Gisela Kallenbach: Der sächsische Wald ist im Dauerstress. Sein Gesundheitszustand hat sich seit Jahren auf niedrigen Niveau eingependelt

Redeauszüge der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum "Waldzustandsbericht 2010 – die Zukunft im Blick" in der 33. Sitzung des Sächsischen Landtags, 24.03., TOP 8
Kallenbach: Der sächsische Wald ist im Dauerstress. Sein Gesundheitszustand hat sich seit Jahren auf niedrigen Niveau eingependelt. Eine Stabilisierung ist keine Erfolgsmeldung.
Es gilt das gesprochene Wort!
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Der Sachsen schädigende Tornado zu Pfingsten 2010 sowie die Hochwasserereignisse von August und September 2010 haben es ins Vorwort des Waldzustandsberichts 2010 von Umweltminister Frank Kupfer geschafft. Das heißt, der Klimawandel ist nicht nur in Sachsen sondern auch im Bewusstsein der sächsischen Staatsregierung angekommen!
Dies vorausgesetzt, kann das Leitmotiv der heutigen Diskussion nur heißen: Ist der sächsische Wald in seiner aktuellen Struktur auf die Anforderungen des Klimawandels ausreichend vorbereitet?
Nach sorgfältiger Lektüre des Berichtes kann ich als Antwort nur ein klares Nein geben. Es gibt keinen Grund zur Entwarnung. Deutlich mehr als die Hälfte aller Waldbäume in Sachsen sind geschädigt. Besonders schlecht geht es dabei weiterhin der Eiche. Nur noch 10 Prozent der sächsischen Eichen und 25 Prozent der Buchen sind gesund.
Der sächsische Wald ist im Dauerstress. Sein Gesundheitszustand hat sich seit Jahren auf einem niedrigen Niveau eingependelt. Eine Stabilisierung auf einem solchen Niveau ist noch keine Erfolgsmeldung. Regional verschlechtert hat sich der Waldzustand vor allem im Elbsandsteingebirge, in der Oberlausitz und im Zittauer Gebirge.
Die Belastung durch Säure- und Stickstoffemissionen aus Industrie und Verkehr machen den sächsischen Wäldern und besonders deren Böden schwer zu schaffen. Emissionsmindernde Maßnahmen in diesen Bereichen sind – wie die aktuellen Kürzungen beim ÖPNV zeigen – von dieser Staatsregierung leider nicht zu erwarten. Sie verstärken damit die über Jahrzehnte angesammelten Säure- und Stoffeinträge.
Natürlich haben wir in Sachsen noch sehr lange an einem speziellen geschichtlichen Erbe zu tragen: Ursprünglich war unser Land von Laub- und Mischwäldern bedeckt. Rodungsmaßnahmen unserer Vorfahren drängten über Jahrhunderte diese Wälder stark zurück. Später erfolgte die massenhafte Aufforstung mit anspruchslosen schnellwüchsigen Nadelbäumen in hohem Maße auch auf standortfremden Gebieten. Die häufigsten Baumarten in Sachsens Wäldern sind damit heute immer noch die Fichte mit 35 Prozent und die Kiefer mit 31 Prozent Anteil. In deutlich weniger als 30 Prozent unserer Wälder überwiegen Laubbäume.
Ein Wort zur Waldfläche in Sachsen: Im Landesentwicklungsplan aus dem Jahr 2003 wurde festgelegt, dass der sächsische Waldanteil auf 30 Prozent anzuheben ist. Dieser Anteil wurde nach nunmehr 8 Jahren immer noch nicht erreicht. Derzeit liegen wir bei 28 Prozent. Der Freistaat Sachsen zählt damit zu den waldarmen Ländern der Bundesrepublik. Dabei gibt es genügend landwirtschaftlich wenig ertragreiche Flächen, die keine Naturschutzrelevanz haben mit einem erheblichen Bewaldungspotential. An dieser Stelle könnte der Freistaat aktiv mehr für den Klimaschutz tun: Durch Waldumbau und Neubewaldung lässt sich mehr CO2 binden. Bei nachhaltiger Bewirtschaftung liefern uns diese neuen Wälder zukünftig CO2-neutral erzeugtes Bauholz.
Entscheidend für den Klimaschutz ist allerdings nicht nur die Masse, sondern vor allem die Klasse der Wälder. In Sachsen dominieren noch immer meist gleichaltrige Monokulturen von Nadelbäumen. Diese sind verhältnismäßig artenarm. Sie sind anfälliger für Trockenheit, Stürme und Schadinsektenbefall. Ihre Klimaschutzbilanz fällt darüber hinaus im Vergleich zu Laub- und Mischwäldern sehr viel schlechter aus. Im Unterschied zu Nadelwäldern wird in Laubwäldern der Kohlenstoff stärker in den unteren Bodenschichten gespeichert. Der Umbau von Kiefernwäldern hin zu Laubwäldern kann deshalb die Speicherkapazität der Böden für Kohlenstoff verdoppeln.
Naturnaher Waldumbau heißt auch Trinkwasserschutz: In Laub- und Mischwäldern ist die Sickerwassermenge – also die Menge jenes Wassers, dass im Boden Grundwasser bildet – sehr viel höher. Zudem ist dieses Wasser geringer mit Schad- und Nährstoffen angereichert als unter Nadelbaumbeständen.
Meine Damen und Herren, Sie sehen: Der sächsische Wald der Zukunft muss der naturnahe, standortgerechte Laub- und Mischwald sein, in dem einheimische Arten wachsen.
Wenn Sie, Herr Kupfer, im Internationalen Jahr der Wälder den Waldschutz ernst nehmen, dann müssen sie deutlich entschlossener handeln. Das Motto muss heißen: "Stabilität durch Vielfalt". Wir brauchen Wälder, die den Ausfall vieler Individuen oder ganzer Arten möglichst gut verkraften und ausgleichen können. Bei der Erhöhung der biologischen Vielfalt geht es auch um die genetische Variabilität innerhalb der Populationen.
Derzeit gibt es in Sachsen ca. 200.000 Hektar Staatswald. Die Waldumbaufläche liegt aktuell bei nur 1.300 bis 1.500 Hektar pro Jahr. Das ist zu wenig. Machen wir so weiter, dauert es mehr als 100 Jahre um den sächsischen Wald für den Klimawandel fit zu machen. Sie müssen das Tempo für den Waldumbau deutlich erhöhen, wenn Sie überhaupt noch einen Staatswald haben wollen. Auch hier lohnt der Blick aufs Detail: Die Verjüngung der Wälder mit Hilfe großflächigen Kahlschlags ist ebenso wie die Holzernte mittels Kahlschlag kontraproduktiv!
Nicht nur die Naturschutzbilanz auch die Treibhausgasbilanz der Kahlschlagbewirtschaftung ist im Vergleich zu natürlichen Verjüngungsarten der Dauerbewirtschaftung katastrophal. Die Forschungsergebnisse sind eindeutig: Nach einem Kahlschlag nimmt der Ausstoß des klimaschädlichen Lachgases dramatisch zu. Dabei verringert sich die Fähigkeit des Bodens das Treibhausgas Methan aufzunehmen. Hier sind Verjüngungsmethoden, bei denen der Altbaumbestand nur teilweise entfernt wird, deutlich umweltverträglicher.
Waldumbau kann aber nur ein Schritt sein, den sächsischen Wald für den Klimawandel fit zu machen. Die neuen, wachsenden Belastungen durch extremere Klimaereignisse erfordern mehr Reaktions- und Anpassungsfähigkeit der Natur. Die erreichen wir nur durch möglichst ungestörte Ökosysteme und natürliche Prozesse. "Wildnis wagen!" ist hier das richtige Stichwort. Das bedeutet konkret: Naturschutz und Erhalt der Biodiversität müssen im sächsischen Wald eine viel größere Rolle als bisher spielen. Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt gibt als Ziel aus, mindestens fünf Prozent der Wälder aus Naturschutzgründen aus der Bewirtschaftung herauszunehmen. Von solch einem ersten Schritt sind wir noch weit entfernt.
Wenn wir das Ökosystem Wald auch in Zeiten des Klimawandels erhalten wollen – und das wird schwer genug –, dann müssen wir der Regenerationsfähigkeit und Stabilität des Waldes wesentlich mehr Raum einräumen. Dies wird durch Prozesse wie Naturverjüngung, Altern und Absterbenlassen von Bäumen erreicht. Und hier hat Sachsen noch großen Nachholbedarf:In Sachsen finden Sie derzeit ca. 3,5 Kubikmetern Totholz pro Hektar Wald vor. Zum Vergleich: In der Schweiz beträgt der Totholzanteil das Dreieinhalbfache. Ich wünsche mir, dass wir uns in Sachsen nicht nur zu einer naturgemäßen Waldwirtschaft sondern auch zu ausreichend großen Totalreservaten zur Entwicklung der Urwälder von morgen bekennen. Langfristiges Ziel beim Waldumbau muss es sein, dass alle heimischen Baumarten ohne aufwendige Schutzmaßnahmen aufwachsen können.
Vor allem die Rotwildbestände sind derzeit für eine Naturverjüngung ohne kostenintensiven Zaunbau in weiten Teilen Sachsens zu hoch. Sachsen muss dazu übergehen, dass nicht Wildzählungen, sondern Verbissgutachtungen Grundlage für die Herleitung von Abschusszahlen sind.
Was bleibt als Fazit? In Sachsen wächst heute häufig genug kein Wald. Man muss teilweise immer noch von Monokulturen sprechen, die konsequenterweise nur den Namen eines "Forstes" verdienen. Und diese Forsten, meine Damen und Herren, sind derzeit leider noch viel zu wenig in der Lage, die Anforderungen des Klimawandels zu meistern.