Miro Jennerjahn: Ihnen geht nicht um ein tatsächlich existierendes Tabu, sondern darum, Ihrer rassistischen Dreckschleuderei frönen zu wollen

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zur Aktuellen Debatte "Wahlkampf-Tabu-Zuwanderung?", 91. Sitzung des Sächsischen Landtages, 30. Januar 2014, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –
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Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
"Wahlkampf-Tabu Zuwanderung?" übertitelt die NPD-Fraktion ihre Aktuelle Debatte. An diesem Titel stimmt so ziemlich gar nichts. Jetzt werde ich zunächst formalistisch und werfe einen Blick in die Geschäftsordnung des Sächsischen Landtags. Da steht unter Paragraph 55 Aktuelle Stunde folgendes: "Eine Fraktion kann zu einem bestimmt bezeichneten Gegenstand der Landespolitik von allgemeinem und aktuellem Interesse eine Aktuelle Debatte im Rahmen der Aktuellen Stunde beantragen."
Ihre Debatte erfüllt schon auf dieser formalen Ebene nicht den Sinn und Zweck, den eine Aktuelle Debatte haben sollte. Angesichts dessen, dass die Landtagswahl erst am 31. August stattfindet, kann man die Aktualität ihrer Debatte in Zweifel ziehen und einen konkreten Gegenstand der Landespolitik haben Sie ebenfalls nicht benannt.
Aber sei es drum, die Debatte findet statt und deshalb einige inhaltliche Anmerkungen. Wir haben es mit einer typischen NPD-Debatte zu tun. Sie bauen hier einen Pappkameraden auf, um ihn dann mit viel Getöse abzuschießen und sich selbst als mutige Tabu-Brecher zu inszenieren.
Sie folgen da ihrem typischen dreigliedrigen Argumentationsschema: Sie benennen ein Problem, hier das vermeintliche Wahlkampf-Tabu Zuwanderung, bauen dann Feindbilder auf, wer angeblich Schuld sein soll, hier also die etablierten Parteien und selbstverständlich dürfen auch Medien und Gutmenschen in dieser Aufzählung nicht fehlen, und abschließend inszenieren sie sich dann als die einzige politische Kraft, die das vermeintliche Problem lösen kann.
Nur: Das Tabu, von dem Sie hier sprechen existiert überhaupt nicht. Ich erinnere an eine Kampagne "Kinder statt Inder", an eine Unterschriftenkampagne gegen die doppelte Staatsbürgerschaft oder auch an Thilo Sarrazin, der ja auch versucht hat, sich mit seinen rassistischen Thesen als mutiger Tabubrecher zu inszenieren. Auch Sarrazin tat so als würde er Dinge aussprechen, die in Deutschland angeblich nicht ausgesprochen werden dürfen, die von einem Schweigekartell aus Politik und Medien unterdrückt würden. Interessant war allerdings, dass er zur Verbreitung dieser Hirngespinste der BILD-Zeitung und des Nachrichtenmagazins Der Spiegel bediente und damit seine eigene Behauptung ad absurdum führte.
Ähnlich ist es auch bei Ihnen und dieser Debatte. Ihnen geht es ja gar nicht um ein tatsächlich existierendes Tabu, sondern darum, dass Sie Ihrer rassistischen Dreckschleuderei unwidersprochen frönen wollen.
Auch Ihre Ausführungen hier heute haben ja eines gezeigt, Sie haben keinerlei Interesse an einer sachlichen Debatte zum Thema Zuwanderung, Ihnen geht es einzig und allein darum an die niederen Instinkte von Menschen zu appellieren, Hass und Missgunst zu säen und so ein Klima der Gewalt zu schaffen.
Dabei gibt es mittlerweile viele fundierte Auseinandersetzungen mit dem Thema. Ich erinnere an das Positionspapier des Deutschen Städte- und Gemeindetages aus dem vergangenen Jahr, in dem tatsächlich konkrete Probleme einiger Kommunen im Umgang mit Zuwanderern benannt werden. Aber: Nicht um Stimmung gegen Zuwanderer zu machen, sondern um konkrete Lösungsvorschläge aufzuzeigen, wie die Aufnahme von Zuwanderern mit Respekt und Würde geschehen kann.
Und dann ist es ja so, dass Sie hier gerne das Horrorszenario der massenhaften Armutszuwanderung an die Wand malen, derzeit ja meist am Beispiel von Bulgarien und Rumänien vorgetragen. Aber ein Blick auf die Fakten zeigt, dass das mit der Realität nicht übereinstimmt. Ein Debattenpapier des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln, das gerade erst erschienen ist macht deutlich. Dass rund 29 Prozent der Zuwanderer im Alter zwischen 25 und 64 Jahren, die zwischen 2001 und 2011 nach Deutschland kamen, einen Hochschulabschluss haben. Zum Vergleich: In der Gesamtbevölkerung liegt dieser Anteil in der gleichen Altersgruppe nur bei 18,7 Prozent.
Und so kann ich mich nur der Schlussbemerkung einer ebenfalls gerade erst erschienenen Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung mit dem Titel "Die Mär vom ‚Sozialtourismus’" anschließen. Dort heißt es: "Wie so oft, wenn in Deutschland von ‚Missbrauch sozialer Leistungen‘, ‚Armutszuwanderung‘ und ‚Sozialtourismus‘ geredet wird, sprechen die Fakten eine andere Sprache. […] Missbrauch ist bislang vor allem an einer Stelle nachweisbar: dort, wo einige Kräfte in Deutschland die Probleme der Kommunen und Migranten für kurzfristige politische Geländegewinne benutzen."
Das werden wir nicht zulassen, dem werden wir immer entgegentreten. Sei es hier im Sächsischen Landtag. Sei es in Schneeberg, wo sich ja eine unheilvolle Allianz aus Neonazis und Hooligans – mittlerweile zum Glück mit abnehmenden Erfolg – als "besorgte Bürger" inszenieren wollen. Sei es in Hoyerswerda, wo jüngst im Rahmen eines Gerichtsprozesses Neonazis mit tatkräftiger Mithilfe Ihrer Parteikader Antje und Torsten Hiekisch eine Angstzone etablieren wollten. Oder sei es im bevorstehenden Landtagswahlkampf.
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