Miro Jennerjahn: Beratungsnetzwerken gegen Rechtsextremismus fehlt bis heute verlässliche Finanzierungszusage

GRÜNEN, Linken und SPD "Beratungsnetzwerken gegen Rechtsextremismus eine Perspektive schaffen – Ko-Finanzierung umgehend und dauerhaft sicherstellen" (Dars 5/13120), 86. Sitzung des Sächsischen Landtages, 27. November 2013, TOP 9
– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
am 4. November 2013 hat die Staatsregierung gegenüber den Medien endlich angekündigt, die Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus wie bisher – das soll wohl heißen, auf dem Niveau von 2013 – weiter zu fördern. Also, alles gut, Thema erledigt? Mitnichten.
Dieser Fall hat seine ganz eigene Perfidie. Die Staatsregierung hat ein dreiviertel Jahr lang nicht nur die Beratungsnetzwerke im Regen stehen lassen, sondern auch die Opfer rechter Gewalt und diejenigen, die sich gegen Neonazis engagieren wollen und dafür auf die Expertise der Mobilen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus angewiesen sind.
Aber werfen wir noch einmal einen Blick auf den Werdegang, wie es zu dieser traurigen Situation gekommen ist.
Die lange Zeit unklare Finanzierungssituation der Beratungsnetzwerke ist ein Trauerspiel mit Ansage. Das Sozialministerium hatte bei der Aufstellung des Entwurfs für den Doppelhaushalt 2013/14 darauf verzichtet, für das Jahr 2014 eine Ko-Finanzierung für die RAA Sachsen, welche die Beratung für Opfer rechter Gewalt umsetzt, und das Kulturbüro Sachsen, das die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus koordiniert, bereit zu stellen. Dies wurde auch von CDU und FDP im Zuge der Haushaltsberatungen nicht korrigiert.
Die Begründung damals lautete: Das Bundesprogramm "Toleranz fördern – Kompetenz stärken" läuft Ende 2013 aus. Das, meine Damen und Herren, ist nur formal richtig. Jeder, der sich mit dem Thema beschäftigt, konnte die öffentlich geführte Diskussion über die Weiterführung des Bundesprogramms wahrnehmen. Es wäre überhaupt kein Schaden entstanden, die notwendige sächsische Ko-Finanzierung präventiv in den Haushalt für das Jahr 2014 einzustellen und die Beratungsnetzwerke nicht über ihre Perspektive im Unklaren zu lassen. Das ist sozusagen der Geburtsfehler.
Eigentlich fatal ist jedoch, dass der Freistaat Sachsen bereits seit Langem von der Fortführung des Programms "Toleranz fördern – Kompetenz stärken" im Jahr 2014 wusste. In der Antwort auf eine Anfrage meiner Bundestagskollegin Monika Lazar teilte das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend mit Schreiben vom 4. November 2013 mit: "Die Fortführung der Programme des Bundes zur Stärkung von Toleranz und Demokratie in 2014 ist den Ländern schon im Januar 2013 bekannt gegeben worden."
Wenn der Pressesprecher des Sozialministeriums in der Novemberausgabe des Leipziger Stadtmagazins Kreuzer also mit den Worten wiedergegeben wird, das SMS wisse erst seit September, dass das Bundesprogramm fortgeführt wird, entspricht dies nicht der Wahrheit.
Was hat die Staatsregierung also in der Zeit von Januar 2013 bis November 2013 konkret getan, um die Kofinanzierung sicherzustellen? Nichts. Die Staatsregierung hat ein dreiviertel Jahr lang nichts getan.
Meine Mündliche Anfrage hier im Sächsischen Landtag am 19. September 2013 zeigt dies deutlich. Außer einer allgemeinen Aussage, die Staatsregierung plane eine Fortführung der Ko-Finanzierung, könne aber über die Höhe noch keine Angaben machen, war da nichts zu vernehmen. Meine Nachfragen dazu wurden am 18. Oktober beantwortet. Inhalt: Das SMS beantragt eine außerplanmäßige Verpflichtungsermächtigung im 4. Quartal 2013, eine Förderzusage könne frühestens im Januar 2014 erfolgen.
Anders ausgedrückt: Auch vier Wochen nach meiner Mündlichen Anfrage hatte das SMS noch immer keine konkreten Maßnahmen in die Wege geleitet.
Erst der öffentliche Druck und eine für den 4. November 2013 geplante gemeinsame Pressekonferenz von RAA Sachsen und Kulturbüro Sachsen mit Vertretern aus Gewerkschaft, Kirche und LINKEN, SPD und GRÜNEN führte zu Bewegung. Gegenüber den Medien kündigte das SMS an, es gebe im Jahr 2014 für die Beratungsnetzwerke eine Weiterfinanzierung wie bisher. Offenkundig in dem peinlichen Versuch, die Pressekonferenz zu verhindern, wurde dies den beiden Trägervereinen am 1. November 2013 telefonisch mitgeteilt.
Meine Damen und Herren, der Umgang mit den sächsischen Beratungsnetzwerken gegen Rechtsextremismus ist ein gutes Beispiel für den simulierten Kampf gegen Rechtsextremismus durch die Staatsregierung. In Sonntagsreden wird lauthals zu mehr Engagement gegen neonazistische Umtriebe aufgerufen, in der Realität ist die Staatsregierung seit vier Jahren damit beschäftigt, den Engagierten Steine in den Weg zu legen. Sei es durch einen verfassungswidrigen Gesinnungs-TÜV oder durch versteckte Kürzungen im Landesprogramm Weltoffenes Sachsen.
Auch im Fall der Beratungsnetzwerke gibt es bisher nichts Belastbares, lediglich eine Ankündigung gegenüber der Presse und ein Telefonat, eine verlässliche Finanzierungszusage fehlt bis heute.
Und vor allem: Die Kürzungen der vergangenen zwei Jahre, die RAA und Kulturbüro hinnehmen mussten, werden klammheimlich fortgeführt.
Wurden beide Träger zusammen bis 2011 noch mit einem Etat von 750.000 Euro gefördert, sank dieser Betrag bis 2013 auf 650.000 Euro. Die Konsequenz ist, dass die Mitarbeiter der Vereine nicht mehr Vollzeit arbeiten, sondern in Teilzeit und die Gehälter auf dem Stand von 2001 verharren.
Die Arbeit von RAA und Kulturbüro ist zu wichtig, um sie lediglich halbherzig zu finanzieren. Wir fordern Sie daher heute auf, umgehend eine Ko-Finanzierung für das Jahr 2014 sicher zu stellen, die beiden Trägern mindestens die Arbeit auf dem Niveau des Jahres 2011 ermöglicht. Wir fordern Sie weiterhin auf, eine entsprechende Ko-Finanzierung bereits jetzt bei der Erstellung des Entwurfs für den Doppelhaushalt 2015/2016 sicherzustellen.
Und wir fordern Sie auf, bis Ende Januar 2014 eine tragfähige Handlungsstrategie zu erarbeiten. Diese muss eine nachhaltige Finanzierung der zivilgesellschaftlichen Projekte, Vereine und Initiativen gewährleisten. Sie muss allerdings auch ressortübergreifende Maßnahmen für Polizei, Justiz und Staatsverwaltung zur Sensibilisierung im Umgang mit Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit und Rechtsextremismus und zur Unterstützung für davon betroffene Opfer beinhalten.
Dass der Freistaat Sachsen dringend eine solche Handlungsstrategie benötigt, hat die Auseinandersetzung um die Beratungsnetzwerke wieder einmal verdeutlicht.
Am 23. November 2011 haben wir gemeinsam unter dem Eindruck des Auffliegens des so genannten "Nationalsozialistischen Untergrunds" Folgendes beschlossen: "Wir müssen gerade jetzt alle demokratischen Gruppen stärken, die sich gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus engagieren. Wir werden prüfen, wo dem Hindernisse entgegenstehen. Wir brauchen eine gesellschaftliche Atmosphäre, die ermutigt, gegen politischen Extremismus und Gewalt das Wort zu erheben."
Nehmen Sie diese Aufforderung unseres gemeinsamen Entschließungsantrages ernst und stimmen sie hier heute unserem Antrag zu.

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