Weichert: Sachpolitik vor Symbolpolitik

Redebeitrag des Abgeordneten Michael Weichert zur Aktuellen Debatte „Zukunftschancen für den Tourismusstandort Sachsen und Vorteile für das Beherbungsgewerbe durch steuerliche Entlastung“ in der 7. Sitzung des Sächsischen Landtages am 20. Januar 2010 zum TOP 5
Es gilt das gesprochene Wort!

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!
Ich gebe es ja zu: Persönlich und aus tourismuspolitischer Sicht hatte ich zunächst auch unter dem Hinweis auf das Argument des europäischen Wettbewerbs nichts gegen die Absenkung der Mehrwertsteuer. Im Zusammenhang mit dieser Spende bekommt das allerdings eine völlig andere Dimension.
Ich habe mir einmal den Spaß gemacht und das kurz ausgerechnet. Mövenpick hat 14 Häuser in Deutschland. Das macht pro Haus rund 78 000 Euro. Wenn ich unterstelle, dass hundert Betten zu 50 % ausgelastet und mit 70 Euro bezahlt werden, dann komme ich auf eine Amortisation ab dem 186. Tag. Das ist am 5. Juli 2010. Da haben sich diese 1,1 Millionen Euro für Mövenpick schon gelohnt.
Das ist nicht nur einmalig, das ist auch noch ein Schnäppchen. Ich kann der FDP nur sagen: Wenn Sie glaubwürdig Politik machen wollen, dann geben Sie diese Spende sofort zurück!
Es bleiben jede Menge offene Fragen: Was ist mit der Vereinfachung des Steuersystems, dem Subventionsabbau und dem Bürokratieabbau? Was ist mit allen anderen Tourismusbetrieben, wie der Gastronomie, dem Bus- und Bahnverkehr sowie den Reiseveranstaltern? Was ist mit den Firmenkunden, die praktisch über Nacht 12 % mehr bezahlen müssen, weil sie 12 % weniger absetzen können? Was ist mit der Refinanzierung? Immerhin ist es 1 Milliarde Euro. Vielleicht war die Streichung des Kommunalkombis der erste Anstrich dazu.
Der heutige Debattengegenstand beinhaltet den Tourismus in Sachsen. Am 20. Tag nach der Einführung des neuen Mehrwertsteuersatzes wissen wir überhaupt noch nicht, wie sich das auswirkt. Wir wissen aber, dass der Tourismus in Sachsen ein großer Arbeitgeber ist, dass viel Wertschöpfung organisiert wird und dass die regionalen Wirtschaftskreisläufe gefördert werden. Wir haben vor allen Dingen Gebirgstourismus, Städtetourismus sowie Gesundheits-, Wellness- und Kurtourismus. Wir wissen, dass 55 % unserer Gäste älter als 55 Jahre sind; der deutsche Durchschnitt liegt bei 40 Jahren. Wir wissen auch, dass in Sachsen die Gäste durchschnittlich 2,7 Tage bleiben.
Wir haben Probleme. Wir haben ein geringes Marketing, ein sogenanntes Schluchtenmarketing, wir haben eine Kirchturmpolitik im Tourismusbereich und wir haben eine mangelhafte Profilierung von Urlaubsregionen. Wir sind wenig bekannt, sowohl in den alten Bundesländern als auch international, und wir haben ein erhebliches Imageproblem durch den Rechtsextremismus.
Was ist also zu tun? Die ersten Fragen wären: Wie sieht Sachsen im Jahre 2020 oder 2025 aus, wenn ich an die Demografie denke – Thema Arbeitskräfte, wenn ich an die Staatsfinanzen denke, Thema Fördermittel und – wenn ich an den Klimawandel denke – Thema Schnee im Erzgebirge.
Deshalb, meine Damen und Herren, müssen wir noch eine Menge tun. Wir müssen unsere Destinationen entwickeln und wir müssen Tourismusmarketing mit Wirtschaftsmarketing koppeln. Wir brauchen eine starke Dachmarke. Wir müssen Fördermittel nach konkreten Standards vergeben. Wir brauchen jede Menge Qualitätssicherung und ein stärkeres Gewicht in der Debatte von Experten – LTV und TMGS seien hier stellvertretend genannt. Wir brauchen die Spezialisierung auf Zielgruppen und wir brauchen Produktentwicklung. Ein schönes Beispiel in diesem Zusammenhang ist die Aktiv-Region Zittauer Gebirge. Wir müssen gemeinsam gegen Rechtsextremismus, gegen Ausländerfeindlichkeit und gegen Gewalt gegenüber Fremden vorgehen.
Wir wissen, dass Luft und Klima immer wichtigere Entscheidungsfaktoren für Reiseziele sind. Wir brauchen eine politische Weichenstellung für die Anpassung an den Klimawandel, neue Konzepte für die Mittelgebirge und neue Fördermodalitäten.
Auch der Tourismus selbst muss einen Beitrag zum Klimawandel leisten, zum Beispiel durch einen attraktiveren ÖPNV. Die Vertaktung aller Systeme wäre dabei ein gutes Beispiel. Wenn wir das tun, haben wir gute Zukunftschancen im sächsischen Tourismus. Wenn wir das nicht tun, wird Sachsen im nationalen wie im internationalen Wettbewerb abgehängt. Die Mehrwertsteuersenkung ist für diese Probleme jedenfalls keine Lösung.
Wir brauchen Sachpolitik und keine Symbolpolitik.