Gisela Kallenbach: Waldzustandsbericht – Kein Grund zur Entwarnung!

Redebeitrag der Abgeordneten Gisela Kallenbach zum Waldzustandsbericht (Drs 5/14150)
95. Sitzung des Sächsischen Landtages, 10. April 2014, TOP 12

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
der jährliche Waldzustandsbericht steht auf der Tagesordnung, offenbar business as usual.
Ja es ist ermüdend, jedes Jahr unverändert festhalten zu müssen: Der sächsische Wald ist im Dauerstress. Sein Gesundheitszustand hat sich seit Jahren auf einem niedrigen Niveau eingependelt.
Laut Waldzustandsbericht sind nur ein reichliches Drittel der sächsischen Waldfläche als gesund einzustufen, 46 % werden als schwach geschädigt (Schadstufe 1) und 17 % der Waldfläche als deutlich geschädigt (Schadstufe 2-4) bewertet. Es gibt also keinen Grund zur Entwarnung. In Sachsen dominieren noch immer meist gleichaltrige verhältnismäßig artenarme Monokulturen von Nadelbäumen. Auf der Hälfte der rund 200.000 Hektar des Staatswaldes wachsen Fichten außerhalb ihres natürlichen Verbreitungsgebietes. Damit sind wir immer noch weit von naturnahen Wäldern mit entsprechender Artenzusammensetzung entfernt.
Gerade die dominierenden Fichten sind als Flachwurzler viel anfälliger für Trockenheit, Stürme und Schadinsektenbefall. Ihre Klimaschutzbilanz fällt zusätzlich im Vergleich zu Laub- und Mischwäldern viel schlechter aus. Im Unterschied zu Nadelwäldern wird in Laubwäldern der Kohlenstoff stärker in den unteren Bodenschichten gespeichert. Der Umbau reiner Nadelwälder hin zu Mischwäldern kann deshalb die Speicherkapazität der Böden für Kohlenstoff verdoppeln und ist als Klimaanpassungsmaßnahme dringend nötig.
Mit 38 Prozent bzw. 42 Prozent "deutlichen Schäden" (Schadstufen 2 – 4) geht es allerdings ausgerechnet den dringend benötigten Laubbaumarten Buchen und Eichen in Sachsen auch 2013 schlecht.
Dafür hauptverantwortlich sind die Einträge von Stickstoffverbindungen. Diese zentrale Erkenntnis ist nicht neu und wird erneut im Jahre 2013 bestätigt: Die Einträge von Ammoniumstickstoff liegen in Sachsen unverändert über der kritischen Belastungsgrenze und zwar großflächig. Die Stickstoffeinträge haben sich in den letzten zehn Jahren nur wenig verändert, sodass die sogenannten kritischen Belastungsraten (= Critical Loads) für eutrophierenden Stickstoff stets überschritten sind.
Die beiden größten Verschmutzer der Luft mit Stickstoffverbindungen sind dabei die Landwirtschaft und der Autoverkehr. Die Landwirtschaft ist mit ihren vor allem aus der Tierproduktion stammenden Ammoniakausgasungen aus Gülle und Stallmist für einen Teil der Stickstoff-Schadgase verantwortlich. Beim Straßenverkehr trägt vor allem der Schwerlastverkehr zu einer Stickoxidbelastung aus den Auspuffrohren bei.
Meine Damen und Herren, ich kann es nur jährlich wiederholen: Der sächsische Wald der Zukunft muss der naturnahe, standortgerechte Laub- und Mischwald sein, in dem einheimische Arten wachsen.
Wenn die Staatsregierung dieses Ziel mit uns teilen würde, dann müssten sie allerdings beim Waldumbau deutlich entschlossener handeln. Wir brauchen Wälder, die den Ausfall vieler Individuen oder ganzer Arten möglichst gut verkraften und ausgleichen können. Bei der Erhöhung der biologischen Vielfalt geht es auch um die genetische Variabilität innerhalb der Populationen.
Wir GRÜNEN wollen den Waldumbau beschleunigen, d. h. mehr als aktuell jährlich 1.300 Hektar Nadelmonokulturen zu Mischwäldern entwickeln.
Waldumbau kann aber nur ein Schritt sein, den sächsischen Wald für den Klimawandel fit zu machen. Die neuen, wachsenden Belastungen durch extremere Klimaereignisse erfordern mehr Reaktions- und Anpassungsfähigkeit der Natur. Die erreichen wir nur durch möglichst ungestörte Ökosysteme und natürliche Prozesse.
Schaut man in die sächsische Waldstrategie 2050, liegt der Teufel aber im Detail:
Wie üblich, setzt das SMUL auch hier wieder die Alibi-Zertifizierung "Programme for the Endorsement of Forest Certification Schemes" (PEFC) mit dem wesentlich strengeren "Forest Stewardship Council"-(FSC)-Siegel gleich. Aus unserer Sicht haben wir damit keine ökologischen Mindeststandards für eine naturnahe Waldwirtschaft. Das PEFC-Siegel wurde von der Holzindustrie Mitte der 1990er Jahre eingeführt, weil ihr die (auf die Initiative
von Umweltverbänden zurückgehende) FSC-Zertifizierung zu ökologisch-anspruchsvoll und zu teuer war.
Insofern ist PEFC faktisch als Alibi-Zertifizierung zu betrachten.
Wir fordern, dass mittelfristig 50 % der sächsischen Staatswälder endlich nach den internationalen Kriterien für verantwortungsvolle Waldwirtschaft des "Forest Stewardship Council" (FSC) bewirtschaftet werden. Nach den anspruchsvollen ökologischen und sozialen Qualitätsstandards wurde bisher allerdings erst 1 Prozent der sächsischen Waldfläche zertifiziert.
Das sind ca. 5.000 Hektar. Zum Vergleich: Die Hälfte des Staatswaldes im Bundesland Rheinland-Pfalz – immerhin 110.000 Hektar – ist bereits nach dem Standard des FSC zertifiziert.
Aktuell befinden sich die Landeswälder von Hessen und Baden-Württemberg im Zertifizierungsprozess. Die Wälder der Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Schleswig-Holstein und Berlin sowie zahlreiche Gemeinde- und Privatwälder sind bereits nach den Standards des FSC zertifiziert.
Leitbild der angestrebten Wirtschaftswälder beim FSC-Siegel sind naturnahe Waldökosysteme, die sich bezüglich Baumartenzusammensetzung, Vorrat, Dynamik und Struktur den natürlichen Waldgesellschaften annähern.
Mit einem Wechsel zu FSC wären u. a. folgende Konsequenzen verbunden: jährliche Flächenprüfung; Mitsprache der beteiligten Umweltverbände bei der Zertifizierung; Ausweisung von 5 % unbewirtschafteter Waldfläche als Referenzbereiche; mindestens zehn tote Bäume pro Hektar belassen; nur natürlicherweise im Gebiet vorkommende Baumarten (also keine Douglasien oder Roteichen).
Die geplante Steigerung des Holzeinschlags im Staatswald von derzeit ca. 1 Mio. m³/Jahr auf 1,4 Mio. m³ sehen wir kritisch. Aktuell zeigt sich immer mehr, dass die sächsische Forstwirtschaft voll auf Rationalisierung setzt – mit immer größeren Maschinen, mit immer größeren Revieren und offenbar auch wieder mit mehr Kahlschlägen.
Die nationale Strategie zur biologischen Vielfalt gibt als Ziel aus, mindestens fünf Prozent der Wälder aus Naturschutzgründen aus der Bewirtschaftung herauszunehmen. Von solch einem ersten Schritt sind wir noch weit entfernt.
Das bedeutet konkret: Naturschutz und Erhalt der Biodiversität müssen im sächsischen Wald eine viel größere Rolle als bisher spielen. Wenn wir das Ökosystem Wald auch in Zeiten des Klimawandels erhalten wollen – und das wird schwer genug –, dann müssten wir der Regenerationsfähigkeit und Stabilität des Waldes wesentlich mehr Raum einräumen.
Aber auch hier zeigt sich wieder das eingeschränkte Naturschutzverständnis der sächsischen Forstpolitik. Prozessschutz wird in der Waldstrategie 2050 nur auf wenige große Schutzgebiete sowie die verschwindend geringen Naturwaldzellen begrenzt. Wichtig wäre aber ein klares Prozentziel, wie viel Totalreservatsschutz garantiert werden soll. Ebenso fehlen Zielvorgaben für das "zu erarbeitende Konzept ‚Altholzinseln und Totholz’". Es gibt auch keine Aussagen zu sonstigen Biotopen, die für die biologische Vielfalt in Wälder wichtig sind (Gewässer, Waldwiesen, Moore …).
Wir GRÜNEN wollen den Anteil der Waldflächen, in denen natürliche Prozesse ungestört ablaufen können, mittelfristig im Staatswald auf 10 Prozent erhöhen.
Meine Damen und Herren, es wäre an der Zeit, dieses jährliche Vorstellungsritual auszusetzen und als Staatsregierung endlich deutlich die Verursacher der Waldschäden zu benennen. Nach einer solchen Analyse wäre es höchste Zeit für eine nachhaltigkeitsorientierte Verkehrs- und Landwirtschaftspolitik. Sie sind am Zuge, den Begriff der Nachhaltigkeit des Oberberghauptmanns Hannß Carl von Carlowitz nicht nur als sächsische Erfindung zu vereinnahmen, sondern endlich mit Leben zu füllen.
Sollten Sie Anregungen benötigen: Auf der Webseite der GRÜNEN Landtagsfraktion finden Sie sowohl mit dem SACHSENTAKT 21 als auch mit unserer Biodiversitätsstragie Sachsen jede Menge an konkreten Maßnahmenvorschlägen. Eine ernsthafte Beschäftigung mit beiden Konzepten wäre mehr als nötig in Sachsen.
Ich befürchte allerdings, dass dies mit dieser CDU/FDP-Koalition in Sachsen, die auf Straßenneubau und Massentierhaltung setzt, wohl nur Wunschdenken bleibt.