Karl-Heinz Gerstenberg: Finanzielle Basis für die Umsetzung des Gedenkstättengesetzes zu schaffen

Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zum Gesetzentwurf "Gesetz zur Änderung des Sächsischen Gedenkstättenstiftungsgesetzes" (CDU, FDP; SPD, GRÜNE), (Drs. 5/8625), 64. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. Oktober 2012, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Frau Präsidentin, meine Damen und Herren Kollegen!

Im Januar dieses Jahres stellte ein vom Deutschen Bundestag beauftragtes unabhängiges Expertengremium unter Leitung von Prof. Longerich den ersten Antisemitismusbericht für die Bundesrepublik vor: Judenfeindliche Einstellungen sind in "erheblichem Umfang in der deutschen Gesellschaft verankert" – in Zahlen: 20-25 Prozent. Antisemitismus sei auch jenseits der rechtsextremen und islamistischen Milieus zu beobachten. Es gebe mittlerweile eine "bis weit in die Mitte der Gesellschaft verbreitete Gewöhnung an alltägliche judenfeindliche Tiraden und Praktiken".

Damit bestätigt dieser Bericht die im vergangenen Jahr abgeschlossene Heitmeyer-Studie. Diese weist einen steigenden Trend bei Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, bei der Abwertung von Behinderten, Obdachlosen, aber auch Langzeitarbeitslosen nach. Weitverbreitete Feindlichkeit, alte Klischees und Unkenntnis gegenüber Sinti und Roma werden bei fast der Hälfte der Bevölkerung deutlich.

Warum sage ich das – an dieser Stelle?
Weil wir genau hier bei einer zentralen Aufgabe von Gedenkstätten und mithin der Stiftung sächsische Gedenkstätten sind:
Die Gedenkstätten ermöglichen durch einen unmittelbaren Zugang zur Vergangenheit eine Auseinandersetzung sowohl mit der Geschichte des jeweiligen Ortes als auch mit den Verbrechen, die Gesellschaft und Staat zu der Zeit des Nationalsozialismus, aber auch während der sowjetischen Militäradministration und der SED-Diktatur begangen haben.

Sie machen die Auseinandersetzung mit den Auswirkungen menschlichen Verhaltens möglich: Ignoranz, Duldung, Mittun, aber auch Widerstand. Gedenkstätten ermöglichen also nicht zuletzt eine Auseinandersetzung mit der persönlichen Verantwortung für eine demokratische Gesellschaft, eine kritische Auseinandersetzung mit politischen und ethischen Fragen der Gegenwart. Und damit haben sie eine hervorgehobene Bedeutung dafür, dass das Bewusstsein einer Gefährdung der Zivilisationsprozesse immer wieder wach gehalten wird.

Gerade weil es so wichtig ist, sich der persönlichen Verantwortung bewusst zu werden, bin ich froh, dass beispielsweise mit dem Gedenkort Sachsenburg die frühen Konzentrationslager eine angemessene Beachtung in der sächsischen Gedenkstättenlandschaft erfahren. Diese Lager stehen für Unmenschlichkeit und Gewalt als Instrument politischer Machtausübung, sie stehen für Ausgrenzung und Diskriminierung Andersdenkender in der Gesellschaft. Das ist kein Moment des Gestern, sondern es könnte aktueller nicht sein, wie ich anfangs gezeigt habe.

Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen,
weil die Arbeit der Gedenkstätten für die historisch-politische, aber auch die ethische Bildung unserer Gesellschaft so wichtig ist, muss sie auf eine solide rechtliche Basis gestellt werden.

Das Errichtungsgesetz von 2003 tat dies leider nicht. Von Beginn an rief es grundsätzliche und scharfe Kritik hervor und blieb doch fast zehn Jahre unverändert. Zentraler Kritikpunkt am Gesetz war, dass es einer Analogisierung und Relativierung von NS-Verbrechen Vorschub leiste und eine gleichberechtigte Interessenvertretung der Opfergruppen ausschlösse. Der Konflikt zwischen den Verbänden der Opfer der NS-Diktatur und jenen der Opfer der Sowjetischen Militäradministration und der SED-Diktatur erreichte durch die Austritte mehrerer Opferverbände und des Zentralrates der Juden aus den Stiftungsgremien eine bundesweite Aufmerksamkeit. Ich bin froh, dass wir diese für Sachsen beschämende Phase heute endlich abschließen können.

Der zu beschließende Gesetzentwurf basiert auf einem Konsens, der von fast allen Opfergruppen sowie Gedenkstätten- und Aufarbeitungsinitiativen unter Leitung des ehemaligen Staatssekretärs Dr. Albin Nees in der Konsultationsklausur erarbeitet wurde. Ja, es ist ein Konsens, auch wenn ihn manche Teilnehmer eher als Kompromiss sehen. Auf jeden Fall ist es niemandes Idealkonstrukt, so wie auch die Idealvorstellungen der einreichenden Fraktionen voneinander abweichen.

In der Anhörung wurden verbliebene Mängel des Gesetzentwurfes benannt und auch Vorschläge zu deren Behebung unterbreitet. Ich bedauere es sehr, dass wir diesen Anregungen nicht einmal in den Fällen folgen konnten, in denen sie nicht in das Ergebnis der Konsultationsklausur eingreifen oder nur redaktioneller Art sind. Aber hierzu war unter den einbringenden Fraktionen leider kein Konsens herzustellen.

Wir werden dem vorliegenden Entwurf daher in seiner unveränderten Form zustimmen, denn diese schwer erarbeitete und hochsensible Einigung enthält die vier von meiner Fraktion wiederholt geforderten Änderungen:
Das Gesetz benennt jetzt klar die unterschiedlichen diktatorischen Herrschaftssysteme und weist auf die kategorialen Differenzen zwischen Nationalsozialismus und den Verbrechen in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR hin. Die Singularität des Holocaust, des systematischen Völkermordes an sechs Millionen Juden und einer halben Million Sinti und Roma, wurde deutlich herausgestellt.
Der Bildungsauftrag, dessen Erfüllung insbesondere im Hinblick auf die jungen Menschen in unserem Land von höchster Bedeutung ist, wurde klar formuliert.

Die Reihe der Einrichtungen, die institutionell gefördert werden sollen, wurde erweitert. Dadurch kann endlich die Arbeit der Zwangsarbeitergedenkstätte Leipzig und des Geschlossenen Jugendwerkhofes Torgau auf eine solide Basis gestellt und die lange geforderte Einrichtung der Gedenkstätten KZ Sachsenburg sowie Frauenhaftanstalt Hoheneck in die Wege geleitet werden.
Und schließlich wurde im Gesetzentwurf eine Satzungsermächtigung formuliert, welche die gleichberechtigte Vertretung aller Opfergruppen sichern soll.

Es ist jetzt Aufgabe der Stiftung, die gesetzlichen Veränderungen, und den großen inhaltlichen Konsens konstruktiv umzusetzen. Noch bestehende Unklarheiten, wie die paritätische Besetzung der Gremien, können per Satzung im Sinne der Verbände geregelt werden. Hier stehen auch Sie, Frau Staatsministerin von Schorlemer, als Vorsitzende des Stiftungsrates in Verantwortung.

Wir als demokratische Fraktionen des Landtages stehen in der Verantwortung, in der laufenden Haushaltsrunde die finanzielle Basis für die Umsetzung des Gesetzes zu schaffen. Der bisherige Ansatz dürfte kaum ausreichen, um die bestehenden und neu entstehenden Gedenkstätten angemessen zu fördern. Es wäre beschämend, wenn wir heute hier im Plenarsaal die Arbeit der Gedenkstätten- und Aufarbeitungsinitiativen wortreich würdigen und sie morgen mit ihren teilweise existenziellen Finanzierungsproblemen allein lassen. Und ich denke hier ausdrücklich nicht nur an die im Gesetz aufgeführten Gedenkstätten, sondern auch an die ehemalige MfS-Untersuchungsanstalt Chemnitz-Kaßberg.

Meine sehr geehrten Damen und Herren,
ich möchte zum Schluss den Verbänden und den Trägervereinen für ihr großes Engagement danken, das sie tagtäglich in der Gedenkstättenarbeit zeigen. Ich möchte ihnen ebenso danken für die Arbeit in der Konsultationsklausur, mit der sie die Grundlagen für unsere heutige Entscheidung gelegt haben. Sie haben es geschafft, einander zuzuhören, Gräben zuzuschütten und Vertrauen für die weitere Arbeit aufzubauen. Wir sollten als demokratische Landtagsfraktionen daraus lernen, auf welche Art und Weise wir untereinander Fragen der Erinnerungspolitik diskutieren.

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