Miro Jennerjahn: Nach dem Auffliegen des NSU war die Haltung der Staatsregierung: Wir tun gar nichts

Redebeitrag des Abgeordneten Miro Jennerjahn zum Antrag "Arbeit der ‚Expertenkommission zur Neuordnung des Landesamtes für Verfassungsschutz" (Drs. 5/11099), 70. Sitzung des Sächsischen Landtages, 31. Januar 2013, TOP 6


– Es gilt das gesprochene Wort –

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Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

der Antrag der LINKEN hat jede Berechtigung.
Nach dem Auffliegen des NSU war die Haltung der Staatsregierung: Wir tun gar nichts. Trotz der vielen Hinweise auf das Versagen auch sächsischer Behörden wurde diese Haltung eingenommen, denn nach Lesart der Staatsregierung waren ja alle anderen Schuld, insbesondere Thüringen, während sächsischen Behörden von Anfang an ein Persilschein ausgestellt wurde.

Ein Einlenken kam erst, als die unhaltbaren Zustände im Landesamt für Verfassungsschutz im Sommer letzten Jahres einmal mehr öffentlich wurden und trotz aller Treueschwüren gegenüber dem ehemaligen LfV-Präsidenten Reinhard Boos, dieser sehr kurzfristig von seinen Aufgaben entbunden wurde. Wir erinnern uns vermutlich alle, an den bizarren Auftritt des Herrn Innenminister hier in diesem Hohen Hause am 11. Juli 2012. Erst im Zuge dieses Vorgangs wurde eine Expertenkommission berufen, die sich mit dem LfV befassen soll.
Nun könnte man sagen, lieber spät als nie. Aber bis heute wissen wir wenig mehr, als die Namen der Mitglieder dieser Kommission und auch die haben wir aus der Presse erfahren.

Weder ist der genaue Prüfauftrag bekannt, noch der Stand der Arbeit dieser Kommission. Gleichzeitig aber wurden ja bereits Fakten geschaffen. Da wurde mal eben der Etat des LfV im letzten Doppelhaushalt bis 2014 um eine weitere Million Euro aufgebläht auf dann mehr als 13 Millionen Euro.

Zum anderen aber müssen wir auch die Frage stellen, ob das Personal in dieser Expertenkommission geeignet ist. Ich erinnere noch einmal daran: In dieser Kommission ist auch Helmut Rannacher vertreten. In dessen Amtszeit als Präsident des LfV Baden-Württemberg fällt der Vorgang, dass aus dem dortigen LfV heraus der Ku Klux Klan informiert wurde, dass er vom LfV observiert wird. Mein Vertrauen, dass ein derartig vorbelasteter Mensch tatsächlich einen sinnvollen Beitrag zur Neuordnung des sächsischen LfV leisten kann, ist sehr begrenzt.

Aber, was sind nun die tatsächlichen Konsequenzen aus dem Versagen des LfV? Im vorläufigen Abschlussbericht der parlamentarischen Kontrollkommission zum Tatkomplex NSU heißt es: „Darüber hinaus sollte die Analysefähigkeit des LfV Sachsen verbessert werden. Hierfür müssten qualitativ hochwertig ausgebildete Mitarbeiter, insbesondere auch für Netzwerkanalysen zur Verfügung stehen. Auch organisatorisch könnte und müsste insbesondere das Referat Rechtsextremismus (Auswertung) stärker auf Analyse hin ausgerichtet werden.“

Mein Eindruck der letzten Monate ist nicht, dass sich in dieser Hinsicht wirklich etwas verbessert hat.

Was ist sonst noch geschehen? Wir haben mit Herrn Meyer-Plath ein neues Aushängeschild des LfV, der eine Charme-Offensive gestartet hat und nicht müde wird zu betonen, ein Verfassungsschutz sei kein Geheimdienst, sondern ein Nachrichtendienst. Und während sich Herr Meyer-Plath müht, das zu verkaufen, macht sein Vize Dr. Olaf Vahrenhold nach wie vor was er will und führt den Untersuchungsausschuss und die Öffentlichkeit an der Nase herum.

Ich erinnere in diesem Zusammenhang an den Spiegel-Artikel vom Montag. In diesem Artikel ging es um Observationen André E.’s in Zwickau im Jahr 2006. In seiner Vernehmung vor dem Untersuchungsausschuss fand Herr Dr. Vahrenhold dies jedenfalls nicht berichtenswert. Herr Ulbig, ihre Strategie ‚LfV-Vize Vahrenhold mauert, LfV-Chef Gordian Meyer-Plath malt die Zukunft in bunten Farben‘ ist durchsichtig. Verantwortlich für Pleiten, Pech und Pannen bleiben Sie, Herr Innenminister.

Nächste Frage: Wie wollen Sie künftig mit der Problematik der V-Leute umgehen? Gestern erschien in der taz der sehr eindrückliche Artikel „Die ‚Quelle‘ und der Präsident“ über die V-Leute des brandenburgischen LfV. Der Artikel zeigt, wie fragwürdig der gesamte Einsatz von V-Leuten durch die Verfassungsschutzbehörden ist. Und, der Artikel endet mit den Worten: „Wer hat mit dem Geheimdiensthandy Kontakte zum NSU gepflegt? Vielleicht können ja Szczepanskis V-Mann-Führer Auskunft geben. Zwischen 1996 und 2000 soll es drei gegeben haben. Einer wird sicher gern öffentlich Auskunft geben, denn Gordian Mayer-Plath steht angeblich für Transparenz. Gerade jetzt wo er als Präsident den sächsischen Verfassungsschutz aus dem NSU-Sumpf ziehen soll.“
Es wäre durchaus angezeigt, dass hier schnellsten Klarheit geschaffen wird.

Bis heute deutet wenig darauf hin, dass wirklich weitreichende Reformen beim LfV gewollt sind. Sie wissen wir haben uns dafür ausgesprochen, das LfV abzuschaffen und eine unabhängige Forschungseinrichtung zu gründen, die das Thema bearbeitet. Ich weiß auch, dass CDU und FDP vom Modell LfV nicht lassen wollen. Aber selbst wenn sie das LfV erhalten wollen, werden sie – wenn sie es ernst meinen – nicht um einen radikalen Schnitt herum kommen. Wenn Sie es ernst meinen, reicht es nicht, nur den Kopf des LfV auszuwechseln, dann werden sie einen vollständigen Neustart gewährleisten müssen und das heißt: ein kompletter Personalaustausch. Ein Austausch aller der knapp 200 Mitarbeiter des LfV.

Diesen Mut traue ich Ihnen nicht zu. Und vor allem haben Sie auf die Notwendigkeit verzichtet, eine offene Debatte – auch eine gesellschaftliche Debatte – über die Zukunft des LfV zu führen. Damit ist die Gefahr sehr real, dass ihre Expertenkommission eine reine Alibi-Veranstaltung ist.

Der Antrag der Linken leistet einen Beitrag, Licht ins Dunkel zu bringen und zumindest etwas Transparenz zu schaffen. Daher hat er unsere Zustimmung.

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