Johannes Lichdi zum Versammlungsgesetz: Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wird zurück gedrängt und ausgehöhlt

Tatsächlich geht es den rechtskonservativen Kräften in CDU und Staatsregierung darum, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zurück zu drängen und auszuhöhlen
Redebeitrag des Abgeordneten Johannes Lichdi zur 2. Lesung des Entwurfs "Gesetz über Versammlungen und Aufzüge im Freistaat Sachsen (Sächsisches Versammlungsgesetz – SächsVersG) " (CDU/FDP, Drs. 5/6390) in der 48. Sitzung des Sächsischen Landtages, 25.1., TOP 6
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident, meine Damen und Herren,

im nunmehr dritten Versuch legt die Staatsregierung und die CDU mit ihren wechselnden Partnern ein Versammlungsgesetz vor, das vorgeblich dem Schutz der Würde der Opfer des Nationalsozialismus dient. Tatsächlich geht es den rechtskonservativen Kräften in CDU und Staatsregierung aber darum, das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zurück zu drängen und auszuhöhlen.
Sie bewegen sich in der Traditionslinie des deutschen Konservatismus, der die Versammlungsfreiheit schon immer nicht für einen unabdingbaren Teil einer lebendigen Demokratie hielt, sondern für die Vorstufe zum öffentlichen Aufruhr. Dementsprechend verhält sich die Sächsische Polizei seit Jahren in Dresden und nun soll dieses Versammlungsgesetz dies legitimieren.
Dieses Gesetz wird wie seine beiden Vorgänger scheitern. Wir werden es wie bereits den zweiten Versuch im April 2011 gemeinsam als demokratische Opposition vor dem Sächsischen Verfassungsgerichtshof zu Fall bringen.
I.
Sie behaupten mit ihrem Gesetz, dem Schutz der Würde der Opfer des Nationalsozialismus und der Würde der Opfer eines Krieges zu dienen. Diese Ziele sind ehrenwert. Allerdings überschreiten sie damit die Grenzen, die einem freiheitlichen Rechtsstaat gesetzt sind.
Liest man die Begründungen des Gesetzes, gewinnt man den Eindruck, dass es der Staatsregierung allein darum geht, dass sogenannte "stille Gedenken" als allein zulässige Gedenkform um die Dresdner Frauenkirche herum zuzulassen. Für alle anderen Versammlungsformen soll dieses Gesetz Einschränkungen ermöglichen. Sie maßen sich letztlich an, eine bestimmte Form des Gedenkens, das sie anlässlich des Gedenkens am 13. Februar für richtig halten, mit repressiven Mitteln durchzusetzen.
Ich werfe Ihnen vor, dass Sie allein den Schutz der Würde der Dresdner Opfer des alliierten Bombenangriffs im Blick haben, aber den Schutz der eigentlichen und ersten Opfer des Nationalsozialismus, der Juden, der Sinti und Roma, der Kommunisten, Sozialdemokraten und Christen nicht wirklich interessiert. Dies zeigt eindeutig die Verlegung des Naziaufmarschs 2010 an den authentischen Ort der Deportation der Dresdner Juden, an den Neustädter Bahnhof.   
Ich wiederhole es noch einmal: Gedenkformen gehören aus sozialwissenschaftlicher Sicht zu den symbolischen, rituellen Handlungen einer Gesellschaft, mit der sich diese ein gemeinsames Bild von ihrer Vergangenheit und den Folgen für ihre Gegenwart macht. Dieses Bild kann von der Sache her nur im Widerstreit der Deutungen und Interessen schwanken und sich ständig ändern. Und es ist eine fundamentale autoritären Staaten eigene Grenzüberschreitung, wenn sich der Staat anmaßt, in dieses Spiel der gesellschaftlichen Deutungskräfte eingreift. Genau das wollen Sie aber hier.  
II.
Allerdings sind Einschränkungen zum Schutz der Würde der Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft nach dem Wunsiedel-Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2009 verfassungsrechtlich von vornherein ausgeschlossen. Das Urteil hat anerkannt, dass Meinungen, die konkrete Amtshandlungen oder Amtsträger des konkreten nationalsozialistischen Regimes befürworten, verboten werden können.
Dies ist eine Ausnahme vom Grundsatz des Art. 5 Grundgesetz, dass Meinungen nur durch allgemeine Gesetze eingeschränkt werden dürfen, die einen andern Zweck als das Verbot einer bestimmten Meinung bezwecken. Damit ist die Äußerung und Kundgebung nationalsozialistischer Meinungen an sich nicht verboten – so schwer das auszuhalten fällt.
Daran ändert auch die Präambel der sächsischen Verfassung nichts. Erstens würde die Geltungskraft der Präambel überdehnt, wenn man ihr entnehmen wollte, dass auch kommunistische Meinungen verboten werden können. Zum zweiten ist die Sächsische Verfassung schlicht nachrangig zu den Grundrechten aus Artikel 5 und 8 Grundgesetz. Auch hier ist zu betonen, dass Sachsen zum Glück ein Teil der Bundesrepublik Deutschland ist, in dem das Grundgesetz gilt und nicht die Meinung der sächsischen Staatsregierung.
III.
Sie haben in letzter Minute ein paar Verbesserungen vorgenommen, die die Sachverständigen und auch wir Bündnisgrünen gefordert haben. Das ist zu begrüßen, rettet ihr Gesetz aber nicht. Wir begrüßen die Streichung des Paragraph § 15 Abs. 1 Satz 2 sowie die Anpassung des Uniformverbots und der Anmeldepflicht an die langjährige Rechtsprechung. Die ideologischen Scheuklappen waren hier kleiner als beim missglückten Würdenschutz, so dass man den Mahnungen der Sachverständigen folgte.
Sie haben sich ausdrücklich für die Beibehaltung der Strafvorschriften entschieden. Ihnen geht es um die Bestrafung friedlicher Platzbesetzer, wie sie die von Justizminister Dr. Martens weisungsabhängige Staatsanwaltschaft Dresden verfolgt. Sie missbrauchen hier das Strafrecht für ihre politischen Ziele. Die kurzschlüssige Gleichsetzung zwischen einer Platzbesetzung, einer unter Umständen möglichen oder gebotenen Auflösung dieser Platzbesetzung und dann einer möglichen oder gebotenen Räumung der Platzbesetzung. Sie verkennen, dass eine Platzbesetzung zunächst unter dem Schutz des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit steht und keineswegs schlechthin rechtwidrig und auch noch strafbar ist.
Wenn sächsische Gerichte nicht in der Lage sind, dies zu erkennen, dann muss eben auch hier der Weg zu Bundesgerichten gesucht werden.
Wir werden dieses Gesetz ablehnen und es dem Verfassungsgerichtshof in Leipzig gemeinsam mit den Fraktionen der Linken und SPD zur Überprüfung vorlegen. » Änderungsantrag (zu Drs 5/7927) § 12» Änderungsantrag (zu Drs 5/7927) § 15