Johannes Lichdi: Wir halten es für unmoralisch, unseren Atommüll den um Majak lebenden Menschen vor die Haustür und buchstäblich ins Trink- und Brauchwasser zu kippen

Ist Ihnen bewusst, Frau Ministerin, an welchem Spiel Sie sich hier beteiligen?
Rede des Abgeordneten Johannes Lichdi zum Antrag „Atommülltransporte nach Majak verhindern“ in der 27. Sitzung des Sächs. Landtages, 17.12., TOP 7
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
wir fordern Sie heute auf, den Transport des hochangereicherten Urans aus dem Forschungsreaktor Rossendorf aus dem Zwischenlager Ahaus in die Atomwaffenfabrik Majak im Südural endgültig abzusagen.
Wir glauben, dass sich der Freistaat Sachsen nicht hinter den Nichtverbreitungs-Vereinbarungen zwischen den USA und Russland verstecken kann. Zumindest eines ist jetzt nach den Auskünften von Staatssekretär König am 26.11. im Umweltausschuss klar: Es besteht eben keine völkerrechtliche Pflicht,  sächsischen Atommüll nach Russland zu fahren.
Und ein weiteres ist aufgrund des Gutachtens der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit auch klar: der weitere Verbleib in Ahaus und die Verbringung in ein deutsches Endlager entspricht dem Atomgesetz. Es besteht also kein Grund zur Eile!
Ihnen geht es schlicht darum, Entsorgungskosten zu sparen und in Rossendorf „Schöne Neue Welt“ zu spielen. Aber wir vergessen nicht, dass in Rossendorf weiterhin 9 Gramm Plutonium liegen, für den sie weiterhin keinen Entsorgungsplan haben. 
Sie wollen eine russische Billigentsorgung nach dem Motto „aus dem Augen aus dem Sinn“. Wir wollen es aber nicht verantworten, unseren Atommüll in eine der verstrahltesten Regionen der Welt in ein Zwischenlager zu schicken, das bekanntermaßen nicht sicher ist.
Wir halten es für unmoralisch, unseren Atommüll den dort lebenden Menschen vor die Haustür und buchstäblich ins Trink- und Brauchwasser zu kippen, die dort leben und leiden (und den Kalauer von der C-Partei spar ich mir jetzt).
Was ich mir aber nicht spare: Seit 1990 haben insb. sächsische Bürgerinnen und Bürger für den Aufenthalt von von derRektorkatastrophe in Tschernobyl geschädigten Kindern in Volkersdorf vor den Toren Dresdens 2 Mio Euro gespendet. – Wollen Sie verantworten, dass wir morgen für die Schäden an der Gesundheit der Kinder von Majak mitverantwortlich sind?
Unnötiger Transport
Sie sind mit Ihrer Strategie des Verharmlosens und Totschweigens gescheitert. Sie hatten gehofft, dass sich kein Mensch mehr für den weiteren Verbleib des Atommülls interessiert, nachdem sie ihn 2005 mit großem Aufwand und Kosten nach Ahaus in Nordrhein-Westfalen gekarrt hatten.
Dieser Transport war vollkommen unnötig, wie wir heute wissen. Damals antwortete mir der damalige Umweltminister und heutige Ministerpräsident Tillich, dass der sächsische Atommüll schließlich von Ahaus in ein deutsches Endlager geschafft werde, das 2030 bestehen sollte. Tillich antwortete mir das damals, obwohl die Staatsregierung seit 2004 wusste,  dass der Atombrennstoff aufgrund russisch-amerikanischer Vereinbarungen wieder nach Russland transportiert werden sollte.
Sie können sich jetzt aussuchen, ob sie diese Falschinformation als Lüge bezeichnen wollen oder nicht. Ich wüsste jedenfalls nicht, welchen anderen Ausdruck die deutsche Sprache für diesen Sachverhalt bereithält. Immerhin hat Sachsen diese Ahaus-Fahrt unnötigerweise 4,34 Mio € gekostet. Aber davon wollen Sie ja auch nichts hören.
Herr Flath hat sich öffentlich geärgert, dass Sachsen 35 Mio € für die „Verwertung“ in Majak zahlen soll. Offiziell sind es „ca 38 Mio €“. Dennoch verfolgt Frau von Schorlemer diesen Weg weiter, weil er immer noch billiger ist, als eine Entsorgung in Deutschland. Auch dies hat Staatssekretär König bestätigt. Der Freistaat möchte nämlich Genehmigungskosten für die Prüfung der weiteren Sicherheit der MTR 2 – Castoren in Ahaus sowie die Konditionierung für die Endlagerung sparen.
Leider und bezeichnenderweise hat Staatssekretär König im Umweltausschuss sich sehr unklar ausgedrückt: Er sprach von einer „erheblichen Kostenbelastung“ in „Mio Höhe“. Die Kosten der Endlagerkonditionierung seien „nicht bezifferbar“.
Kritik an Ministerin
Nein, sie spielen mit falschen Karten und setzen darauf, der Öffentlichkeit überhaupt keine Informationen zu geben. Leider verfolgt auch die jetzige Staatsministerin für Wissenschaft und Kunst diese Strategie.
Und Frau Professer Dr. Freifrau von Schorlemer, hier möchte ich Sie persönlich ansprechen: Sie sind ja als Quereinsteigerin mit Vorschusslorbeeren gestartet. Sie haben sich bisher einen gewissen Respekt bei der Opposition bewahrt.
Ich frage Sie, ist Ihnen bewusst, an welchem Spiel Sie sich hier beteiligen? Wie kann es sein, dass Sie an der Vertuschung und Verschleierung über diesen Atomtransport teilnehmen? Haben Sie wahrgenommen, was sie unterschrieben haben? Wer hat Ihnen in Ihrem Ministerium was erzählt?
Oder haben Sie sich für diese Fragen überhaupt nicht interessiert? Stehen Sie so stark unter Druck stehen, wenn Sie ihren „Parteifreund“ Röttgen für seine richtige Entscheidung derart „ungebührlich“ angreifen?
Ich sage Ihnen: Sie stärken das Vertrauen in ihre persönliche Integrität nicht, wenn Sie mir im Juli 2010 antworten, dass der Bestimmungsort des Atomtransports „aus Sicherungs- und Sicherheitsgründen der Vertraulichkeit“ unterliege. Frau Staatsministerin: Sie haben die verfassungsrechtliche Pflicht, Abgeordnete wahrheitsgemäß und vollständig zu unterrichten. Und diese Pflicht haben Sie verletzt!
Denn im September 2010 hat das Bundesamt für Strahlenschutz den Endverbleibsort Majak im Südural ganz offen und selbstverständlich genannt. Hat jetzt etwa das Bundesamt eine Vertraulichkeitspflicht gebrochen? Entsprechende Vorwürfe von Ihnen habe ich nicht gehört. – Es wird eben schon so sein, dass sie die sächsische Öffentlichkeit im Unklaren lassen wollten.
Absage Bundesumweltminister Röttgen
Vielleicht sollten Sie einfach mal zu Kenntnis nehmen, was ihr Bundesumweltminister, bekanntermaßen ein Atomkraftbefürworter, am 6. Dezember gesagt hat: Zitat Röttgen: „Voraussetzung … wäre der Nachweis, dass die Brennelemente in der russischen Anlage Majak schadlos verwertet werden.“ Die vorliegenden Unterlagen ließen dazu aber eine endgültige Aussage nicht zu.
Dies ist eine diplomatisch-freundliche Formulierung für den Sachverhalt, das eine schadlose Verwertung in Majak nicht möglich ist. Herr Röttgen hat zudem nach Presseberichten gesagt, dass er nicht daran glaube, dass die Voraussetzungen für eine schadlose Verwertung in absehbarer Zeit geschaffen werden könnten.

Dies ist schon deshalb nicht möglich, weil die uralte Wiederaufarbeitungsanlage aus dem Jahr 1977 in Majak, in dem der sächsische Atommüll verarbeitet werden soll, gar nicht in Betrieb ist. Die Brennelemente würden direkt in ein Zwischen-Nasslager gebracht werden und dort erstmal auf unbestimmte Zeit liegen.
Was ist los in Majak?
Wir wissen aus dem Gutachten der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) vom April 2010 recht gut über die Verhältnisse in Majak Bescheid. Die Tageszeitung taz hat dieses Gutachten Anfang Dezember veröffentlicht. Es war im Juni 2009 vom Bundesumweltministerium in Auftrag gegeben worden und auch der sächsischen Staatsregierung bekannt. Trotzdem haben Sie weder Landtag noch Öffentlichkeit über seinen Inhalt unterrichtet.
Nun ist es richtig, dass die GRS zu dem Ergebnis kommt, Transport und Wiederaufarbeitung in Majak seien vertretbar. Allerdings widerspricht das Gutachten selbst dieser Schlussfolgerung in  massiver Weise. Die GRS ist eben selbst Teil des atomar-industriellen Komplexes,. der daran interessiert ist, einen „Entsorgungs“-Weg nach Russland zu eröffnen.
In der Wiederaufarbeitungsanlage RT-1 in Majak aus dem Jahr 1977 wird seit 2006 auch HEU und LEU, also hoch- und niedrigangereichertes Uran wiederaufgearbeitet. Nach der Anlieferung per Bahn sollen die Brennelemente erstmal 5 bis 7 Jahre in einem Nasslager liegen. Dann sollen Uranylnititrit sowie Neptunium und Plutonium abgetrennt werden. Das Plutonium mit einer sehr hohen Anreicherung von 98% wird für die Produktion von MOX-Brennelementen verwendet.
Auch der GRS ist der genaue Durchsatz der Anlage nicht bekannt. Er sei aber wohl gering und die Anlage nicht ausgelastet. Dies liege an den hohen Kosten. Derzeit sei die Anlage für ungewisse Zeit außer Betrieb (S.29). Die Russen wollen also mit dem sächsischen Atommüll ihre Anlage flottmachen.
Zudem sei die Erlaubnis zur Einleitung flüssiger Abfälle in das Tetscha-Flusssystem „eingeschränkt“ worden. Seit dem Bau der sowjetischen Atomwaffenfabrik Majak im Jahr 1946 wurden nämlich die radioaktiven Abfälle am Anfang vollständig, später eingeschränkt in die umgebenden Flüsse und Seen eingeleitet. Das Entscheidende ist aber, dass dies bis heute geschieht:
Ich zitiere S. 27 des GRS-Berichts: „Durch eine Reihe von technologisch-organisatorischen Optimierungen konnten die Einleitungen von mittel- und schwachradioaktiven Flüssigabfällen reduziert werden. … Insbesondere sollen die bei der Wiederaufarbeitung anfallenden Abfälle um die Hälfte reduziert werden. Eine Anlage zur Verdampfung und anschließenden Zementierung von mittelradioaktiven Flüssigabfällen ist in Planung. Sie würde es ermöglichen, die Einleitung von Flüssigabfällen in den Karatschaisee und den Staroye Boloto See zu beenden.“ – Zitat Ende.
„reduzieren“, „sollen“, „könnte“, „würde“: Die Sicherheit vor Strahlen steht in Majak im Konjunktiv und auf Hoffnungen und Erwartungen. Die Anlage ist eben nachlesbar nicht sicher! Es gibt eben keine geschlossenen Kreisläufe und damit eine schadlose Verwertung der Aufarbeitungsabfälle in Majak!
„Unfälle“ in Majak
Wir können und dürfen nicht verdrängen, in welches verseuchte Land im Südural, an welchen Schreckensort, der Atommüll gebracht werden soll.
Anfangs wurden die flüssigen radioaktiven Abfälle einfach in die umliegenden Gewässer geleitet. Bei Hochwässern der Tetscha 1949 bis 51 wurden 100.000 TBq freigesetzt. 1955 kam es wiederum bei einer Überschwemmung zu einer Kontaminierung der Felder. Darauf wurden Dämme errichtet. Der strahlende Staub wurde sedimentiert und durch Wind weit ausgetragen. Die GRS kommt zu der Schlussfolgerung, dass das gesamte Tetscha-Flusssystem de facto ein „Endlager“ für schwach- und mittelradioaktive Abfälle anzusehen ist – nur eben kein „sicheres“ „Endlager“, ist hinzuzufügen..
1957 kam es zum sogenannten Kyschtym-Unfall. Ein Tank mit hochradioaktivem Material explodierte. Das strahlende Material verseuchte 23.000 qkm, die Heimat von 272.000 Menschen. Dieser Unfall wird in seiner Wirkung mit der Tschernobyl-Katastrophe 1986 verglichen. Er wurde erst Ende der 80er Jahre im Westen bekannt.
1967 kam es zu massiven Verwehungen aus dem Karatschais-See, nachdem ein kalter Winter Sedimente freigelegt hatte. Diese drittgrösste Freisetzung enthielt 22 TBq.
Insgesamt wurden 25.000 qkm verseucht und eine halbe Million Menschen erhielten erhöhte Strahlungen. Über 7500 Menschen erhielten Dosen zwischen 35 und 1700 mSv. Zum Vergleich: die Jahresdosis für Menschen in exponierten Bereichen beträgt nach Strahlenschutzverordnung 20 mSv. Es ist einfach unmoralisch, den Menschen, die in diesem Atomklo weiter bei schlechter gesundheitlicher Versorgung leben müssen, unseren Atommüll vor die Füße zu werfen!
Ich bitte um Zustimmung zu unserem Antrag!