Johannes Lichdi: Wie lange will die Staatsregierung den Kopf in den Sand stecken und die Ermittlungen gegen die Müllmafia nicht zur Kenntnis nehmen?

Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zur Einsetzung des Untersuchungsausschusses „Abfall“, 14. Sitzung des Sächsischen Landtages, 29. April 2010, TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren, einer Begründung heute für diesen Untersuchungsausschuss bedarf es wirklich nicht mehr – dieser Untersuchungsausschuss ist viele Jahre lang begründet worden. Begründet durch ihre Politik, Sachsen zu einem der größten Müll-Importländer zu machen. Er ist begründet worden durch ihre offensichtliche Untätigkeit bei der Behebung von Missständen, der illegalen Verschiebung von Müll sowie der Verhinderung und Aufklärung von Bränden. Sie haben die Umweltverwaltung durch ihre sogenannten „Verwaltungsreformen“ systematisch geschwächt und personell reduziert.
Vier Jahre lang habe ich mir in diesem Hause den Mund fusslig geredet, aber sie von der CDU glaubten in ihrer intellektuellen Behäbigkeit, Machtarroganz und ihrem womöglich genetisch konditionierten Regierungsvertrauen, sie müssten nicht zuhören.
Ihre wechselnden Landwirtschaftsminister, die sich ja seit eh und je nur höchst unwillig um Umweltthemen kümmern, haben ihre Aufgaben und Pflichten nie ernst genommen. Sie glaubten, die Opposition aus GRÜNEN und LINKEN mit hohlen Sprüchen beruhigen zu können. Ihre verhängnisvolle Politik in Frage gestellt oder gar geändert haben sie nie!
2006 verteidigte der damalige Minister Tillich die Müllimporte nach Sachsen vehement. Kein Umsteuern – ganz im Gegenteil: damals importierte Sachsen nur die Hälfte der heutigen Menge!
2007 beteuerte Kurzzeit-Landwirtschaftsminister Wöller, dass er das Problem der Brände ernst nehme und eine Sonderüberwachung eingeleitet habe – leider hat die nichts gebracht.
Den Gipfel der Unverschämtheit erklomm kürzlich im Januar Minister Kupfer, der gleich gänzlich die Aussage vor dem Landtag verweigerte. – Wären wir in einem Strafprozess und ich der Verteidiger von Herrn Kupfer, so würde ich ihm auch zur Aussageverweigerung raten. Denn Herr Kupfer ist eindeutig schuldig der Leugnung und Verschleppung der Probleme und schuldig des Unwillens und der Unfähigkeit, Recht und Gesetz durchzusetzen!
Andrea Roth hat die Hintergründe beschrieben, dass die Politik der Staatsregierung von Grunde auf verfehlt ist, weil sie nicht auf eine Kreislaufwirtschaft gesetzt und Überkapazitäten geschaffen hat.
Was soll aufgeklärt werden?
Sachsen steigerte den Import von Müll seit 2001 um knapp 800 % und liegt mit der absoluten Menge von ca. 800.000 Tonnen an zweiter Stelle hinter Nordrhein-Westfalen. Der Import gefährlichen Abfalls ist mit Hilfe der CDU-Regierung zum Geschäftsmodell geworden!
Wollen Sie, dass Sachsen weiterhin eines der größten Müllimportländer in Deutschland bleibt? – Wollen Sie weiterhin gefährlichen Müll in Größenordnungen an der Öffentlichkeit vorbei auf dafür nicht genehmigte Deponien leiten?
Allein in Cröbern wurden zwischen 2003 und 2006 230.000 Tonnen Abfall der Deponieklasse III aus Italien geliefert, obwohl Cröbern nur auf die Deponieklasse II zugelassen war. – Und das jeweils mit einer Sondergenehmigung des Regierungspräsidiums Leipzig (4/15901).
Warum hat der damalige Landwirtschaftsminister Wöller dem Umweltausschuss im März 2007 den Import der berüchtigten Lieferung von 150.000 Tonnen unsortiertem Siedlungsabfall verschwiegen, der bis heute verschwunden ist?  
Wie konnten die sächsischen Abfallbehörden darauf vertrauen, dass sie aufbereiteten Hausmüll aus Neapel erhalten, obwohl es in ganz Kampanien keine Aufbereitungsanlage gibt?
Wann endlich bequemt sich ein zuständiger Minister zur Stellungnahme, dass das amtliche Importdokument verfälscht worden ist? – Ist es in Sachsen etwa der Normalfall, dass amtliche Importdokumente nur die Fassade scheinbarer Rechtmäßigkeit bilden, aber sonst nicht ernst genommen werden?
Sollte etwa verdeckt werden, dass der Import in jedem Fall durchgeführt werden sollte, obwohl unbehandelter Hausmüll in Cröbern gar nicht abgelagert werden darf?
Herr Kupfer stellt sich tot – er dementiert auch nicht die Rechtswidrigkeit. Er schweigt einfach und hofft, dass sich keiner dafür interessiert. Wir interessieren uns aber dafür!
Wann endlich erklärt ein sächsischer Landwirtschaftsminister, dass die Verschiebung von mindestens 106.000 Tonnen Italien-Müll nach Sachsen-Anhalt rechtswidrig war? Ist es reiner Zufall, dass gerade gegen den Betreiber dieser Deponie in Sachsen-Anhalt strafrechtlich ermittelt wird?
Aber die CDU hält ja das von ihr regierte Sachsen für eine Insel der Seligen, auf der so was gar nicht vorkommen kann!
Wie lange will die Staatsregierung den Kopf in den Sand stecken und die Ermittlungen gegen die Müllmafia in Italien und Deutschland nicht zur Kenntnis nehmen?
Hat sie eigentlich den Bericht des Bundeskriminalamtes zu Kenntnis genommen? Das Bundeskriminalamt spricht davon, dass die Verschiebungen qualitativ und quantitativ herausragend seien und kritisiert die unzureichende Überwachung.
Lässt es die Regierung etwa kalt, wenn der SPIEGEL in einem Artikel über den „Müll der Camorra“ auch über Sachsen berichtet? Oder nimmt sich die sächsische CDU in ihrer Allmachtsphantasie den Altkanzler Kohl zum Vorbild, der den SPIEGEL angeblich auch nicht gelesen hat?
Beispielhaft greife ich die zahlreichen Brände heraus.
Meine Kleinen Anfragen brachten es ans Licht: seit 2003 hat es ungefähr ca. 90 Mal auf Recyclinganlagen oder Abfalllagerstätten in Sachsen gebrannt. Wir erinnern uns noch lebhaft an den tagelangen Brand Anfang April in einer Abfalllagerhalle – einer Lagerhalle ausgerechnet der Kreiswerke Delitzsch!
Durchaus kein Einzelfall – Im Juli 2007 brannte die Recyclinganlage der CED in Chemnitz – die schwarze Rauchsäule stieg hunderte Meter auf. Später kam heraus, dass das Umweltamt Chenmitz 4 Monate zuvor die Anlage inspiziert hatte und erhebliche Mängel und Brandgefahren festgestellt hat. Passiert ist trotzdem nichts, bis es dann brannte.
Die Staatsanwaltschaft hat ermittelt. Sie geht von Brandstiftung aus, konnte aber keinen Täter finden. Bisher wurde nach meiner Kenntnis überhaupt kein Täter gefunden und verurteilt! – Sollen wir uns damit zufrieden geben – und es CDU-ergeben weiter brennen lassen?
Minister Wöller hat angeblich 208 Anlagen überprüfen lassen. Außerdem sollten die Behörden bei der Genehmigung mehr Wert auf den Brandschutz legen. Ich bin begeistert!
Geholfen hat es jedenfalls nichts. Es hat im gleichen Takt weiter gebrannt – nur diesmal geht die Staatsregierung noch von mehr Brandstiftung aus als bisher. So sieht der Fortschritt in Sachsen aus!
Meine Damen und Herren,
diese Regierung will nicht kontrollieren, sie weigert sich, das Recht zum Schutz von Mensch und Umwelt durchzusetzen. Sie lässt rechtsfreie Räume zu, in denen sich Kriminelle tummeln können.
Sachsen ist nicht die Insel der Seligen. Sie hatten lange Anlass und Zeit zum Handeln. Sie haben es vorgezogen, weiter die Zügel schleifen zu lassen.
Jetzt wird dieser Untersuchungsausschuss aufklären und Sie zum Handeln zwingen!
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.