Michael Weichert: Dem Paradigmenwechsel in der Vergabepolitik den Zuschlag zu erteilen

Redebeitrag von Michael Weichert zum Gesetzentwurf der Fraktion GRÜNE "Gesetz über die Ausschreibung und Vergabe öffentlicher Aufträge im Freistaat Sachsen (Sächsisches Vergabegesetz)" (Drs. 5/9002), 73. Sitzung des Sächsischen Landtages, 17. April 2013, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

zu Beginn möchte ich die Landrätin des Vogtlandkreises, Frau Dr. Maria Denk zitieren, die 2065, anlässlich der 50-Jahrfeier zur Neugestaltung des Plauener Rathauses u.a. folgendes sagte: "Ein besonderer Dank, meine Damen und Herren, gilt aber auch unseren Vorgängern, die mit einer klugen und vorausschauenden, aber auch gesamtwirtschaftlich vernünftigen Vergabeentscheidung schon im Jahr 2014 dafür gesorgt haben, dass uns dieses funktionale wie schöne Gebäude seit 50 Jahren horrende Betriebskosten, verglichen mit anderen öffentlichen Gebäuden, erspart hat. Wir konnten und können dadurch finanzielle Spielräume nutzen, um beispielsweise die Ausstattung unserer Kitas, Schulen und Sportanlagen modern und zeitgemäß zu halten oder auch die Finanzierung der soziokulturellen Zentren hier in Plauen sicher zu stellen."

Das, meine Damen und Herren, wäre der Effekt, den wir für Sachsen langfristig erreichen können, wenn wir heute die Weichen richtig stellen. Beim Thema Vergaberecht sind wir da in guter Gesellschaft. Zunächst haben im Jahr 2004 Europäisches Parlament und Europäischer Rat die Richtlinie beschlossen, die es ermöglicht, ökologische und soziale Kriterien bei der Vergabe öffentlicher Aufträge anzuwenden.
2006 hat das Bundesverwaltungsgericht die Zulässigkeit von Tariftreueregelungen in den Vergabeverordnungen bestätigt.
2008 hat dann der Europäische Gerichtshof im sog. "Rüffert"-Urteil die Möglichkeit ökologische, soziale und innovative Kriterien für Beschaffungen und Investitionen der öffentlichen Hände zu berücksichtigen, höchstrichterlich festgestellt.
Schon im April 2009 hat die Bundesregierung das deutsche Vergabewesen modernisiert und zu den bislang geltenden Kriterien für Bieter, nämlich Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit, die nunmehr europäisch eingeführten und modernen Kriterien, umweltbezogene, soziale und innovative Belange, hinzugefügt, solange sie im sachlichen Zusammenhang mit der Auftragsvergabe stehen.

Inzwischen haben 13 der 16 Bundesländer nachgezogen und diese Regelungen im Landesrecht eingeführt.
Nicht so Sachsen, obwohl die Prüfung der Umsetzbarkeit im Koalitionsvertrag von CDU und FDP gefordert wird.

Wenn wir hier nicht als Schlusslicht dastehen wollen, müssen wir uns schnellstens der aktuellen Entwicklung anpassen und unsere Spielräume als Gesetzgeber nutzen und nicht verspielen – wie es leider mit der Gesetzesnovelle der Koalition geschieht, die im Januar hier auf der Tagesordnung stand.

Meine Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, und auch die Fraktionen von SPD und Linken legen Ihnen heute Gesetzentwürfe vor, die beides beinhalten: nämlich die Anpassung an europäische Normen und das Nutzen politischer Spielräume.

Das heißt konkret:
Wir wollen bei Vergaben, Beschaffungen und Investitionen der öffentlichen Hände in Sachsen
1. diese an ökologischen und sozialen Kriterien ausrichten,
2. kleine und mittlere Unternehmen sowie die regionalen Wirtschaftskreisläufe stärken,
3. unnötige Bürokratie abbauen,
4. mehr Transparenz und
5. mehr Korruptionsprävention erreichen, sowie
6. die Reichweite des sächsischen Vergabegesetzes auf alle Bereiche ausdehnen, in denen in Sachsen öffentliches Geld ausgegeben wird.
Meine Damen und Herren, die Steuerzahler, unsere Bürger, haben Recht darauf, nicht nur zu erfahren, dass ihr Geld ausgegeben wird, sondern vor allem WIE es ausgegeben wird.

Im Paragraph 7 des vorgelegten Gesetzentwurfs werden die umweltrelevanten Vergabekriterien für Produkte, Dienst- und Bauleistungen geregelt. Hier geht es darum, Ressourcenverbrauch so effizient wie möglich zu gestalten und damit während der Lebenszeit einer Anschaffung oder Investition die Betriebskosten so gering zu halten wie zum Zeitpunkt der Vergabe möglich ist. Genauso sind die etwaigen Entsorgungskosten und die allgemeinen durch das Produkt entstandenen Umweltkosten zu berücksichtigen. Dann haben wir eine tatsächliche Lebenszykluskostenbetrachtung und damit auch gesamtgesellschaftlich gesehen die wirtschaftlichste Vergabe. Das ist der Paradigmenwechsel, weswegen es sich um eine wirkliche Modernisierung der Vergabepolitik in Sachsen handelt. Denken Sie an die Worte von Landrätin Dr. Denk. Über 50 Jahre gesehen liegen die Investitionskosten für die vogtländische Immobilie unter 20 Prozent, die Betriebskosten bei 70 Prozent.

Im Paragraph 19 kann man das Gesamtgesellschaftswirtschaftlichkeitsprinzip nachlesen. Nicht der billigste Anbieter erhält den Auftrag, sondern das Unternehmen, das in diesem Sinne das wirtschaftlichste Angebot macht. Zur Betrachtung kommen hier natürlich
die Anschaffungskosten aber auch
die voraussichtlichen Betriebskosten,
der Energieverbrauch und
die Entsorgungskosten,
die Transportkosten und
alle externen Umweltkosten, die mit der Anschaffung oder Investition in Zusammenhang stehen.

Für die Beschaffungsstellen bedeutet das übrigens auch, dass mit Steuermitteln der möglichst sorgsamste Umgang gepflegt wird. Und das führt zu einer langfristigen Haushaltswirkung – Frau Dr. Denk will ich jetzt nicht noch mal bemühen.
In den Paragraphen 10, 11, 12 und 13 sind die sozialen Kriterien festgeschrieben: Hier geht es um
1. die Einhaltung der Kernarbeitsnormen, die von der Internationalen Arbeitsorganisation ILO festgelegt sind.
2. Tariftreue unter Beachtung europarechtlicher Vorgaben und
3. eine Lohnuntergrenze von 8,50 Euro, die dort gilt, wo es (noch) keine Tariflöhne gibt.
Das gilt laut Paragraph 2 (4) ausdrücklich auch für Leiharbeitnehmer.

In den Paragraphen 3 und 4 finden Sie die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen und die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe. Das erreichen wir
1. durch mehr Ausschreibungen und weniger freihändige Vergaben.
2. indem die losweise Ausschreibung von der Sollregelung zur Pflicht wird. Abweichungen davon müssen begründet werden.
Und 3. müssen kleine und mittlere Unternehmen auf beschränkte oder freihändige Vergaben hingewiesen werden.

Das Alles mag nach mehr Bürokratieaufwand klingen. Durch Regelungen im  Paragraph 15 erreichen wir jedoch das Gegenteil: Hier wird die Möglichkeit der Präqualifikation eingeräumt. Das verringert den Aufwand seitens der Unternehmen und erleichtert besonders kleinen und mittleren Unternehmen, sich an Ausschreibungen zu beteiligen – gerade bei den vielen Kleinstunternehmen im IHK und HWK Bereich, die wir hier in Sachsen haben. Die wichtige Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe in den ländlichen Räumen habe ich schon erwähnt.

Die Paragraphen 26 und 28 sind Regelungen, die zu mehr Transparenz führen. Alle Vergabeentscheidungen der öffentlichen Hände müssen veröffentlicht werden. Wichtig ist, dass sowohl inhaltliche Vorgaben gemacht werden als auch dem Sächsischen Landtag die Möglichkeit eingeräumt wird, die Wirksamkeit der neuen Kriterien zu bewerten und gegebenenfalls nachzujustieren. Selbstverständlich werden alle Vergabestellen der öffentlichen Hand einbezogen, also auch die staatlichen Unternehmen und Beteiligungen, bei denen der Anteil des Landes oder der Kommunen über 50 Prozent liegt.

Sie sehen meine Damen und Herren, wir legen ein durchdachtes, an der Zukunft unseres Landes ausgerichtetes, modernen europäischen Regularien entsprechendes Sächsisches Vergabegesetz vor. Im Wesentlichen geht es darum, ökologische, soziale und innovative Kriterien bei Ausgabe von Steuermitteln beachten zu können. Dabei geht es jährlich um ca. 14 Prozent des BIP – in Sachsen also um immerhin 13 Milliarden Euro. Wir sollten uns im Interesse nachfolgender Generationen dazu entscheiden, dem gesamtgesellschaftlich gesehen, wirtschaftlichsten Angebot, also der Lebenszykluskostenbetrachtung und damit dem Paradigmenwechsel in der Vergabepolitik den Zuschlag zu erteilen. Frau Dr. Denk, übrigens Jahrgang 2011, wird das 2065 entsprechend würdigen.

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