Gerstenberg: Herr Ministerpräsident Tillich, bekennen Sie sich zu ihrem Wahlversprechen und schließen Sie klipp und klar die Einführung von Studiengebühren aus!

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag der GRÜNEN-Fraktion „Keine Studiengebühren durch die Hintertür einführen – Strafgebühr für unzureichende Studienbedingungen verhindern“ (Drs. 5/294) in der 3. Sitzung des Sächsischen Landtages am 11. November 2009 zum TOP 10
Es gilt das gesprochene Wort!
Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Es ist fast auf den Tag genau sieben Monate her, da überraschte Ministerpräsident Stanislaw Tillich die Öffentlichkeit mit der Botschaft, dass die CDU auch künftig an der im Hochschulgesetz festgeschriebenen Studiengebührenfreiheit festhalten werde. An jenem 9. April 2009 schien die sächsische CDU einen vollständigen Seitenwechsel zu vollziehen. Unsere Fraktion hat damals die Einsicht der CDU begrüßt, dass Studiengebühren nicht zuletzt angesichts des drohenden Rückgangs der Studienanfängerzahl schädlich sind und konstatierte, dass die jahrelange Argumentation der GRÜNEN, der LINKEN, von Wissenschaftsministerin Eva-Maria Stange und das Beispiel der Thüringer CDU offensichtlich gefruchtet hätten.
Auch wohlwollende Beobachter waren der Meinung, dass Ministerpräsident Tillich wohl nicht plötzlich das soziale, sondern eher das demografische Gewissen ergriffen hatte. Schon damals war ich skeptisch, ob Herr Tillich seinen Studiengebührenschwenk durchhalten wird und meinte: „Die Botschaft hör‘ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube. Je schwieriger die Haushaltsprobleme werden, umso mehr wächst die Wahrscheinlichkeit, dass die CDU in einer Koalition mit der FDP an den stark nachgefragten Hochschulen in Leipzig oder Dresden Studiengebühren einführt – ganz nach dem Modell von NRW.“
Das Ergebnis der Koalitionsverhandlungen hat diese Befürchtungen leider bestätigt, schlimmer noch: sie sogar übertroffen. Schwarz-Gelb hat ganz tief in die hochschulpolitische Mottenkiste gegriffen und mit den angekündigten Gebühren für Langzeitstudierende ein verstaubtes Instrument studentischer Disziplinierung aus der Versenkung geholt.
Nun kann man dazu stehen wie man will, eines ist eindeutig: Ministerpräsident Tillich, Sie haben klipp und klar die Gebührenfreiheit bis zum Master nach dem geltenden Hochschulgesetz versprochen – und dieses Versprechen haben Sie gebrochen!
Welche Auswirkungen wird nun dieses gebrochene Versprechen auf die sächsischen Hochschulen und ihre Studierenden haben? Schauen wir uns um, wie es in anderen Bundesländern läuft. In Bayern, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Saarland sind die Gebühren für Langzeitstudierende längst allgemeinen Studiengebühren gewichen – sie waren sozusagen die Einstiegsdroge. Hessen hat die Langzeitstudiengebühren wie die allgemeinen Studiengebühren abgeschafft. Gerade einmal vier Bundesländer, Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen erheben Gebühren für Langeitstudierende von 500-800 Euro pro Semester.
Nun kommt mit Sicherheit das Argument von schwarz-gelber Seite, mit Thüringen und Sachsen-Anhalt sei Sachsen doch in guter Gesellschaft. Das Gegenteil ist der Fall: Anstatt die umfangreiche Studiengebührenfreiheit ohne wenn und aber aufrechtzuerhalten, rauben CDU und FDP den sächsischen Hochschulen einen der wenigen Vorteile gegenüber den benachbarten Konkurrenten um auswärtige Studierende. Die langzeitstudiengebührenfreien Länder Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch Hamburg, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein werden sich freuen.
Nun werden sie sagen: Wir wollen um auswärtige Studierende werben und nicht um Langzeitstudierende. Aber diese Haltung ist kurzsichtig und ihr liegt letztlich eine bornierte Annahme zugrunde, die ein durchaus ehrenwertes FDP-Mitglied mir gegenüber mit den Worten zum Ausdruck brachte „Aber Herr Gerstenberg, es geht doch nur um die paar Bummelstudenten“.
Mit Langzeitstudiengebühren wird das Bild verbunden, nur so könne man den bis tief in die Nacht in Kneipen abhängenden und bis zum Mittag ausschlafenden Langzeitstudis mal endlich Beine machen.
Dieses weitverbreitete Klischee geht allerdings an der Realität weit vorbei. Die heutigen Langzeitstudierenden sind keineswegs notorische Faulpelze, sondern sie sind die Leidtragenden der unsozialen Studienbedingungen hierzulande.
Warum wird nicht die Studiengebührenfreiheit laut Hochschulgesetz mit Ausnahme der Langzeitstudierenden festgeschrieben?
Es sind die studentischen Eltern, die ihr Studium nicht in der Regelstudienzeit schaffen, weil sächsische Hochschulen so gut wie keine Teilzeitstudiengänge anbieten und Krippenplätze rar sind. Es sind die leistungsorientierten Studierenden, die Praktika und Auslandsaufenthalt absolvieren und deren Bachelor-Studienordnung das schlicht nicht vorsieht. Es sind die in der hochschulischen Selbstverwaltung Engagierten, deren Tätigkeit unzureichend mit Gremiensemestern ausgeglichen wird. Und es sind die Langzeitstudierenden, die in Kneipen zu finden sind – aber nicht vor, sondern hinter dem Tresen, weil sie ohne Bafög-Anspruch bis tief in die Nacht arbeiten müssen, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen.
Diese Studierenden bestrafen Sie, meine Damen und Herren von CDU und FDP, mit Langzeitstudiengebühren für etwas, für das sie nichts können – schlechte Studienbedingungen. Es sind nicht die Studierenden die dafür die Verantwortung tragen, es ist die regierende Politik!
Die genannten Beispiele sind keine Ausnahmen. Aus dem Sächsischen Hochschulbericht 2008 geht hervor: Die sogenannte Regelstudienzeit ist nicht die Regel, sondern für die Mehrheit der Studierenden nicht ausreichend. Ob diese Strafgebühr daran etwas ändert und die Studierenden zu einem schnelleren Studium anhält, ist fraglich. Die Studiendauer sächsischer Absolventen lag über alle Abschlüsse hinweg in den vergangenen Jahren mit durchschnittlich 10 Fachsemestern deutlich unter den Werten anderer Bundesländer, die Langzeitstudiengebühren hatten. Lässt sie das nicht stutzig werden? Und vergessen Sie bitte nicht: Schon jetzt können Studierende exmatrikuliert werden, wenn sie das Studium nicht rechtzeitig schaffen.
Unklar ist, was die Hochschulen rein finanziell von dieser Gebühr haben. Der Verwaltungsaufwand, der mit diesen Gebühren auf die Hochschulen zukommt, ist völlig ungeklärt. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass ein Großteil der einkommenden Gebühren lediglich die Kosten zu ihrer Erhebung finanziert – Bürokratieabbau sieht anders aus, liebe FDP!
Alles in allem sind diese Gebührenpläne nichts anderes als ein populistischer Schnellschuss, der die Studierenden trifft. Er ist kurzsichtig, weil er Studierende bestraft, die wir als Absolventen und künftige Fachkräfte zukünftig so dringend brauchen. Erst wenn die neuen Studiengänge tatsächlich studierbar sind, wenn keine Nebenjobs mehr notwendig sind und ausreichend Kita-Plätze zur Verfügung stehen, dann ist das Studium in der Regelstudienzeit für die Mehrheit der Studierenden realistisch. Nicht eine Strafgebühr steht auf der Tagesordnung, sondern eine Verbesserung der Studienbedingungen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
so eindeutig, wie die eben beschriebenen Pläne sind, so undurchsichtig ist der Koalitionsvertrages bei der Einführung allgemeiner Studiengebühren. Die Formulierung „Sachsen wird keine gesetzlichen Studiengebühren festschreiben“ scheint auf den ersten Blick eindeutig. Auf den zweiten Blick kommen jedoch massive Zweifel.
Warum wird nicht die Studiengebührenfreiheit laut Hochschulgesetz mit Ausnahme der Langzeitstudierenden festgeschrieben? Ist das nur ein Formelkompromiss oder steckt Absicht dahinter? Sollen die Hochschulen die Möglichkeit erhalten, wie im FDP-Wahlprogramm so zynisch formuliert, „ihre Studierenden an den Kosten der Ausbildung zu beteiligen“? Kurz gesagt stellt sich die Frage: Wollen CDU und FDP Studiengebühren durch die Hintertür einführen?
Wie das geht, zeigen beide Parteien seit Jahren in Nordrhein-Westfalen. Im Rahmen des sogenannten „Hochschulfinanzierungsgerechtigkeitsgesetzes“ hat dort jede Hochschule das Recht erhalten, Studiengebühren zu erheben, ohne dass sie gesetzlich dazu gezwungen wäre. Unter dem Druck chronischer Unterfinanzierung haben inzwischen fast alle Hochschulen Studiengebühren eingeführt.
Welche Wahl diese Hochschulen wirklich hatten, sei dahin gestellt. Tatsache ist, dass die Entscheidungen der durch die Professoren dominierten Senate oft nur mit einer Stimme Mehrheit getroffen wurden, teilweise in Geheimsitzungen, um den Protesten der Studierenden zu entgehen. Plant das Schwarz-Gelb nun auch für Sachsen? Vielleicht haben wir unter Haushaltsdruck künftig an der TU Dresden oder in Freiberg Studiengebühren, weil die Bewerberzahlen so hoch sind? Vielleicht bleiben Zittau/Görlitz und Mittweida verschont, weil sie um jeden Studierenden kämpfen müssen?
Eine abschreckende Vorstellung – und ich würde mich freuen, wenn sie eine Mehrheit dieses Landtages für absurd hält. Es zeugt zudem von ausgesprochener politischer Feigheit, wenn den Hochschulen die Entscheidungsverantwortung zugeschoben wird und die Koalition sich die Hände in Unschuld wäscht. Deshalb wollen wir diese Frage hier und heute geklärt haben. Die Argumente gegen allgemeine Studiengebühren sind längst bekannt – ich will sie nicht wiederholen. Herr Ministerpräsident Tillich, bekennen Sie sich zu ihrem Wahlversprechen und schließen Sie klipp und klar die Einführung von Studiengebühren aus!