshalb kann allein der Umstand, dass sich Eltern als Paar trennen, nicht ausreichend dafür sein, sie aus der elterlichen Verantwortung zu entlassen — egal, ob es um Vater oder Mutter geht.
Dem hat die Kindschaftsreform im Jahr 1998 schon Rechnung getragen. Auch die Ratifizierung der UN-Konvention für die Rechte des Kindes hat dazu beigetragen, dass in Deutschland ein Umdenkungsprozess in Gang gekommen ist. Das Familienbild, das wir in der Vergangenheit hatten, hat dazu beigetragen, dass das Sorgerecht bisher nicht reformiert wurde, mit den benannten Folgen für die Väter.
Wir sind der Meinung, dass wir das dringend reformieren müssen; aber Ihrem Antrag, der von einem automatischen gemeinsamen Sorgerecht der Eltern ausgeht, können wir nicht zustimmen, und das teilen wir auch nicht.
Auch in GRÜNEN-Gremien ist in der letzten Zeit über dieses Thema sehr kontrovers diskutiert worden und wir haben jetzt einen Stand erreicht, auf den wir uns geeinigt haben. Das möchte ich Ihnen einmal vorstellen. Wir wollen, dass wir die gemeinsame Sorgetragung auch durch die Väter ermöglichen und die Ungerechtigkeit und Diskriminierung beseitigen. Das erfolgt nach unseren
Vorstellungen derzeit am besten und am einfachsten mit einer Mitsorgeerklärung per Antrag. So kann man verhindern, dass Väter sorgeberechtigt werden, die gar kein Interesse daran haben.
Und es gibt Väter, die von Anfang an überhaupt kein Interesse an der Erziehung, an dem Umgang und an der Sorge für ihr Kind haben. Das zeigt sich an den schon zitierten Zahlen zum Unterhalt. Dass Väter so oft den Unterhalt schuldig bleiben, spricht nicht dafür, dass sie besondere Bemühungen anstellen.
Wir wollen, dass ein Mitsorgeantrag möglich ist, und zwar beim Jugendamt. Das ist eine niedrigschwellige Möglichkeit; bisher ist das nur beim Familiengericht möglich.
Wir wollen, dass die Eltern beim Jugendamt diese Mitsorge beantragen können. Das können sowohl Vater als auch Mutter tun, und das Jugendamt informiert den jeweils anderen Elternteil und setzt eine achtwöchige Widerspruchsfrist. Erfolgt in diesem Zeitraum kein Widerspruch und liegen dem Jugendamt keine Erkenntnisse über eine Kindeswohlgefährdung vor, wird das gemeinsame Sorgerecht erteilt. Nur wenn widersprochen wird oder Erkenntnisse zur Kindeswohlgefährdung vorliegen, müsste das Familiengericht über einen solchen Antrag entscheiden.
Ich sage es noch einmal ganz ausdrücklich: Dieses Verfahren steht auch Vätern offen — bei Ihnen ist das der Punkt 3 —‚ deren Kinder vor dem Inkrafttreten der Regelung geboren worden sind.
Ich habe ein Problem mit Ihrem Antrag, wenn in Punkt 2 steht, das gesetzliche Widerspruchsrecht der Mutter ist nur vorgesehen, wenn die gemeinsame Sorge nicht dem Kindeswohl entspricht. Die Familiengerichte werden sich bedanken, wenn so etwas in dieser lapidaren Art und Weise abgehandelt wird, weil sie dann regelmäßig darüber entscheiden müssen, was dem Kindeswohl entspricht und was nicht.
Wie meine Vorrednerinnen schon gesagt haben, müssen wir vielfältige Möglichkeiten zur Unterstützung von Müttern und Vätern anbieten. Wir können nicht einfach so eine Gesetzesänderung vornehmen und meinen, das wird sich schon regeln. Wir haben Erfahrungen mit dem Umgangsrecht und wir haben die Erfahrung, dass es dabei jede Menge Konflikte gibt. Deshalb regen wir und auch unsere Bundestagsfraktion an, dass es eine Evaluierung des Umgangsrechts gibt und dass die nächsten Schritte, nach einer Evaluierung vorgenommen werden — über die Vorschläge, die ich Ihnen dargestellt habe, hinaus.
Außerdem sind, wenn wir neue Regelungen einführen wollen, auch mehr Beratungs- und Unterstützungsangebote oder Elterntrainings bereitzuhalten und auszubauen, die die Einigung leichter machen und die in Konfliktsituationen die Eltern unterstützen, zu einer einvernehmlichen Lösung zu kommen.
Nicht zuletzt ist die Familienförderung insgesamt zu reformieren. Es ist eben so, dass alleinerziehende Eltern — es sind in der Regel Frauen — nach wie vor große Schwierigkeiten haben, wenn sie in ihren Beruf zurückkehren wollen, weil es nicht genügend Kindertagesplätze gibt, vor allem für die Unter-Dreijährigen.
Natürlich kann die Situation, dass sich Väter und Mütter über das Sorgerecht nicht einig sind, immer auch als Zwangsmittel missbraucht werden. Das können sowohl Väter als auch Mütter tun. Die derzeitige Situation zeigt aber, dass eher Mütter diejenigen sind, die Schutz vor Gewalt suchen. Wir müssen diesen Schutz vor Gewalt ausbauen, wenn wir weitere Schritte gehen wollen.
Wir teilen zwar die Intention, die hinter Ihrem Antrag steht; diesem Antrag, so wie er gestellt ist, können wir aber nicht zustimmen. Wir wollen eine Evaluation des Umgangsrechtes. Wir schlagen die skizzierten Schritte vor und wir sind dafür, dass wir noch einmal umfassend im Ausschuss zu dem Thema diskutieren. Deshalb  werden wir uns dem Vorschlag von Frau Werner und der Linksfraktion anschließen.
Danke.