Eva Jähnigen: Was macht eine moderne Verfassung aus?

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion:
"1. Gesetz zur Modernisierung der Verfassung des Freistaats Sachsen" (Drs. 12162)
96. Sitzung des Sächsischen Landtages, 21. Mai 2014, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Meine Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Präsident,
Verfassungen sind Wertentscheidungen. Sie sollen die Grundlagen des Staatswesens beständig regeln und dabei doch nicht in Stein gemeißelt sein. Sie müssen sich im Konkreten der veränderten Gesellschaft anpassen.
Es gab Zeiten, da war Sachsen einmal Vorreiter in Demokratiefragen. 1831 wurden hier als einem der ersten deutschen Länder Bürgerrechte eingeführt, 1989 kamen aus sächsischen Städten wesentliche Impulse für die friedliche Revolution in der DDR und auch 1992 wurden mit der sächsischen Verfassung einige Neuerungen beschlossen.
Die gute Wirkung solcher früheren Impulse sollte für uns als Gesetzgeber Mahnung sein, uns aktuellen Entwicklungen in der Verfassungsgesetzgebung nicht zu verschließen. Wir müssen uns an modernen Standards für bürgerlich-freiheitliche Rechte orientieren und überlegen, was unter aktuellen Gesichtspunkten eine moderne Verfassung ausmacht. Drei Herausforderungen seien benannt: Die Bevölkerungszahl sinkt. Die Bedrohung unserer natürlichen Lebensgrundlagen schreitet voran. Mit der Digitalisierung steigt das Informationsinteresse der Bürgerinnen und Bürger gegenüber dem Staat.
Kaum eine Verfassung kann für sich in Anspruch nehmen, auf Dauer unverändert zu bleiben. So hatte das Grundgesetz länger als geplant Beständigkeit, ist aber seit seinem Inkrafttreten bisher 59-mal geändert worden – alleine 23-mal seit der Wiedervereinigung.
Vor diesem Hintergrund setzt sich die GRÜNE-Fraktion seit Längerem für Modernisierung und Fortentwicklung unserer sächsischen Verfassung ein. Selbstredend haben wir diese Forderungen im Zuge der Verhandlungen zur Schuldenbremse weder zurückgenommen noch zurückgestellt.
Die Kolleginnen und Kollegen in der CDU und der FDP hingegen halten es ihren Aussagen nach noch nicht einmal für notwendig, über Veränderungsbedarf in dieser Verfassung nachzudenken. Sie sind sich – anders als viele in Sachsen – felsenfest sicher, dass Sachsens Verfassung nicht fortgeschrieben oder angepasst werden muss. Warum diese Starrheit? Wovor haben Sie in der CDU eigentlich Angst – davor, dass die Leute in Sachsen mehr Freiheitsrechte bekommen und davon Gebrauch machen?
Und warum hat keine demokratische Fraktion außer unserer von dem Recht Gebrauch machen wollen, Sachverständige zu der im Ausschuss für Verfassung, Recht und Europa geplanten Anhörung zur Verfassung zu entsenden, sodass der einzige, von unserer Fraktion vorgeschlagene Sachverständige diese schließlich auch absagte? Schade um diese vertane Chance.
Folgende besonders wichtige Punkte in der sächsischen Verfassung wollen wir heute ändern:
Erstens die Erweiterung des Umweltstaatsziels in Artikel 10:
Damit soll der gesamte Freistaat verpflichtet werden, auch Atmosphäre und Biodiversität zu schützen. Bisher kennt unsere Verfassung nur den Schutz von Boden, Wasser und Luft. Das genügt nicht mehr. Klimaschutz ist aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse seit 1992 zentrale Aufgabe geworden. Mit der Einfügung des Schutzguts Atmosphäre wird der Freistaat Sachsen zu wirksamer Klimaschutz- und Klimaanpassungspolitik verpflichtet, wie zum Aufbau einer klimaverträglichen Energiewirtschaft.
Umweltgüter werden nach modernem Verständnis nicht mehr nur als Rohstofflager, sondern als natürliche Lebensgrundlage des Menschen geschützt. Der derzeitige globale Hochverbrauch von Umweltgütern überschreitet die Tragfähigkeit der Erde und greift die Erneuerungsfähigkeit der Ökosysteme selbst an. Deshalb sollen Erhalt und Wiederherstellung der Erneuerungsfähigkeit der natürlichen Lebensgrundlagen Verfassungsrang haben. Sachsen braucht einen Biotopverbund zum Schutz von Arten und Lebensräumen.
Dem Verbandsklagerecht wollen wir zur weitergehender Anwendung verhelfen. In der bisherigen Fassung wird anerkannten Naturschutzverbänden das Recht gewährt, an [Zitat] „umweltbedeutsamen Verwaltungsverfahren mitzuwirken“. Zudem ist ihnen "Klagebefugnis in Umweltbelangen einzuräumen". Trotz der ein¬deutigen Bezugnahme auf „Umwelt“-Belange regelt das sächsische Naturschutzgesetz bis heute nur ein sehr eng gefasstes Klagerecht in Naturschutzbelangen. Da der Sächsische Verfassungsgerichtshof diese einfachgesetzliche Regelung für verfassungskonform hielt, ist eine Klarstellung auf Verfassungsebene unabdingbar. Eingeschlossen werden soll dabei auch der Tierschutz.
Zweitens: Wir wollen ein Grundrecht auf Informationszugang
Mit der Neufassung von Artikel 34 soll ein allgemeines Grundrecht auf Informationsfreiheit in unsere Verfassung eingeführt werden. Damit kann sich jede und jeder unmittelbar auf die Verfassung berufen, um bei Kommunen oder Freistaat Informationsansprüche geltend zu machen, soweit diesen nicht Schutzrechte entgegenstehen. Das schlagen Experten seit Jahren vor, denn die aus Steuergeldern finanzierten Daten gehören auch der Öffentlichkeit. Es ist nicht gerecht, wenn der Staat allein hierauf ein Informationsmonopol behält. Im Übrigen ist Informationsfreiheit ein Bürgerrecht. Es fördert die Wahrnehmung demokratischer Rechte, die Zivilgesellschaft, die Kontrolle der Exekutive und beugt Korruption vor.
Und, liebe Kollegen von der CDU, ich bemühe gern Herrn Prof. Heckmann, der sicher nicht Gefahr steht, den GRÜNEN nach dem Munde zu reden, aus der Anhörung zu ihrem Gesetzentwurf zum E-Government am 6. Mai im Ausschuss für Verfassung, Recht und Europa zur Frage. Er führte aus [Zitat], "dass sich Open Data keineswegs in einer politischen Vision erschöpft, sondern verfassungsrechtlich aus dem Grundrecht auf Informationsfreiheit und den Verfassungsgrundsätzen des Demokratie- und Rechtsstaatsprinzips herzuleiten ist. Danach besteht eine Anpassungspflicht an die verfassungsrechtlich gebotene Informationsöffentlichkeit, für deren Ausgestaltung der Gesetzgeber zwar einen Gestaltungsspielraum hat; sie auf längere Sicht ganz zu ignorieren aber das Untermaßverbot verletzen würde." Klare Worte. Und ich füge hinzu: Das wäre in Sachsen echte Staatsmodernisierung!
Drittens geht es um die Erleichterung der Volksgesetzgebung
Wir wollen die Herabsetzung des Quorums für ein Volksbegehren auf Landesebene auf fünf Prozent der Stimmberechtigten und die Einführung des Rechts auf Volksentscheid gegen ein geltendes Gesetz.
Niedrigere Quoren fördern öffentliche Diskussionsprozesse sowie bürgerschaftliches Engagement und so Demokratie und Rechtsstaat. Gerade, wenn Sie in der CDU meinen, dass die Bürger mit Ihrer Regierung zufrieden sind – warum verweigern sie das?
Das neu vorgeschlagene kassatorische Volksbegehren regelt den Fall der Komplettaufhebung eines vom Landtag beschlossenen, in Kraft getretenen Gesetzes durch das Volk. Mit diesem wichtigen Element direkter Demokratie greifen wir einen Hinweis Sachverständiger in der Anhörung zum Gesetzentwurf der LINKEN „Gesetz zur Änderung der Verfassung des Freistaates Sachsen und zur Änderung des Gesetzes über Volksantrag, Volksbegehren und Volksentscheid“ (Drs. 5/3705) vom 21. März 2011 auf. Dieser Änderung müsste noch ein Umsetzungsgesetz folgen.
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, ich werbe in den letzten Monaten der Legislatur des 5. Sächsischen Landtages um Zustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Wir GRÜNE meinen: Der Blick auf die Verfassung einerseits und unsere gesellschaftlichen Probleme andererseits ist Pflichtaufgabe auch dieses Sächsischen Landtages und darf nicht auf später verschoben werden. Stimmen Sie zu!