Michael Weichert: Die schwarz-gelbe Agrar-Lobbypolitik hat abgewirtschaftet!

Rede von Michael Weichert zur 2. Aktuellen Debatte ‚Piep, piep, piep, guten Appetit! Schluss mit den Lügen der Agrarindustrie", 72. Sitzung des Sächsischen Landtages, 14. März 2013, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
————————————————————————————

Sehr geehrte Damen und Herren,
sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

der Titel unserer aktuellen Debatte „Piep, piep, piep – guten Appetit“ usw. ist flapsig, das gebe ich gerne zu.
Aber er hat sein Ziel schon erreicht, bevor die Debatte überhaupt stattgefunden hat. Dank des selbstlosen Einsatzes der FDP-Pressestelle wurde er bereits bei Facebook & Co. von prominenten Persönlichkeiten diskutiert, wie z.B. vom stellvertretender Fraktionsvorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion.
 
"Osterzeit ist Eierzeit", heißt es auf der Internetseite www.deutsche-eier.info, DER Eierseite schlechthin. Unter dem Motto (nicht lachen bitte): „Das deutsche Ei – ein starkes Stück“ informiert dort der Zentralverband der Deutschen Geflügelwirtschaft darüber, dass 75 Prozent der Haushalte mit Kindern zu Ostern Eier färben. Das ist toll, keine Frage!
 
Vom aktuellen Betrugsskandal liest man hingegen nichts. Vielleicht hat das damit zu tun, dass unter anderem auch gegen den Vizepräsidenten des Verbandes, Wilhelm Hoffrogge, staatsanwaltschaftlich ermittelt wird. Wie kann das sein? Auf der Eierseite lobt sich die Branche (ich zitiere):
 
„Eigenbetriebliche Kontrollen, die regelmäßig amtlich überwacht werden, sorgen dabei für beste Ei-Qualität durch permanente, sachgerechte Tierbetreuung, zu der unter anderem die Gesundheitsüberwachung und -vorsorge bei den Legehennen zählt, hygienische Haltungsbedingungen und hochwertige Futterversorgung sowie fachgerechte und schonende Eiersortierung und Vermarktung.“ (Zitat Ende)
 
Meine Damen und Herren, das Gerede der Geflügelindustrie über Transparenz und artgerechte Haltungsbedingungen ist das Papier der teuren Hochglanzbroschüren nicht wert, mit denen die Lobby um sich wirft, um ihr mieses Image aufzupolieren. Angesichts des aktuellen Skandals wirkt das wie ein schlechter Scherz. Hunderte Bauern haben ihren Kritikern Wasser auf die Mühlen gegossen und Vertrauen beim betrogenen Verbraucher verspielt. Blöder geht es wirklich nicht: Ausgerechnet in einer Branche, die aufgrund früherer Vergehen argwöhnisch beobachtet wird und die wegen ihres schlechten Images ständig herumjammert, scheint dreister Betrug die Regel zu sein. Ställe werden tierschutzwidrig vollgestopft. Hühnerhalter stecken einfach mal 2.000 Hennen mehr in den Stall – und lassen die separat ausgestellte Rechnung der Küken-Lieferanten im Papierkorb verschwinden. Wird schon keiner merken …
 
Auf die Spur der Betrüger war die Behörde aufgrund der Aussage eines Landwirts in einem Zivilprozess gekommen. Dieser hatte beiläufig gesagt, es sei üblich, mehr Hühner einzusetzen, als erlaubt. Daraufhin informierte der Richter die Staatsanwälte. Sie ermitteln gegen rund 150 Betriebe – konventionelle und Ökobetriebe – in Niedersachsen. Etwa 50 weitere Verfahren sind an andere Bundesländer abgegeben worden, darunter auch Sachsen.
 
Werte Kolleginnen und Kollegen: Ja, auch Ökobetriebe sind betroffen. Konzern-Bio ist keinen Deut besser als konventionelle industrielle Tierhaltung! Vollgestopfte Ställe, illegal produzierte Eier und federlose Tiere – die Haltungsbedingungen sind offensichtlich doch von der Größe der Betriebe abhängig, egal ob BIO oder nicht. Das können sie kaum länger leugnen. Will die Biobranche glaubwürdig bleiben, müssen die Verbände endlich aktiv werden und Bestandsobergrenzen einführen, damit der industriellen ‚Bio-Haltung‘ ein Riegel vorgeschoben wird.
Außerdem muss die Betriebsteilung verboten werden, wie sie nach EU Bio-Verordnung erlaubt ist. Die gleichzeitige Haltung von konventionellen und Biohühnern öffnet dem Betrug Tür und Tor. Wie viele Millionen Eier aus Quälhaltung sind so über Nacht zu Bioeiern geworden? Dies ist nicht zu kontrollieren, schon deshalb nicht, weil die Ökokontrollstellen nur den ökologisch produzierenden Betriebsteil kontrollieren dürfen. Das muss sich ändern, sonst verliert die gesamte Branche das Vertrauen der Verbraucher!
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP: Als parlamentarischer Arm des Bauernverbandes sind sie dessen Sprachrohr. Das ist allen bekannt. Aber bitte verschonen Sie uns heute mit dessen Märchen, Schuld an den Skandalen der Agrarindustrie hätten die Verbraucher mit ihrer „Geiz ist geil“-Mentalität. So versuchen Sie, den Verbrauchern die Verantwortung für IHRE verfehlte Agrar- und Verbraucherschutzpolitik in die Schuhe zu schieben.
Doch so einfach geht das nicht! Der Absatz von Bioeiern ist 2011 im Vergleich zu 2010 um 30 Prozent gewachsen. Verbraucher haben bewusst mehr Geld ausgegeben, damit Hühner artgerecht gehalten werden. Doch dieses Produktversprechen wurde nicht gehalten. Die Verbraucher wurden von profitgierigen Unternehmern im ganz großen Stil gelinkt, von den Behörden nicht ausreichend geschützt und von der Politik ignoriert. (Dies gilt übrigens auch für das Pferdefleisch in der Lasagne.)
 
Das Problem ist: Bei Fällen von Etikettenschwindel können die zuständigen Behörden die Verbraucher aufgrund der derzeitigen Gesetzeslage bei Täuschungsfällen nicht über die betroffenen Produkte informieren. Die Änderungen im Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch (LFGB), nach der die Behörden in solchen Fällen künftig informieren sollen, reichen nicht aus. Wer nur informieren soll und nicht informieren muss, der darf das Informieren auch sein lassen – genau das ist das Problem. Ich sage deshalb: Weg mit dem Ermessensspielraum! Der Name des Erzeugers, der täuscht oder betrügt, muss bei begründetem Verdacht veröffentlicht werden. Nur durch entsprechende Transparenzverpflichtungen der Behörden können die Verbraucher sofort nach Bekanntwerden eines lebensmittelrechtlichen Betrugs- oder Täuschungsdelikts davor bewahrt werden, falsch deklarierte Ware unwissentlich zu kaufen oder verzehren.
 
Meine Damen und Herren, haben Sie sich beim Thema Kontrollen auch schon einmal gefragt, warum ein Skandal den nächsten jagt und warum systematische Betrügereien über Jahre unentdeckt bleiben? Schließlich gibt es ja Kontrollen. Laut Grundgesetz sind dafür die Länder zuständig. Doch offensichtlich taugt die föderal organisierte Lebensmittelüberwachung nicht für den Kampf gegen kriminelle Machenschaften. Solange sich Bund und Länder gegenseitig die Schuld in die Schuhe schieben, lachen sich die Geschäftemacher ins Fäustchen. Ihnen vergeht der Spaß erst, wenn die Kontrolle zentral organisiert wird. Gegen kriminelle Trickserei brauchen wir eine präzisere Kontrolle, damit die Kontrolleure finden, was jetzt die Staatsanwälte entdecken mussten. In einem ersten Schritt muss eine Rotation in den Landkreisen selbstverständlich werden. Es geht nicht, dass immer die gleichen Kontrolleure den gleichen Betrieb überwachen.
 
Der aktuelle Skandal zeigt auch, dass auf die Eigenkontrollen der Agrarindustrie kein Verlass ist. Die Verbraucherzentrale spricht von „katastrophalen Mängeln in der Futter- und Lebensmittelwirtschaft“ und stellt Forderungen auf, die wir GRÜNEN ausdrücklich unterstützen. Dazu gehört,

  • die Namen der betroffenen Betriebe unverzüglich zu veröffentlichen,
  • die unrechtmäßig erwirtschafteten Gewinne einzuziehen (dürfte bei 40 bis 60 Millionen Euro liegen),
  • durch sofortige bundesweite Kontrollen sicherzustellen, dass nicht weiterhin mehr Legehennen in den Ställen gehalten werden, als erlaubt ist.
  • Betriebe bei Betrug hart zu bestrafen. Betriebsschließungen und Berufsverbote dürfen kein Tabu sein,
  • für die Eigenkontrollen der Lebensmittelhersteller konkrete, gesetzliche Vorgaben und Qualitätsstandards zu entwickeln
  • dass die Länder künftig ihre Überwachungstätigkeit einheitlich vollziehen; dazu gehört unter anderem ein einheitlicher Bußgeldkatalog bei Verstößen gegen das Lebensmittelrecht.

 
Wie es in Sachsen tatsächlich zugeht, macht eine Pressemitteilung des Sächsischen Beamtenbundes deutlich. Darin wird kritisiert, dass seit Jahren kontinuierlich Personal in den Vollzugsbehörden und im Untersuchungsbereich abgebaut wird. Notwendige Investitionen für moderne Analysentechnik werden gekürzt. Günstige Rahmenbedingungen, z.B. ein schneller und effektiver Kurierdienst zum Probentransport, werden zerschlagen. Der Beamtenbund resümiert (ich zitiere):
 
„All dies führt dazu, dass Kontrollfrequenzen sinken und Laboruntersuchungen zurückgefahren werden müssen. Wenn man Verbraucher wirklich schützen will […] muss man Geld in die Hand nehmen.“ (Zitat Ende)
 
Meine Damen und Herren, bei aller berechtigten Kritik an den Kontrollen glaube ich nicht, dass diese allein vor weiteren Lebens- und Futtermittelskandalen schützen können. Die eigentliche Krankheit heißt „industrielle Landwirtschaft“. Seitdem sie die Lebensmittelproduktion befallen hat, sind fast die Hälfte der deutschen Bauernhöfe dahingerafft worden. Sie mussten aufgeben, weil sie dem Druck nicht standhalten konnten, immer mehr Nahrungsmittel zu immer niedrigeren Preisen zu erzeugen. Verbleibende Höfe werden zu Agrarfabriken aufgerüstet, in denen Tiere unter teils qualvollen Bedingungen leben müssen. Um die Milchflüsse und Fleischströme vor dem Versiegen zu bewahren, reicht das Futter vom eigenen Hof längst nicht mehr aus, zu teuer ist es obendrein. So hat die Sucht nach stets steigenden Erträgen die Landwirtschaft abhängig gemacht von billigen Futtermitteln, die zugekauft werden müssen.
 
Folge des kranken Systems ist bspw. der aktuelle Futtermittelskandal. 45.000 Tonnen Futtermais aus Serbien, in dem die gesetzlich erlaubte Höchstmenge für Aflatoxin um das Zehnfache überschritten wurde, landete in Deutschland. 10.000 Tonnen wurden an Tierhaltungsbetriebe ausgeliefert. Verwunderlich ist, dass die Alflatoxin-Belastungen weder in den Eigenkontrollen des Importeurs noch denen der Futtermittelhersteller aufgefallen sind. Nicht nur, dass Untersuchungen auf Schimmelpilzgifte eigentlich zum Standardrepertoire gehören. Seit Oktober gab es zudem einen Warnhinweis, dass Mais aus Osteuropa mit Alfatoxinen belastet sein könnte. Eigentlich ein Grund, besonders genau hinzugucken, sollte man meinen. Es wurde also geschludert, oder krimineller Weise darauf spekuliert, dass die Belastungen nicht auffallen. Das belegt einmal mehr, dass den Unternehmen besser auf die Finger gesehen werden muss. Ans Tageslicht kamen die Belastungen erst durch Routine-Kontrollen einer Molkerei.
 
Eine Landwirtschaft, die von ständigen Skandalen gebeutelt wird, hat keine Zukunft. Auf Profitmaximierung gedrillt, vernichtet sie allmählich ihre eigene Lebensgrundlage: Sie verseucht das Grundwasser mit Nitraten, zerstört fruchtbare Böden, beschleunigt das Artensterben und trägt massiv zum Klimawandel bei. Wird dagegen nichts unternommen, werden eines Tages die Schäden an der Umwelt irreparabel sein, und der Boden wird nicht mehr genug Nahrung hervorbringen, um künftige Generationen zu ernähren.
 
Meine Damen und Herren, wir setzen auf eine bäuerliche, das heißt eine sozial, ökologisch und wirtschaftlich nachhaltige Landwirtschaft mit regional angepasster Größenstruktur. Sie stärkt die Ernährungssouveränität, schützt das Klima, erhält die biologische Vielfalt und schont das Wasser und den Boden. Die multifunktionale Landwirtschaft produziert nicht nur Lebensmittel, sondern pflegt auch die Kulturlandschaft. Traditionelle landwirtschaftliche Nutzungsformen haben insbesondere auf dem Grünland besonders artenreiche Ökosysteme geschaffen. So wie die Kulturlandschaft einmal durch die bäuerliche Bewirtschaftung entstanden ist, so kann auch heute eine nachhaltige landwirtschaftliche Nutzung Vielfalt hervorbringen. Vielfältige Fruchtfolgen, lokale Sorten, extensive Grünland- und Weideflächen, bodengebundene Tierhaltung und vielfältige Betriebstypen und Arbeitsplätze: So entsteht Vielfalt durch Nutzung.
 
Kritiker werfen uns romantische Verklärung vor, weil sie sich nicht vorstellen können oder wollen, dass man auch anders (land)wirtschaften kann. Wer keine Vision hat, vermag weder große Hoffnung zu erfüllen, noch große Vorhaben zu verwirklichen. Diejenigen, die bäuerliche Wirtschaftsweise als „Museumslandwirtschaft“ diffamieren, haben selbst keine Antworten auf die Herausforderungen der Zukunft. Ein landwirtschaftliches Selbstverständnis, das alle traditionellen bäuerlichen Werte und Kulturtechniken hinter sich abgeschnitten hat, ist nicht tragfähig.
 
Liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU: Sie ernähren sich politisch immer noch von dem Märchen, Sie seien die Partei der Bauern. In Wahrheit haben Sie ‚die Bauern‘ zugunsten weniger Großbetriebe längst verkauft. Mit Ihrer verfehlten Agrarpolitik tragen Sie Mitschuld an den Lebens- und Futtermittelskandalen der vergangenen Wochen. Wir werden dafür sorgen, dass die Verbraucherinnen und Verbraucher dies zur Kenntnis nehmen. In Niedersachsen ist das bereits gelungen. (Auf die Frage, wer sich am ehesten für gute Landwirtschaftspolitik sorgt, gaben 35 Prozent der Befragten an, dies seien die Grünen. 34 Prozent sahen die Kompetenzen bei der CDU.) Der Erfolg ist uns Motivation, und ich verspreche Ihnen: Wenn sich an Ihrer Landwirtschaftspolitik nicht bald etwas ändert, ergeht es Ihnen früher oder später genauso wie Ihren niedersächsischen Parteikollegen. Die schwarz-gelbe Agrar-Lobbypolitik hat abgewirtschaftet!

» Alle GRÜNEN Reden finden Sie hier …