Gisela Kallenbach: Fluglärm – Was ist uns die Gesundheit der Menschen rund um Flughäfen wert?

Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ‚Fluglärm reduzieren – Nachtruhe durchsetzen‘ (Drs. 5/11793), 79. Sitzung des 5. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 20. Juni, TOP 7

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident,
Meine Damen und Herren Kollegen,
unseren neuerlichen Versuch, die Staatsregierung zu mehr Fürsorge für die von Lärm betroffenen Flughafenanrainer aufzurufen, beginne ich mit einem Zitat: Im GG Art. 2 (2)heißt es: „Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.“ Zu Recht berufen sich die Menschen, deren Gesundheit durch nächtlichen Fluglärm geschädigt oder bedroht ist, auf diesen Grundgesetz-Artikel und fordern dessen Gültigkeit ein.
 
Natürlich wissen sie und wir: die Planfeststellungsbeschlüsse zum Flughafen Leipzig/Halle wurden höchstrichterlich als rechtskonform bewertet. Dennoch, auch richterliche Beschlüsse sollten neuen Entwicklungen Rechnung tragen, aber noch viel mehr: politische Gremien müssen alles nur Mögliche unternehmen, um gesundheitliche Schäden von der Bevölkerung abzuwenden, zumal der Flughafen eine öffentliche Gesellschaft ist.
Der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichtes hat in seinem Urteil vom 4.4.2012 zum Flughafen Frankfurt/Main den Lärmschutzinteressen der Menschen Vorrang vor den wirtschaftlichen Interessen der Fluggesellschaften eingeräumt. Das ist eine neue Situation, dem unser Antrag folgt. Bitte vermitteln Sie als Staatsregierung und Koalition den Betroffenen, warum die Gesundheit der Bewohner rund um den Leipziger Flughafen weniger wert sein soll als das der Frankfurter.
Wenn Sie sich die Entwicklung am Flughafen Leipzig/Halle vom Internationalen Kontinental-Flughafen mit Personenverkehr zum Frachtflughafen in den letzten Jahren ansehen, wissen Sie, dass dieses nur mit erhöhten Lärmbelastungen verbunden sein kann.
Was ist uns die Gesundheit der Menschen rund um Flughäfen wert? Wie werden in diesem Bereich die sozialen und ökologischen Aspekte mit den ökonomischen in Einklang gebracht? Damit wären wir wieder bei der in diesem Hause so hoch gelobten Nachhaltigkeitsstrategie, der sich der Freistaat angeblich verpflichtet fühlt.
Wer nicht von Fluglärm betroffen ist, macht sich kein Bild von den Auswirkungen. Fluglärm führt zu erhöhten Ausschüttungen von Stresshormonen, Herz und Kreislauf werden geschädigt.
Prof. Eberhard Greiser hat im Auftrag des Umweltbundesamtes in einer epidemiologischen Studie bereits 2009 den Zusammenhang von nächtlichem Fluglärm und stationär behandelten Erkrankungen rund um den Flughafen Köln-Bonn nachgewiesen. Mit über 1 Mio. Patientendaten war das die größte derartige Studie.

Belastungen einer Region durch Nachtflug lassen sich an der deutlich erhöhten Verschreibung blutdrucksenkender Mittel sowie Herz-Kreislauf-Medikamente ablesen. Frauen bekommen wesentlich mehr Schlafmittel, Beruhigungsmittel und Antidepressiva – das ist auch in der Region Leipzig/Halle der Fall.
Die WHO empfiehlt einen Mittelpegel von 40 db. Als Übergangsziel nennt sie akzeptable 55 db. Diese Marke wird in unserer Region zig Mal im Monat überschritten. Regelmäßig liegt der Dauerschallpegel bei 60 db. Zum Vergleich: die TA Lärm legt für reine Wohngebiete nachts den Grenzwert von 35 db fest.
Dennoch ist die Staatsregierung der Auffassung, dass die getroffenen Regelungen zum Lärmschutz am Flughafen Leipzig/Halle „ den Belangen der Betroffenen und dem Schutz der Nachtruhe angemessen Rechnung“!
Herr Staatsminister, Sie sollten eigene Erfahrungen sammeln und sich nicht nur auf die Zuarbeiten von Beamten verlassen. Verbringen Sie eine oder mehrere Nächte bei den Betroffenen. Diese werden Ihnen gerne Unterkunft gewähren.
Dann können Sie auch erleben, dass es gewisse Diskrepanzen zwischen Theorie und Praxis gibt– ich zitiere nochmals aus Ihrer Antwort:
„Nach höchstrichterlicher Gewichtungsvorgabe entsprechend Luftverkehrsgesetz kommt der Kernzeit der Nacht (00.00 bis 05.00 Uhr) besonderes Gewicht zu und ist grundsätzlich von Verkehr frei zu halten.
Ich stelle Ihnen gerne eine normale Nacht mit DHL-Flugbetrieb vor:
Im Schnitt starten und landen 25 Maschinen. Um 04.34 landet die TU 204, um 04.35 eine AN26, um 04.55 die nächste AN26, um 05.45 wieder eine AN 26 und 05.55 landet die AN124.
Gilt der §29b Abs 1 nicht in Leipzig/Halle?!
Wir wollen, dass die Menschen nachts schlafen können. Der Freistaat soll tun, was in seiner Macht steht und Einfluss nehmen auf Bahnverteilung, Flugrouten, die Anwendung der Bonusliste sowie Start- und Landegebühren. Der Flughafen Leipzig/Halle hat die niedrigsten Start- und Landegebühren Deutschlands, speziell für Nachtflüge. Das ist nur auf Kosten von Gesundheit- und Umweltschutz möglich und daher abzulehnen.
Sie haben aber auch noch weitere Gestaltungsmöglichkeiten, z.B. über den Bundesrat durch eine Gesetzesnovelle auf Bundesebene. Das würde der Staatsregierung – aus Verantwortung und Fürsorge für die Gesundheit der Bewohner ihrer Region gut zu Gesicht stehen und würde dem Gleichheitsgrundsatz Rechnung tragen. Wir wollen gesetzlich festgelegte Schutzziele: Ein klares Lärmminderungsgebot im Luftverkehrsgesetz und einheitliche Lärmobergrenzen, auf nationaler Ebene und in der EU. Sie müssen auf mittelfristig 55 db tags und 45 db nachts gesenkt werden – bei Gleichstellung ziviler und militärischer Flüge.
Der Deutsche Ärztetag fordert Bund und Länder auf, sich für den umfassenden Schutz der Bevölkerung vor Fluglärm, besonders in der Nacht, einzusetzen. Die Ärzte sagen: die Lärmobergrenzen müssen „deutlich nach unten korrigiert werden“. Prävention hat Vorrang vor der Therapie vermeidbarer Erkrankungen.
Die Frage sei gestattet: Warum wird so viel geflogen? Richtig, weil Fliegen so billig ist. Das Taxi zum Flughafen ist mitunter teurer als der Flug selbst.
Das ist nur möglich, weil der Luftverkehr wird von allen Verkehrsträgern am stärksten subventioniert wird – selbst wenn man Emissionshandel und Luftverkehrssteuer einrechnet.
Die Staatsregierung argumentiert: die Luftverkehrssteuer habe keine ökologische Steuerungsfunktion und gehöre abgeschafft. Sie wollen also wieder noch größere Unterschiede in der Besteuerung der verschiedenen Verkehrsträger einführen. Moment mal, liege ich falsch, wenn ich bisher davon ausgegangen war, dass die Liberalen für einen freien Wettbewerb und gegen Subventionen sind?!
Wie dem auch sei: die Proteste der Bürger haben einen winzigen Erfolg gebracht. Die AN-12 fliegt zunächst nicht weiter. DHL stellte die Maschinen freiwillig außer Betrieb – bis 2015. Dafür nerven andere, die noch lauter sind.
Der Ausbau des Flughafens Leipzig/Halle war mit dem Versprechen verbunden, dass nicht über dicht besiedeltes Gebiet geflogen wird. Erst als die Widerspruchsfristen verstrichen waren, ließ die Deutsche Flugsicherung die Katze aus dem Sack. Die als letztgültig veröffentlichten Flugrouten waren leider ganz anders als die im Planungsverfahren. Das ist weder hinnehmbar noch vermittelbar. Da sehe ich die Staatsregierung in mittelbarer Verantwortung.
Bei der Festlegung der Routen muss auch das verständliche Interesse der betroffenen Anwohner auf Lärmminderung eine gleichberechtigte Rolle spielen.

Luftverkehr ist wichtig, auch für die Mitteldeutschland. Dennoch müssen für eine zukunftsfähige Entwicklung der Region soziale und ökologische Aspekte den gleichen Stellenwert bekommen wie die ökonomischen.
Faire Abwägungsprozesse sind unerlässlich und Alternativen vorhanden. Insbesondere der schienengebundene Güterverkehr hat enorme Ausbauchancen.
Stellen Sie sich der Forderungen unseres Grundgesetzes und stimmen Sie unserem Antrag zu.

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