Karl-Heinz Gerstenberg zum Abgeordnetengesetz: Rückkehr zur staatlichen Altersversorgung wäre ‚Rolle rückwärts‘ und deutlich teurer

Es ist enttäuschend, dass die Koalitionsfraktionen die Chance auf echte Reformen, wie in den Landtagen von Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein, wieder einmal verspielt haben
Redebeitrag des Abgeordneten Karl-Heinz Gerstenberg zur 2. Lesung des Entwurfs „Dreizehntes Gesetz zur Änderung des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Sächs. Landtages“ in der 25. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14.12., TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!
Es ist das alte Spiel, das sich bei jeder Debatte zum Abgeordnetengesetz wiederholt: Die Regierungsmehrheit legt eine mehr oder weniger ausgegorene Änderung vor, die Opposition kritisiert diese naturgemäß und muss dabei der Versuchung widerstehen, in vordergründigen Populismus zu verfallen. Ziemlich sicher ist auch zu erwarten, dass den Oppositionsabgeordneten unterstellt wird, trotz ihrer Ablehnung bereits die auch für sie in Aussicht stehenden materiellen Vorteile im Auge zu haben.
Dabei hätte es diesmal anders laufen können: Bereits im Frühjahr hatte unsere Fraktion angeboten, an der Änderung des Abgeordnetengesetzes mitzuwirken, um in gemeinsamer Diskussion unter den Fraktionen nach bestmöglichen Lösungen zu suchen. Das Ergebnis eines solchen gemeinsamen interfraktionellen Vorgehens ist nicht etwa der kleinste gemeinsamer Nenner, sondern das sind echte Reformen, wie die Landtage in Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein und mit Abstrichen Baden-Württemberg gezeigt haben. Es ist enttäuschend, werte Kolleginnen und Kollegen in den Koalitionsfraktionen, dass sie diese Chance wieder einmal verspielt haben!
Stattdessen mussten wir ein Ringen, Ziehen und Zerren hinter den Kulissen erleben. Das Ergebnis ist ein Gesetzentwurf, der insbesondere bei der Altersversorgung nur eines zeigt: Die Koalition hat sich nicht einigen können und bietet deshalb statt einer echten Lösung den Weg in die Beliebigkeit an.
Das ursprünglich geplante Gesetzgebungsverfahren ist einfach haarsträubend: Eingereicht wurde der Gesetzentwurf am 12. Oktober in der sitzungsfreien Zeit. Seine Begründung ist mit dem Begriff „stichwortartige Kürze“ höchst freundlich beschrieben: Unter Verzicht auf die 1. Lesung sollte der Verfassungs-, Rechts- und Europaausschuss bereits eine Woche später darüber beraten und die abschließende Lesung am 3. November stattfinden.
Werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP: Ich habe allen Respekt vor dem allgemeinen Interesse, noch vor Jahresende eine Klärung zum Problem Versorgungswerk zu erreichen. Aber dieses Tempo ist vielleicht zur Not bei einem technischen Gesetz möglich, nie und nimmer jedoch, wenn es um das Abgeordnetenrecht, also unsere eigenen Angelegenheiten geht! Ein solcher Schweinsgalopp schafft nicht Transparenz, sondern Verschleierung!
Unsere Fraktion konnte zumindest die unumgängliche und in ihren Ergebnissen wertvolle Anhörung durchsetzen. Wir müssen jedoch feststellen, dass die kritischen Ausführungen der Sachverständigen durch die Koalition in keinem Punkt berücksichtigt wurden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, nach Grundgesetz wie Sächsischer Verfassung haben Abgeordnete Anspruch auf eine angemessene, die Unabhängigkeit sichernde Entschädigung. Das Bundesverfassungsgericht hat in mehrfacher Rechtsprechung, insbesondere im Diätenurteil von 1975, die Rahmenbedingungen konkretisiert: Dazu gehören die formale Gleichheit aller Abgeordneten, ihr Anspruch auf Voll-Alimentation während der Mandatszeit sowie die Notwendigkeit, höchste Transparenz zu wahren.
Deshalb misst unsere Fraktion die Gesetzgebung an drei Kriterien:
Das erste ist Transparenz: Sie ist im Gesetzgebungsprozess wie auch in den resultierenden gesetzlichen Regelungen notwendig. Wir treffen Entscheidung in eigener Sache – die Medien und die Öffentlichkeit sind deshalb als Kontrolleure unentbehrlich.
Zweitens brauchen wir Nachvollziehbarkeit. Alle Regelungen müssen logisch und notwendig aus dem Abgeordnetenstatus hervorgehe.
Und drittens muss unser Ziel größtmögliche Gleichheit sein – Gleichheit nicht nur zwischen den Abgeordneten, sondern auch weitgehende Gleichbehandlung mit den Bürgerinnen und Bürgern unseres Landes, insbesondere wenn es um Altersversorgung und steuerliche Fragen geht.
Dieses Gleichheitsprinzip wird vor allem bei der Altersversorgung in mehrfacher Hinsicht verletzt:
Das Versorgungswerk ist nicht zuletzt daran gescheitert, dass diese Regelung, anders als in Nordrhein-Westfalen, nicht für alle Abgeordneten galt, sondern nur für die in dieser Wahlperiode neu hinzugekommenen. Deren Unzufriedenheit kann ich vollkommen verstehen. Eine solche Ungleichbehandlung darf nicht aufrecht erhalten werden.
Als Medien im Frühsommer meldeten „Junge Abgeordnete wollen bessere Altersversorgung“, haben sich deshalb die vier Neuen in der GRÜNEN Fraktion zu Wort gemeldet. Meine Kolleginnen und Kollegen haben der Rückkehr zur alten staatlichen Altersversorgung eine klare Absage erteilt und betont: Die Diskussion darf nicht lauten, wie erstmalig im Landtag vertretene Abgeordnete in den Genuss der alten Versorgung kommen, sondern wie alle Abgeordnete in eine neue Regelung integriert werden können!
Die jetzt  im Gesetzentwurf vorgesehene Auszahlung eines Vorsorgebeitrages könnte diese Forderung erfüllen. Der Vorsorgebeitrag ist transparent, in seiner Anbindung an den Höchstbeitrag in der freiwilligen gesetzlichen Rentenversicherung logisch nachvollziehbar und sichert bestmögliche Gleichbehandlung gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern im Lande. Deshalb wollte unsere Fraktion diese Lösung auch bereits bei der letzten Novellierung im Jahr 2007 durchsetzen.
Sie, werte Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP, durchkreuzen jedoch diesen Schritt, indem sie für alle Abgeordneten den Zugang zur alten beamtenähnlichen Altersversorgung frei machen. Das Versorgungswerk war zumindest ein halber Schritt vorwärts. Sie machen jetzt eine Rolle rückwärts, indem sie ein teures, intransparentes und von der Bevölkerung zu recht kritisiertes Privileg wieder einführen. Dem wird unsere Fraktion nicht zustimmen!
Nun sagen Sie: Jeder kann, keiner muss in die staatliche Altersversorgung. Der Sachverständige Steinhäuser vom Bund der Steuerzahler hat Ihnen in der Anhörung jedoch vorgerechnet, dass ein Abgeordneter innerhalb von zwei Legislaturperioden durch Einzahlung in die gesetzliche Rentenversicherung einen Rentenanspruch in Höhe von reichlich 500 Euro erwerben kann, in der staatlichen Altersversorgung jedoch mindestens 1.390 Euro. Angesichts dieser Zahlen sage ich Ihnen: Die Selbstlosigkeit wird ihre Grenzen haben. Wir Abgeordneten sind nicht die besseren Menschen, deshalb brauchen wir die besseren Regeln. Die haben Sie leider nicht geschaffen!
Ich möchte noch etwas zum Indexmodell sagen. Die Einführung eines Index, über den die Entwicklung der Diäten an die Einkommensentwicklung gekoppelt wird, ist grundsätzlich richtig und wird von uns begrüßt. Die Indexierung schafft einen objektiven, für jeden nachvollziehbaren Maßstab.
Das Problem liegt jedoch im Detail, das heißt in der Ausgestaltung des Index. Wir können die Entwicklung der Erwerbseinkommen zugrunde legen, was der Tätigkeit eines Abgeordneten sicher angemessen ist. Die Sachverständigenkommission der 4. Wahlperiode hatte vorgeschlagen, dafür die gewerbliche Wirtschaft und den öffentlichen Dienst zu berücksichtigen. Wesentlich besser ist nach meiner Überzeugung die Orientierung an der durchschnittlichen Entwicklung der Einkommen aller Arbeiter und Angestellten in Sachsen.
Wir können in einem anderen Modell auch Transfereinkommen über Rentenwert und Sozialhilfesatz einbeziehen, da Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes sind. Wenn das geschieht, dann aber bitte nach den entsprechenden Anteilen der Einkommensbezieher an der Bevölkerung und nicht nur mit symbolischen fünf Prozent. Das wurde in der Anhörung zu recht als „Mogelpackung“ kritisiert.
Was auf keinen Fall in einen solchen Index hineingehört, ist die Entwicklung des Bruttoinlandsproduktes. Meine Damen und Herren, Ihnen müssten doch die Ohren klingen nach der Anhörung, denn das BIP hat bei keinem Sachverständigen Unterstützung gefunden. Aber offensichtlich sind sie in dieser Hinsicht taub, den  geändert hat sich nichts. Dabei erinnere ich mich noch sehr gut an die Diätendebatte in der letzten Legislatur, in der Kollege Zastrow, damals noch Opposition, darlegte, wie weit die Einkommensentwicklung der wirtschaftlichen Entwicklung hinterherhinken kann. Hätten Sie diese Erkenntnis doch mit in die Regierungskoalition genommen und den Irrweg BIP vermieden.
Wie auch immer der Index zur Diätenanpassung gestaltet wird: Sie sollten ihn auf keinen Fall benutzen, um Erhöhungen der Abgeordnetenentschädigung an der Öffentlichkeit vorbei zu mogeln. Eine Veröffentlichung im Gesetz- und Verordnungsblatt reicht nicht aus. Wir brauchen auf jeden Fall einen Landtagsbeschluss!
Leider hat Ihnen in der Koalition der Mut gefehlt, den Schritt zur Versteuerung der Aufwandsentschädigung zu gehen, wodurch wir Abgeordnete uns mit den Steuerzahlern im Lande gleichstellen würden. Wir konnten uns in der Anhörung davon überzeugen, dass dieses System in Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein funktioniert.
Wir GRÜNE werden deshalb weiterhin unser Ziel verfolgen, die Abgeordnetenbezüge nach dem Beispiel der beiden genannten Länder radikal neu zu ordnen. Damit würden alle Bezüge in einem transparenten ‚Abgeordnetengehalt’ zusammengefasst. Zu recht kritisierte Privilegien wie die kostenlose staatliche Überversorgung im Alter und die Steuerfreiheit von Aufwandspauschalen gehörten damit der Vergangenheit an.
Werte Kolleginnen und Kollegen von der Koalition, wenn Ihnen wieder einmal der Mut dazu fehlt – wir haben ihn. Holen Sie ihn sich ab!