Michael Weichert: Fachregierungserklärung zum Ländlichen Entwicklung

Bei der sächsischen Förderung der Ländlichen Entwicklung liegt noch vieles im Argen
Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zur Fachregierungserklärung „Bürger entwickeln ihre Region – Halbzeit der Integrierten Ländlichen Entwicklung“, 16. Sitzung des Sächsischen Landtages, 20. Mai, TOP 2
Es gilt das gesprochene Wort!
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn Staatsminister Kupfer über die Integrierte Ländliche Entwicklung (ILE) sprechen darf, gerät er gern ins Schwärmen. Da geht es z.B. um

  • das Schmieden von Ideen und Kooperationen,
  • um zielgerichtete Projekte für die Bedürfnisse der Region,
  • um gemeinsam überstandene Debatten, die deren Teilnehmer        zusammenschmieden,
  • und um „Abstimmungen über Ortseingangsschilder hinweg“.

Das klingt toll, Herr Staatsminister, fast so als wäre im ländlichen Raum Sachsens alles in bester Ordnung. Und tatsächlich: Im Chaos der hilflosen Versuche zur Entwicklung des ländlichen Raumes ist die ILE-Förderung noch das Beste was uns widerfahren ist, denn

  • es macht Sinn, Regionen auf der Grundlage ihrer Entwicklungskonzepte    und nach eigenen Prioritäten Verantwortung bei der Gestaltung ihrer     Zukunft zu übertragen.
  • und es macht auch Sinn, die Kooperation der Akteure vor Ort zu  fördern, um das Kirchturmdenken zu überwinden.

Meine Damen und Herren,
doch auch die Aufzählung erfolgreicher Projekte aus den sächsischen ILE- und Leader-Regionen kann nicht darüber hinweg täuschen, dass hier noch vieles im Argen liegt. An allererster Stelle sind die starren Förderrichtlinien zu nennen, auf deren Basis die ILE-Förderung beantragt und bewilligt wird.
Obwohl die Fördertatbestände bereits umfangreich sind, müssen sie dringend erweitert werden. Zu dieser Einschätzung gelangte u.a. der Landrätekonvent auf seiner Sitzung am 10. Mai in Görlitz.
Bisher ist keine Richtlinie flexibel genug für Innovationen. Akteure, die ausgetretene Pfade verlassen möchten, stoßen gegen den starren Text der Förderbestimmungen, und auch die Regionalmanagements können oft nicht weiterhelfen. Das schafft Frustration und Passivität und sorgt dafür, dass Potentiale in den Regionen ungenutzt bleiben.
Dabei sind es gerade Innovationen, die der ländliche Raum dringlicher als alles andere braucht. Und er braucht die Menschen, die hinter diesen innovativen Ideen und Konzepten stehen. Darum fordere ich die Staatsregierung auf, an dieser Stelle aktiv zu werden und sich etwas einfallen zu lassen. Ich weiß, Kreativität ist keine Stärke der Koalition.
Doch keine Angst, die Praktiker vor Ort, die tagtäglich mit den Förderinstrumenten arbeiten, haben da schon sehr konkrete Vorstellungen. Deren Wunsch ist es, einen kleinen Teil der Gesamtsumme in Form eines Regionalbudgets auszureichen. Die Rede ist von ein bis fünf Prozent der jährlich bereit stehenden Fördersumme.
Dieses Geld sollte den Regionen als frei verfügbare Mittel zur Verfügung stehen, welche durch den örtlichen Koordinierungskreis an innovative Projekte vergeben werden können. Sie würden damit gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen, denn auch die Rolle der Koordinierungskreise würde gestärkt. Die sind derzeit nicht viel mehr als Kaffeekränzchen, die nicht mehr tun können, als die vom Regionalmanagement vorher bereits geprüften und ausgewählten Projektvorschläge durchzuwinken. Würde man ihnen die Hoheit über einen Teil des Budgets einräumen, wäre dies eine dringend notwendige Aufwertung dieser Gremien, die ja aus wichtigen regionalen Akteuren zusammengesetzt sind.
Meine Damen und Herren,
nicht nur den Koordinierungskreisen kommt im Rahmen der ILE-Förderung nicht der gebührende Stellenwert zu. Auch die Landwirte finden sich in dieser Förderung des ländlichen Raumes nicht wieder. Dabei sind sie es, die den ländlichen Raum entscheidend prägen und dringend benötigte Arbeitsplätze bereitstellen. Doch es ist aufgrund der Förderbedingungen oft nicht möglich, landwirtschaftliche Betriebe bzw. deren Produkte sinnvoll in ILE zu integrieren.
Die Bauern haben deshalb laut Sächsischem Landesbauernverband bereits resigniert. Sie sagen, es bringe nichts, beim ILE mitzuarbeiten. Der Staatsregierung müssten die Probleme bereits seit langem bekannt sein. In der Schriftenreihe der Sächsischen Landesanstalt für Landwirtschaft widmet sich ein ganzes Heft (Heft 14/ 2008) dem Thema „Landwirtschaft in der ILE“. Darin steht unter anderem (ich zitiere):
„Insgesamt besteht jedoch der Eindruck, dass die Land- und Ernährungswirtschaft noch zu wenig vertreten ist.“ (Zitat Ende)
Dies ist meines Erachtens nicht einfach hinnehmbar, zumal es im gleichen Heft weiter heißt:
Viele der geplanten Projekte mit land- und ernährungswirtschaftlichem Bezug haben grundsätzliches Potenzial zu einer höheren betrieblichen oder regionalen Wertschöpfung.“ (Zitat Ende)
Doch trotz dieser Erkenntnisse kann ich leider nicht erkennen, dass sich die Staatsregierung bisher bemüht hat, an dieser Stelle etwas zu tun. Wohin Ihre Untätigkeit führt, möchte ich Ihnen gern an einem konkreten Beispiel vor Augen führen:
Im Juni des vergangenen Jahres fand in Neusalza-Spremberg der 1. Oberlausitzer Genussmarkt statt, an dem über 60 Erzeuger, Händler, Handwerker und ortsansässige Unternehmen teilnahmen. Ziele der Veranstalter waren, über die Vielfalt der regionalen Angebote und Spezialitäten zu informieren, neue Kunden für die Teilnehmer zu gewinnen und damit die regionale Wertschöpfung zu stärken. Es handelte sich also um ein typisches Projekt für den ländlichen Raum. Doch für die Organisatoren entpuppte sich die Förderung des Marktes als blanke Katastrophe und bürokratischer Irrsinn, weil:

  • die Stadt als Antragsteller gar nicht vorgesehen war,
  • der Bürgermeister umständlich nachweisen sollte, dass er für die Stadt  vertretungsberechtigt ist,
  • einzelbetriebliche Werbung nicht zulässig war, d.h. selbst ein  Händlerverzeichnis war nicht förderfähig,
  • die Auflage bestand, Händler und Kunden zu befragen. Bis zu sieben      Interviewer waren daraufhin im Einsatz.

Zusammen mit Vor- und Nachbereitung, Auswertung, Präsentation und Bericht für die Förderstelle wären ohne Einsatz ehrenamtlicher Interviewer und des Regionalmanagements Kosten von ca. 10.000 Euro entstanden.
Das dicke Ende, meine Damen und Herren, kam aber erst hinterher. Die Förderstelle war nun plötzlich der Meinung, die teilnehmenden landwirtschaftlichen Unternehmen wären durch die Marketingmaßnahmen, für die 5000 Euro Förderung bereitgestellt wurden, nun doch indirekt bevorteilt worden. Darum sollte jedes Unternehmen eine 4-seitige De-minimis-Erklärung über jeweils 64,21 Euro (!) ausfüllen. Sie können sich die Reaktionen der Unternehmer sicher ausmalen. Im Ergebnis verzichtete die Stadt Neusalza-Spremberg auf die Förderung.
Herr Staatsminister Kupfer, wenn es das Ziel der Förderung ist, dass die Antragsteller auf das Geld freiwillig verzichten, können Sie Ihre ganzen Richtlinien getrost einstampfen. Es wäre kein Verlust! Ein Verlust wäre es aber, wenn Akteure wie die Stadt Neusalza-Spremberg demotiviert weitere Projekte bleiben ließen.
Ein Verlust ist ebenfalls, wie der Freistaat mit dem Potential der Regionalmanager umgeht. Diese Fachleute wurden beauftragt, sich vor Ort Gedanken über die regionale Entwicklung zu machen. Die Ergebnisse scheinen die Staatsregierung jedoch nicht zu interessieren.
Von mehreren Seiten höre ich Klagen darüber, dass die Managements von Informationen des Landes abgekoppelt und in die Ausgestaltung der Förderung über das Jahr 2013 hinaus nicht einbezogen sind. Stattdessen veranstaltet der Freistaat Schulungen, auf denen beigebracht wird, wie man richtig Protokolle schreibt.
Hören Sie endlich damit auf, das Potential der Regionalmanager zu verschleudern und sie zu Fördermittelverwaltern zu degradieren! Binden Sie die Akteure in die Strategie-Entwicklung für den ländlichen Raum mit ein und nutzen Sie deren Wissen und Ideen für Sachsen!
Oder haben Sie vielleicht gar keine Strategie? Dieser Eindruck könnte entstehen, schaut man sich alle Maßnahmen der Staatsregierung an, die sie uns als Förderung der ländlichen Entwicklung verkaufen will. Da werden Programmdörfer gefördert, ohne das dies mit dem Integriertes Ländliches Entwicklungskonzept (ILEK) abgestimmt wird. Vereine bekommen Demografie-Projekte gefördert, mit denen sie am Regionalmanagement und damit am ILEK vorbei arbeiten. Das geht sogar bis zur Entwicklung touristischer Angebote, was eigentlich eine Aufgabe der regionalen Tourismusverbände sein sollte.
Sehr geehrter Herr Minister, können wir uns diese Formen planloser Förderung von Doppelstrukturen bei der derzeitigen Kassenlage noch leisten? Ich glaube nicht. Und darum sollten Sie Ihre Hausaufgaben machen und nach dem heutigen Jubel über Ihre Erfolge wieder mit der Arbeit beginnen.
Dabei können Sie ja auf meterhohe Papierstapel zurückgreifen, die im Auftrag der Staatsregierung in den vergangenen Jahren zum Thema ländlicher Raum produziert wurden. Zu fast jedem Problem gibt  es Analysen, Zielvorgaben und Handlungsempfehlungen. Es wäre interessant, einmal zu errechnen, wie viel Geld das gesammelte Wissen den sächsischen Steuerzahler bisher gekostet hat. Doch was nützen all die guten Vorschläge, wenn Sie mit Ihrer Politik dann doch was ganz anderes machen?
Meine Damen und Herren,
nehmen wir den demografischen Wandel, dessen Folgen ja besonders den ländlichen Raum treffen und der die Entwicklung dort ganz entscheidend beeinflusst. In ihrem Handlungskonzept vom 27.04.2010 fasst die Staatskanzlei zusammen, wie die Staatsregierung den demografischen Wandel gestalten möchte. Was da drin steht, ist konsensfähig (ich zitiere aus den Entwicklungsschwerpunkten):
„Bildungsqualität, weil gut gebildete, sozial und interkulturell kompetente Fachkräfte in Zukunft verstärkt gesucht werden und Wissen sowie lebenslanges Lernen wichtige Grundlagen für die Innovations- und Wettbewerbsfähigkeit einer Gesellschaft sind.“ (Zitat Ende)
Ich könnte noch viele Stellen zitieren, an denen die richtigen Schwerpunkte, Ziele und Leitsätze aufgeschrieben wurden. Schaue ich mir nun die reale Politik der Staatsregierung an, kann ich kaum glauben, dass sie den Inhalt der eigenen Papiere kennt. Wie sonst kann Ministerpräsident Tillich denen das Wort reden, die eine Senkung der Bildungsausgaben im Visier haben? Und wie kann die Mehrheit der CDU-Fraktion dazu Beifall klatschen? Mehr Geld macht nicht automatisch klüger, da haben Sie Recht, Herr Ministerpräsident.
Aber weniger Geld im Bildungssystem macht automatisch dümmer, denn die Folge sind Lehrermangel, Schulschließungen und die Streichung weiterer Bildungsangebote.
Ihre Politik, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU und FDP versteht unter Zukunftsgestaltung nur Sparen mit dem Rasenmäher. Ausbaden müssen das zuerst die Menschen, die dort leben, wo es bereits heute Mangel gibt, nämlich im ländlichen Raum des Freistaates.
In deren Interesse rate ich Ihnen, endlich den Mut und Weitblick zu beweisen, Prioritäten zu setzen. In Ihren schlauen Papieren gibt es genug Hinweise honoriger Leute darauf, wo sinnvoll in die Zukunft investiert werden kann.
Wenn Sie sich hierhin stellen, Herr Staatsminister, und sich zu einer gesicherten Daseinsvorsorge auch auf dem Land bekennen; und das auch angesichts der demografischen Entwicklung weiter finanzieren und unterhalten wollen, dann reicht eben ein Demografie-Check bei den Bewilligungsbehörden nicht aus!
Da gehört auch mehr Ehrlichkeit in die Debatte! Da müssen wir mit den Menschen auch über Rückbau, Dezentralisierung oder auch über neue Mobilität reden. Beispielsweise darüber, ob der Patient zum Arzt gebracht wird oder der Arzt zum Patient und darüber wie wir das organisieren.
In einer Studie des Bundesumweltministeriums mit dem Titel „Ökologisch wirtschaften: Zukunftsperspektive ländlicher Raum.“ heißt es bspw. (ich zitiere):
„Ökologisch orientierte Wirtschaftszweige sind der richtige Ansatz, um die Rolle der ländlichen Räume als eine tragende Säule der Wirtschaftskraft zu stärken, ihre Attraktivität als Wohn- und Arbeitsort zu erhöhen und langfristig die natürlichen Ressourcen zu schonen.“ (Zitat Ende)
Meine Damen und Herren,
da haben wir in Sachsen noch jede Menge Potential, das gehoben werden könnte. Zuerst aber muss die Staatsregierung Ihre Scheuklappen absetzen und erkennen, dass ihr konzeptionsloses „WEITER SO“ ausgedient hat. Vielen Dank!