Michael Weichert zur Aktuellen Debatte über die Wirtschaftsentwicklung in Sachsen

Redebausteine des Abgeordneten Michael Weichert zur Aktuellen Debatte "Erfolgreiche Wirtschaftsentwicklung in Sachsen – Aufbau Ost wirkt", 52. Sitzung des Sächsischen Landtages, 8. März 2012, TOP 1
Es gilt das gesprochene Wort!
—————————————————————————-
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Nach der gestrigen Halbzeitbilanz setzt die Staatsregierung ihre Selbstbeweihräucherung fort. Der Tenor: Sachsen einig Schlumpfenland, wo alle alles können, alle glücklich sind und der lächelnde Landesvater seine Hände schützend über uns ausbreitet.
Besonders klingt mir noch der Satz in den Ohren: "Wir können Wirtschaft."
Abgesehen davon, dass dies schon mal grammatikalisch großer Blödsinn ist, ist es auch inhaltlich falsch, denn:

  • die Staatsregierung ruht sich auf den Erfolgen der Vergangenheit aus (siehe Rede Antje Hermenau zur Regierungserklärung)
  • nie zuvor äußerten Vertreter von Industrie und Handwerk derartig deutlich Kritik an der Wirtschaftspolitik der Staatsregierung, insbesondere am Totalausfall des FDP-geführten Wirtschaftsministeriums

Auf unsere Unternehmen können wir – im Gegensatz zur Staatsregierung – stolz sein. Dennoch gibt es genug ungelöste Probleme:
1. Kleinteilige Wirtschaftsstruktur

  • Die industrielle Basis ist nach wie vor schwach
  • Dynamik der wirtschaftlichen Entwicklung sinkt seit ca. 10 Jahren
  • Produktivitätsniveau stagniert zwischen 70 und 80 Prozent West
  • kaum "Headquarter" großer Unternehmen
  • Fehlen forschungsaktiver Unternehmen → Mangel an innovativen Kleinen und Mittelständischen Unternehmen
  • zu viele "verlängerte Werkbänke", zu wenig Endprodukte
  • zu wenig expandierender Mittelstand

Was kann man tun? Cluster können strukturelle Defizite z.T. auffangen

  • beeinflussen Innovationsverhalten, Gründungsgeschehen, Wettbewerbsfähigkeit und regionales Wirtschaftswachstum positiv
  • Bsp.: Solar- oder Photovoltaik → in allen Studien (auch in der aktuell heiß diskutierten Studie "Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven für Ostdeutschland" des Bundesinnenministeriums oder in Untersuchungen des Ifo-Institutes) hervorgehoben (Zitat):
    «Die Photovoltaik (PV) ist das am weitesten entwickelte Branchensegment der Erneuerbaren Energien in Sachsen. Mit über 5.300 Arbeitsplätzen und einem Umsatz von über 2,5 Mrd. Euro entfällt ein erheblicher Anteil am Gesamtumsatz und Beschäftigten der Erneuerbaren Energien in Deutschland auf den Freistaat.»
  • die Staatsregierung zerstört diesen Erfolg mutwillig
  • die Absenkungen der Solarförderung um 40 bis 58 Prozent innerhalb eines Jahres verkraften sächsische Modulhersteller nicht
  • Wie schizophren ist das denn? Überall auf der Welt schützen Regierungen ihre industrielle Basis, insbesondere die Leuchttürme, in Sachsen wird aus ideologischen Gründen und blindem Braunkohlenfetischismus eine Zukunftsbranche bewusst kaputtgemacht
  • …und dann besitzen Sie noch die Frechheit, diese Branche als Beleg für Ihre erfolgreiche Wirtschaftspolitik zu missbrauchen!

2. Fachkräftesituation

  • in den nächsten 20 Jahren wird ostdeutsches Erwerbskräftepotenzial um 125.000 Personen jährlich abnehmen
  • entscheidende Herausforderung ist: Fachkräfte finden, binden und entwickeln
  • statt schwarz-gelber Kürzungsorgien bei Bildung/ Hochschule brauchen wir Investition in die Köpfe
  • auch bei beruflicher Weiterbildung haben wir Defizite 
  • Qualifikationsniveau muss insgesamt erhöht werden → sonst bekommen wir in Sachsen Fachkräftemangel UND hohe Unterbeschäftigung
  • wir wollen deshalb ein Bildungsfreistellungsgesetz, das den Arbeitnehmern ein Recht auf Weiterbildung garantiert

3. Wirtschaftsförderung muss überprüft werden

  • Förderpolitik braucht eine Staatsregierung, die weiß, wohin sie will und die klare Ziele hat, die man quantifizieren kann
  • eine Innovationsstrategie, die den Namen verdient, wäre von Vorteil
  • haben wir die Ziele, müssen Instrumente geschaffen werden, mit den man sie erreichen kann
  • die Staatsregierung ist ziellos und hat keinen "sortierten Werkzeugkasten"
  • die Wirtschaftsförderung ist zu wenig an Nachhaltigkeit und selbsttragender Entwicklung orientiert
  • zu viel Geld fließt in die Förderung von Investitionen – egal, in was da investiert wird
  • Wir wollen:
    o Innovations- statt Investitionsförderung
    o flexible Programme, die z.B. durch vorschüssige Auszahlungen Liquiditätsengpässe in Unternehmen verhindern
    o Unterstützung kleiner Unternehmen mit niederschwelligen Angeboten (Innovationsgutscheine sind da ein guter Anfang)
    o Förderung des gesamten Prozesses, von der Forschung bis zur Markteinführung, mit einem Programm (derzeit haben wir in Sachsen fünf verschiedene)
    o Neuausrichtung der Technologietransfer-Förderung → Öffnung für Hochschulen, Technologiemittler und Industrieforschungseinrichtungen
  • letztlich müssen wir langfristig noch viel weiter denken
  • Spätestens ab 2019 wird uns viel weniger Geld zur Verfügung stehen. Was machen wir dann damit?
  • es muss uns gelingen, Wirtschaftsförderung neu zu definieren:
    o Umbau der direkten Unternehmensförderung hin zur Finanzierung einer innovationsfördernden Infrastruktur
    o eine hervorragende Bildungs- und Forschungsinfrastruktur ist Wirtschaftsförderung, die nicht ins Ausland verschwinden kann, die nachhaltig für Sachsen ist und ein innovatives Milieu fördert, was Neuansiedlungen attraktiv macht