Karl-Heinz Gerstenberg: Ein Kulturraumgesetz sollte wandlungsfähig sein – es liegt in unserer Hand als Gesetzgeber, Anpassungen vorzunehmen

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Antrag der GRÜNEN:
"Evaluation des Sächsischen Kulturraumgesetzes zu seiner Weiterentwicklung nutzen" (Drs 5/14412)
97. Sitzung des Sächsischen Landtages, 22. Mai 2014, TOP 8

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich will mit einem Geständnis beginnen: Es zählt zu meinen schönsten Erinnerungen an die 1. Legislaturperiode dieses Landtags, als im Dezember 1993 das Sächsische Kulturraumgesetz verabschiedet wurde. Dieses Gefühl verstärkt sich noch, wenn ich sehe, welch‘ reiche Kulturlandschaft durch dieses Gesetz erhalten und geschaffen werden konnte und vor allem, wenn wir außerhalb Sachsens auf große Zustimmung, gar Bewunderung für das Modell treffen. Ich vermute, das wird nicht nur mir so gehen. Sicherlich gab und gibt es auch unterschiedliche Auffassungen, aber im Grundsatz können wir über nun 20 Jahre einen fraktionsübergreifenden Konsens über die Zweckmäßigkeit des Gesetzes verzeichnen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
gestatten Sie mir, bevor ich auf die Details unseres Antrages eingehe, an Grundsätzliches zu erinnern. Das Kulturraumgesetz gilt als Erfolgsmodell, weil es eine solidarische Finanzierung regional bedeutsamer Kultur durch Kommunen, Kulturräume und Freistaat gewährleistet. Zudem wohnt ihm ein Auftrag zur regionalen Strukturentwicklung inne. In eigener Regie stellen die Kulturräume Förderschwerpunkte und Leitlinien auf. Im Ergebnis haben wir eine große kulturelle Vielfalt und identitätsbildende Debatten innerhalb der Regionen. Die Vorteile kennen wir seit Langem.
Die nun anstehende Evaluation gibt uns aufs Neue Anlass, zu überprüfen, inwieweit das Kulturraumgesetz erfolgreich ist. Vom Erfolg des Gesetzes können wir sprechen, wenn es seinen Zweck erfüllt. Diese schlichte Logik sollten wir anwenden, um den Maßstab für die Evaluation zu finden.
Der Zweck wird in der Präambel formuliert. Wir finden hier nicht etwa eine lyrische Exposition, sondern die Programmatik unseres Gesetzes. Dort ist ausgeführt, dass die "Freiheit des geistigen Lebens und die Freiheit der Künste […] für die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft unverzichtbar bleiben". Kultur ist somit als Voraussetzung für die Mündigkeit der Bürgerinnen und Bürger und ihre Mitwirkung an gesellschaftlichen Prozessen definiert. Außerdem ist dort die Rede von der Notwendigkeit eines "kommunalen Gestaltungsspielraums", notwendig für die kulturelle Daseinsvorsorge in den sächsischen Regionen, also in allen Regionen.
Diese Zwecksetzung steht für uns GRÜNE außer Frage. Die daraus abgeleiteten Ziele der "Herstellung neuer, finanzierbarer Organisations- und Leistungsstrukturen" und "bürgernaher, effizienter und wandlungsfähiger Strukturen" sind demnach hochaktuell.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
Kunst und Kultur schöpfen ihre Kraft aus einer stetigen Erneuerung. Ein Kulturraumgesetz sollte ebenfalls wandlungsfähig sein. Es liegt in unserer Hand als Gesetzgeber, Anpassungen vorzunehmen, wenn sie denn notwendig sind. Um darüber vernünftig entscheiden zu können, brauchen wir eine belastbare Grundlage, die durch die Evaluation geschaffen werden muss. Die Evaluation verstehen wir dann als große Chance, wenn sie sich nicht auf das gesetzliche Pflichtprogramm, auf kleine Stellschrauben beschränkt, sondern wenn sie mit Weitblick untersucht, wie der Gesetzeszweck auch künftig erfüllt werden kann.
Nun wären das alles eher theoretische Bemerkungen, wenn wir nicht feststellen müssten, dass sich die Rahmenbedingungen für die Kultur in Sachsen deutlich verändern. Im Vorfeld der Evaluation hat der Wegbereiter des Kulturraumgesetzes, Prof. Matthias Theodor Vogt, auf unsere Bitte hin eine Studie erstellt, die Ihnen allen zur Verfügung steht. Darin untersucht er, welche Rahmenbedingungen sich verändern und was bei der Evaluation folglich beachtet werden sollte.
Mit der Studie ist klar geworden, dass die Kulturräume, wenn wir die Preissteigerung und die Personalkostensteigerung einrechnen, deutliche Verluste aushalten mussten. Auch wenn von 1995 bis 2009 die Finanzmittel nominal um 18 Prozent gestiegen sind, ist real von einem Minus von etwa 20 Prozent auszugehen. Bisher konnten die Kulturräume diesen realen Rückgang weitgehend kompensieren, durch das Aufbrauchen von Rücklagen, durch Haustarifverträge von bis zu 30 Prozent unter Niveau, durch Personal- und Strukturabbau. Es ist zu befürchten, dass wir ohne Gegensteuern in eine Phase eintreten, in der Solidarität zu bröckeln beginnt.
Nehmen wir das Beispiel des Kulturraums Oberlausitz-Niederschlesien. Die Mittelhöhe für die Theater und Orchester ist von 1995 bis 2011 in etwa gleich geblieben, bei ca. 25 Millionen Euro. Angesichts 27 Prozent Inflation und 30 Prozent Tarifanpassungen in diesem Zeitraum sind die Belastungen enorm. Es ist heute nicht mehr selbstverständlich, dass sich beide Landkreise noch gemeinsam hinter "ihre" Kultur stellen. Wirklich stabile Strukturen sind trotz Kulturraumgesetz angesichts dieser Entwicklung nicht entstanden. Hinzu kommt, dass die Mittel für die freien Projekte halbiert werden mussten. Damit wird gerade dort Unterstützung abgezogen, wo aus freier Initiative von Jung und Alt Neues geschaffen wird.
Es ist aus unserer Sicht sachsenweit zu untersuchen, unter welchen Bedingungen die kulturelle Infrastruktur als Voraussetzung für die Freiheit des geistigen Lebens erhalten bleibt.
Ich möchte es ganz klar sagen: Kultur ist nicht Mittel zum Zweck. Aber ihre positiven "Nebenwirkungen" sind kaum bestreitbar: erhöhte Teilhabechancen und Lebensqualität, also Faktoren, die die Abwanderung aus den Klein- und Mittelstädten zumindest verlangsamen können. Damit kann ich den übergreifenden politischen Handlungsbereich der Landesplanung und die zweite zentrale Rahmenbedingung des demografischen Wandels hier nur andeuten.
Werte Kolleginnen und Kollegen,
es geht mir nicht um ein schnelles, wohlmöglich vorschnelles Eingreifen, sondern um ein wohlüberlegtes Verfahren. Zu den Evaluationsplanungen des Ministeriums liegt uns und der Öffentlichkeit leider nichts Genaues vor. Uns war es wichtig, die Staatsregierung heute daran zu erinnern, dass wir das Thema nicht auf die lange Bank schieben können und dass schon gar nicht die Qualität leiden darf. Daher benennen wir die Kriterien für die Evaluation genauer.
Damit komme ich zu den Antragspunkten. Ein solches Kriterium ist unter Punkt 1 die umfassende Fragestellung der Evaluation. Das betrifft die Auswirkung der Höhe der Mittelzuweisungen insgesamt, aber auch deren Verteilung unter den Kulturräumen. Angesichts der unterschiedlichen Voraussetzungen von ländlichen und urbanen Kulturräumen wäre von Interesse, welche Wirkung ein gezielter Ausgleich von besonderen Belastungen der ländlichen Räume hätte.
Die Auswirkungen der Berechnungsparameter sind ein weiterer Punkt, beispielsweise Verwerfungen, die durch die Nicht-Anrechnung von Kulturausgaben entstehen, weil Einrichtungen in flexiblere private Rechtsformen überführt worden sind.
Wir halten es für notwendig, bei diesen Untersuchungen Handlungsalternativen möglichst greifbar zu machen. Das geht am besten in Form von unterschiedlichen Szenarien, die die positiven oder negativen Folgen zeigen, wenn an bestimmten Stellschrauben gedreht wird.
Dieses Vorgehen ermöglicht es, auch noch gar nicht existente Maßnahmen zu prüfen und als Strategievorschlag aufzubereiten. Eine solche Maßnahme wäre die Stärkung der Projektförderung. Hier liegt ein großes Potenzial zur Förderung einer lebendigen Kultur, die durch bürgerschaftliches Engagement getragen wird. Außerhalb der gefestigten Einrichtungen, aber durchaus in Kooperation mit ihnen, wird so der Spielraum für künstlerische und organisatorische Innovationen und für neue kulturelle Beteiligungsformen erweitert. Es kann ausgelotet werden, wie ohne Eingriff in die Hoheit der Kulturräume zusätzliche Anreize geboten werden können.
Eine Nebenbemerkung: Da dieser Schlüsselbereich am stärksten vom Mittelschwund betroffen scheint und doch so entscheidend für die Entwicklungsfähigkeit der ländlichen Kulturräume ist, unterstützen wir die Idee eines Modellprojektes zur Stärkung der zivilgesellschaftlich getragenen Kultur ausdrücklich, und zwar unabhängig von der Evaluation.
Zu Punkt 2: Wir mussten feststellen, dass die Datengrundlage für eine aussagekräftige Evaluation fehlt. Weder wir als Landtag noch die Staatsregierung können derzeit nachvollziehen, wie sich der tatsächliche Aufwand für die öffentlich geförderte Kultur darstellt. Das ist aber zum einen für die Überprüfung der Mittelzuweisungen nach § 6 Absatz 2 Kulturraumgesetz notwendig, zum anderen erlaubt erst eine verlässliche Datenbasis den Vergleich der Entwicklungen in den Kulturräumen und erschließt Optionen den Gegensteuerns.
Dass ein Ministerium allein ein solches Vorhaben nicht stemmen kann, liegt auf der Hand. Daher erachten wir es eigentlich als Selbstverständlichkeit, wie in anderen Bereich staatlichen Handelns auch, dass externe Wissenschaftler die Analyse übernehmen. Weil bislang keine Beauftragung erfolgt ist, wollten wir auch daran in Punkt 3 erinnern.
Im vergangenen Jahr erhielten wir bereits wertvolle Ergebnisse aus den Kulturraum-Werkstätten von Kulturstiftung, Kultursenat und Akademie der Künste. Diskurse von Akteuren aus Kultureinrichtungen und -initiativen mit den Trägern und Verantwortlichen von Freistaat und Landkreisen sehen wir nicht nur als Beiwerk, sondern als Teil der Evaluation, im Sinne einer "aktivierenden Kulturpolitik", wie sie seit der Veröffentlichung des Berichts der Enquete-Kommission "Kultur in Deutschland" im Jahr 2007 diskutiert wird.
Zu guter Letzt möchten wir in Punkt II auf eine scheinbare Formalie hinweisen, die Anpassung der Kulturraumverordnung an die letzte Gesetzesänderung. Möglicherweise hat das SMWK bei der Novellierung des Kulturraumgesetzes über das Haushaltsbegleitgesetz 2010 etwas den Überblick verloren. Die schnellstmöglich Korrektur der Verordnung ist notwendig, um Rechtssicherheit herzustellen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wir haben die historische Chance, mit einer umfassenden Evaluation eine weit in die Zukunft tragende Erneuerung des Sächsischen Kulturraumgesetzes vorzubereiten. Machen wir die Evaluation zu einem Anliegen des Sächsischen Landtags. Ich bitte Sie deshalb um Zustimmung zu unserem Antrag.