Karl-Heinz Gerstenberg: Das sächsische Bildungssystem ins 21. Jahrhundert holen

Redebeitrag des Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Gerstenberg
zum Sächsischen Lehrerausbildungsreformgesetz
97. Sitzung des Sächsischen Landtages, 22. Mai 2014, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
meine Damen und Herren,
es gibt wenige Themen, welche in den letzten Jahren die Debatte in der Öffentlichkeit und auch hier im Landtag so geprägt haben wie die der schulischen Bildung und des Lehrermangels. Der gestrige Tag hat das ein weiteres Mal gezeigt. Das hat einen guten Grund: Diese Problematik rührt an die Lebensrealität fast aller Bürgerinnen und Bürger hier im Land, zugleich sind die Defizite und ungelösten Probleme seit Jahren offensichtlich. Umso bemerkenswerter ist es, dass ein maßgeblicher Baustein zur Lösung der Herausforderungen fast immer nur unter quantitativen, aber nur selten unter qualitativen Gesichtspunkten besprochen wurde: die Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer.
In den vergangenen acht Jahren ist die Lehrerausbildung in Sachsen zum Spielball wechselnder politischer Mehrheiten geworden. 2006 erlebten wir eine grundlegende, vorwärtsweisende Reform durch die Umstellung der Ausbildung auf ein Bachelor-/Mastermodell mit gleichen Ausbildungszeiten für die Lehrämter. Nach der Regierungsübernahme durch Schwarz-Gelb folgte nur vier Jahre später die Rolle rückwärts zu einem modularisierten Staatsexamen und verkürzten Studienzeiten für Grund- und Mittelschullehrer. Diese Änderungen standen und stehen nicht nur aufgrund ihrer Rückwärtsgewandtheit und Ungleichbehandlung der verschiedenen Lehrämter in der Kritik. Damit befinden wir uns in einer Situation, in der an den sächsischen Hochschulen Lehramt nach drei verschiedenen Modellen studiert wird, einschließlich mancher offener Fragen wie etwa der Entlohnung des so unterschiedlich ausgebildeten Lehrpersonals.
Alle diese fundamentalen Änderungen wurden im stillen Kämmerlein des Kabinetts entschieden. Anders als in den meisten Bundesländern ist die Ausbildung von Lehrerinnen und Lehrern in Sachsen nicht durch ein eigenes Lehrerbildungsgesetz geregelt. Es gibt auch keine entsprechende Normierung in anderen Gesetzen. Damit hat die Staatsregierung in einem Politikfeld vollkommen freie Hand, das nicht nur für die Schulen, sondern aufgrund der damit verbundenen Kapazitäten und strukturellen Schlüsselstellung auch für die Hochschulen von erheblicher Bedeutung ist. Gerade die Hochschulen wurden aber 2010 vor vollendete Tatsachen gestellt. So wurde die TU Chemnitz quasi über Nacht mit der Aufgabe konfrontiert, für das Grundschullehramt auszubilden, ohne dass vorher mit ihr auch nur darüber gesprochen worden war.
Ein sächsisches Lehrerbildungsgesetz wird dazu beitragen, dieses wichtige Thema enger an das Parlament anzubinden, Veränderungen mit einer öffentlichen Diskussion zu verknüpfen und dadurch Transparenz und Qualität der Regelungen zu steigern. Das ist aus unserer Sicht eine Grundlage für mehr Kontinuität in der Lehrerausbildung sowie bessere Planbarkeit für Hochschulen und Studierende.
Mit dem hier vorgelegten Gesetzentwurf will die GRÜNE Fraktion aber nicht nur das Entscheidungsverfahren in das Parlament holen, sondern auch die Lehrerausbildung an die Herausforderungen der Zeit anpassen.
Wir orientieren uns deshalb an einer Weiterentwicklung statt einer Rückabwicklung des 2006 begonnenen Weges. Unsere Reformvorschläge haben wir bereits 2011 in einem Antrag zusammengefasst, der in der Anhörung auf Zustimmung stieß. Auch die erste Fassung unseres Gesetzentwurfes haben wir im vergangenen Jahr öffentlich zur Diskussion gestellt und in deren Auswertung angepasst.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich kurz einige Kernpunkte benennen:
Wir sehen in unserem Lehrerbildungsgesetz bei allgemeinbildenden Schulen die Ablösung der schulartspezifischen Ausbildung durch eine Schulstufenausbildung mit Grundstufe (Klasse 1 bis 6) und Sekundarstufe (Klasse 5 bis 12) vor. Lehrer werden also nicht mehr ausschließlich für Grundschule, Mittelschule oder Gymnasium ausgebildet, sondern erhalten eine Ausbildung, die schulartübergreifende Lehrbefähigungen mit sich bringt. Ein solches Modell wird von Bildungswissenschaftlern bereits seit Langem gefordert, bringt es doch ein größeres Verständnis für die angrenzenden Schularten mit sich und flexibilisiert die Einsatzmöglichkeiten der so ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrer. Damit wird zugleich die Grundlage gelegt für den Tag, an dem auch in Sachsen ein durchlässigeres Schulsystem, geprägt vom längeren gemeinsamen Lernen, eingeführt werden wird. Meine Damen und Herren von der CDU, auch wenn Sie sich tapfer dagegen wehren, ich bin davon überzeugt, dass sich das streng gegliederte Schulsystem in Sachsen in seiner jetzigen Form überlebt hat und dass es ein Fehler ist, die Ausbildung junger Menschen ausschließlich darauf zuzuschneiden.
Unser Modell macht darüber hinaus mit einem Widersinn des sächsischen Bildungssystems Schluss – der ungleichen Ausbildungszeit für die verschiedenen Lehrämter. Dieser Ansatz wurde in der genannten Anhörung selbst von konservativen Experten unterstützt. Es liegt doch auf der Hand, dass jede Altersgruppe ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich bringt und dass gerade die Jahre in der Grundschule von besonderer Bedeutung sind. Andere Inhalte sind da gefragt, nicht aber eine kürzere Ausbildung – es sei denn, man will die Voraussetzungen für eine schlechtere Bezahlung schaffen.
Die Lebenssituation der sächsischen Schülerinnen und Schüler ist so vielfältig, wie es die Gesellschaft als Ganzes ist. In den Klassenzimmern kommen verschiedenste soziale und kulturelle Hintergründe, unterschiedliche Stärken und Schwächen und variierende Bedürfnisse zusammen. Moderne Lehrerinnen und Lehrer müssen dazu befähigt werden, mit dieser Diversität umzugehen. Deshalb sehen wir für alle Lehrämter die verpflichtende Integration von inklusiver Pädagogik vor. Und wir gehen noch einen Schritt weiter. Die angestrebte vollumfängliche Integration von Schülerinnen und Schülern mit Behinderung macht hoch spezialisierte Lehrerinnen und Lehrer neuen Typs notwendig. Zu diesen Zwecken wollen wir das Lehramt für Sonderpädagogik als Lehramt für Inklusionspädagogik deutlich aufwerten und Einsatzmöglichkeiten auch an Regelschulen bzw. als Integrationslehrkraft schaffen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren,
grau ist alle Theorie – das Leben ist es nicht! Erst recht nicht das Leben der Lehrenden. Entsprechend diesem Credo haben wir die Praxiselemente in unserem Lehrerbildungsgesetz deutlich ausgeweitet. Gleich am Anfang des Studiums stehen ein Orientierungs- und ein Berufsfeldpraktikum. Besonders das Letztere wird nicht nur Einblicke in das Leben im klassischen Lehrerberuf geben, sondern auch zeigen, welche anderen beruflichen Perspektiven sich für Lehramtsstudierende bieten, sollten sie – z.B. im Orientierungspraktikum – feststellen, dass der klassische Lehrerberuf doch nichts für sie ist. Damit wollen wir der unakzeptabel hohen Zahl von Studienabbrüche entgegenwirken. Darüber hinaus sehen wir vor, dass ein ganzes Semester in der Masterphase dem Sammeln von praktischen Erfahrungen durch die Studierenden vorbehalten wird – Erfahrungen, die im folgenden Studienverlauf mit der Theorie der Ausbildung abgeglichen und reflektiert werden können. Ein ähnliches Ziel verfolgt unser achtzehnmonatiger Vorbereitungsdienst, der als sogenannter rhythmisierter Vorbereitungsdienst auch bereits während des Masterstudiums begonnen werden kann.
Eine gute grundständige Ausbildung allein kann allerdings keine Wunder vollbringen, wenn es um den dramatischen Fachkräftebedarf an unseren Schulen geht. Um dem Lehrermangel wirksam zu begegnen, schlagen wir zwei Aufbau-Masterstudiengänge vor, einen für Pädagogik und einen für Fachwissenschaften. Sie sollen es interessierten Inhabern geeigneter Abschlüsse ermöglichen, die notwendigen Kompetenzen zu erwerben, um als Seiteneinsteiger den Lehrerberuf ergreifen zu können. Anders als in den bisherigen zaghaften Versuchen vonseiten der Staatsregierung wollen wir damit allerdings nicht nur Menschen ansprechen, die es sich leisten können, das Programm in Vollzeit zu absolvieren, sondern durch ein berufsbegleitendes oder Teilzeitstudium eine breitere Interessensgruppe erreichen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich habe eingangs skizziert, vor welchen Problemen und Herausforderungen der Freistaat in den kommenden Jahren stehen wird. Mit dem heute eingebrachten Gesetzentwurf geben wir eine Lösungsstrategie vor. Auf ihrer Grundlage und unter der Einbeziehung der Hochschulen und Bildungsträger können wir es schaffen, nicht nur die Versorgung unserer Schulen mit gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern sicherzustellen, sondern auch das sächsische Bildungssystem ins 21. Jahrhundert zu holen.
Vielen Dank!