AfD-Anfrage zur Handwerksnovelle – Lippold: Das Thema ist zu wichtig, um es mit EU-feindlicher Herangehensweise ins Schussfeld zu treiben

Rede des Abgeordneten Dr. Gerd Lippold zur Großen Anfrage der Fraktion AfD zum Thema: "Aktueller Erkenntnisstand zu den Auswirkungen der Handwerksnovelle 2004, Drittes Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften"
57. Sitzung des Sächsischen Landtags, 22. Juni, TOP 7, Drs 6/8315

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte/r Frau/Herr Präsident/in,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,

durch die Reduzierung der Handwerke der Anlage A HwO auf solche Handwerke, bei deren Ausübung Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter entstehen können, wurde 2004 für zahlreiche Gewerbe das Erfordernis der Meisterprüfung als Berufszugangsvoraussetzung abgeschafft.
Neben dem Ziel, Existenzgründungen zu erleichtern, war es eine Zielstellung, den weiteren Bestand des großen handwerklichen Befähigungsnachweises europarechtlich und verfassungsrechtlich abzusichern.
Dass eine solche Intention keineswegs aus der Luft gegriffen ist wird dadurch belegt, dass wir uns auch hier im Sächsischen Landtag in der Zwischenzeit mehrfach mit dem Thema Erhalt des Meisterbriefes – der zuletzt durch das EU-Dienstleistungspaket gefährdet gesehen wurde, auseinander gesetzt haben.
Der Meisterbrief im Handwerk ist nach wie vor ein Qualitätssiegel. Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet Berufe mit Meisterbrief nach wie vor die begehrtesten Berufe sind. Würde die Meisterqualifikation in noch mehr Berufsgruppen abgeschafft, so würde dies auch die duale Ausbildung in Deutschland schwächen, die durchaus ein Erfolgsmodell ist. Deswegen werden auch wir GRÜNEN die Meisterberufe nicht infrage stellen und uns einer weiteren Aufweichung entgegen stellen.
Doch zunächst ein paar Worte zur Art Ihrer großen Anfrage:
Ich hoffe, es macht hier in diesem Haus keine Schule, parlamentarische Arbeitsnachweise per Textgenerator zu erstellen. Eine kleine Anfrage herzunehmen und so, wie man die Erstellung von Serienbriefen per Adressliste automatisiert, hier anhand einer Handwerksliste im copy-paste-Verfahren auf über 100 Fragen aufzublasen, ist mir so in diesem Parlament noch nicht untergekommen.
Mit einer einzigen Frage, meine Damen und Herren von der AfD, hätten Sie genau das vollumfänglich abfragen können was Sie hier mit zur Großen Anfrage aufgeblasen haben. Ich formulier die mal:
"Wie viele Unfälle im Freistaat Sachsen, welche die Gesundheit bzw. das Leben Dritter betreffen, wurden bei bzw. durch die Tätigkeit oder im Anschluss durch das gefertigte Produkt von den Zulassungsfreien Handwerken gemäß Anlage B HwO im Zeitraum von 1991 bis 2003 sowie im Zeitraum von 2004 bis 2016 verursacht und statistisch erfasst?"
Als Kleine Anfrage gestellt, hätten sie die darauf die gleiche Antwort bekommen. Und – Sie hätten es vermieden, sich einmal mehr lächerlich zu machen. Aber das ist ja letztlich Ihre Sache.
Ihre Intention, Aufmerksamkeit um jeden Preis – und sei es zum Preis, sich lächerlich zu machen – zu erzielen und bei Handwerksbetrieben parlamentarische Aktivität zu demonstrieren, werden Sie damit nicht erreichen.
Doch nun zum wichtigen Thema Stärkung des Meisterbriefes und geeigneter Wege dazu.
 
Nicht aus Ihrer großen Anfrage, sondern erst aus Ihrem gestrigen Entschließungsantrag wird klarer, was Sie im Sinn haben. Offensichtlich gedenken Sie aus einer "Gefahrengeneigtheit" ein Kriterium entwickeln zu lassen, um dort die Meisterpflicht wieder einführen zu können, wo sie heute nicht besteht. Den nötigen Bewertungsmaßstab soll die sächsische Staatsregierung entwickeln und wissenschaftlich untersetzen.
Dafür wollten Sie mit Ihrer Großen Anfrage offenbar eine Datengrundlage erheben. Eine Datengrundlage übrigens, die selbst die Handwerkskammer für nicht beschaffbar hält und darin auch wenig Sinn sieht.
In der Handwerksordnung selbst taucht das Unterscheidungskriterium "Entstehen von Gefahren für die Gesundheit oder das Leben Dritter bei Ausübung" gar nicht auf. Es wird lediglich in der Gesetzesbegründung sowie bei der Beschreibung von Problem und Lösung vorgebracht.
Damit wird begründet, wie im Gesetz die Einordnung der Handwerke in die Listen A und B1 vorgenommen wird. Insofern liegt es ja zunächst nahe, neue Erkenntnisse zu Gefahren im heute nicht zulassungspflichtigen Handwerk zu beschaffen und dieses Unterscheidungskriterium erneut einsetzen, um für eine Gesetzesänderung zur Veränderung der Anlagen A und B1 der Handwerksordnung zu argumentieren.
Das liegt angesichts der Begründung des Dritten Gesetzes zur Änderung der Handwerksordnung dermaßen nahe, dass das längst geschehen wäre, wenn das ohne rechtliche Risiken möglich wäre. Denn sowohl der Bundestag als auch der Bundesrat haben ihre Absicht zur Stärkung des Meisterbriefes deutlich bekundet.
Eine gänzliche Revision der Novelle von 2004 wäre auf diesem Wege ohnehin nicht zu erreichen. Er wäre höchstens für einzelne derzeit zulassungsfreie Handwerke gangbar. Doch keinesfalls ohne gravierende Risiken.
Denn Kläger gegen nationale Berufszugangsschranken aus dem Bereich des europäischen Wettbewerbs wird es auf jeden Fall geben. Ungeschicktes salamitaktisches Vorgehen anhand zurechtgebogener Kriterien – in der Hoffnung es merkt keiner – verbietet sich deshalb.
 
Es kann manchmal eine sehr vernünftige Strategie sein, sich um die Absicherung des Bestehenden zu kümmern anstatt es durch ungeschickte Änderungsversuche aufs Spiel zu setzen. Es ist wie vor Gericht: man kann einen Vergleich akzeptieren und damit halb zufrieden nach Hause gehen oder vollständig Recht haben wollen mit dem Risiko, alles zu verlieren.
 
Doch darin besteht ja für die AfD – und nur Europagegner wie die AfD – gerade die Win-Win-Situation.
Kann man sich mit einem solchen Ansatz durchsetzen, dann hat man gewonnen. Geht das gründlich schief, dann kann man das im eigenen Interesse zur Organisation öffentlicher Empörung gegen die EU instrumentalisieren. Für das Handwerk in der Bundesrepublik, für seine Ausbildungsfähigkeit, seine Wettbewerbsfähigkeit und Leistungsfähigkeit allerdings ist das Thema viel zu wichtig, um es mal eben auf den Spieltisch zu werfen, meine Damen und Herren!
Türen, die offen sind, muss man nicht einrennen. Sowohl der Bundesrat als auch der Bundestag haben sich erst kürzlich wieder zum Meisterbrief bekannt. Sie haben sich zuletzt im März gegen das EU-Dienstleistungspaket positioniert und dieses gerügt. Man ist also allseits Willens, die Meisterpflicht zu erhalten und wenn möglich auszuweiten, soweit dies mit EU-Recht kompatibel umsetzbar ist.
Insofern bedarf es keines Vorstoßes vonseiten der sächsischen Staatsregierung. Vielmehr ist auf Fachebene im Bund und in der EU zu klären, wie das derzeitige, in Deutschland durchaus bewährte System der nationalen Berufsreglementierungen und Reglementierung von Ausbildungsinhalten in der Abwägung mit europäischer Öffnung und Harmonisierung stabilisiert und wenn möglich auch auf Basis seiner Erfolgsbilanz über den nationalen Geltungsrahmen hinaus ausgeweitet werden kann.
Wenn Sie dann demnächst im Bundestag sitzen, meine Damen und Herren von der AfD, dann können Sie ja zeigen, ob Sie so viel Fachebene können. Noch einmal – das Thema ist zu wichtig, um es mit EU-feindlicher Herangehensweise ins Schussfeld zu treiben.
Rede zum Entschließungsantrag:
 
Zu Ihrem Entschließungsantrag ist zu konstatieren, dass im Feststellungsteil erstmal nichts Falsches drinsteht. Der Teil mit den Forderungen ist jedoch problematisch.
Ich habe bereits in meinem Redebeitrag zu Ihrer Großen Anfrage deutlich gemacht, dass nicht zielführend ist, dass die sächsische Staatsregierung einen Maßstab entwickeln soll, aus einer "Gefahrengeneigtheit" als Argument heraus eine rechtssichere Novelle der Handwerksordnung zu erreichen.
Die Staatsregierung wird so einen Maßstab schon deshalb gar nicht entwickeln können, weil sie die notwendigen Daten nicht erheben kann. Daran war bereits der Handwerkskammer nicht möglich, die darin auch keinen Sinn sieht.
Damit hat sich auch die Forderung erledigt, auf Basis der erhobenen Daten einen Vorstoß im Bundesrat zu unternehmen.
Irgendwie muss Ihnen selbst gedämmert haben, dass das alles in Punkt 1-3 nicht funktioniert. Deshalb soll dann alternative in Ihrem Punkt 4. Statt anhand einer Datenbasis soll anhand windelweicher "kulturell gewachsener" Sachverhalte darauf hingewirkt werden, die Meisterpflicht wieder auszuweiten.
Die Risiken wären mindestens dieselben wie anhand der Einschätzung zur "Gefahrengeneigtheit". Wie zuvor diskutiert wären das europarechtliche Risiken, die am Ende selbst den heutigen Stand auf Spiel setzen.
Es dürfen nicht noch mehr Gewerke von der Meisterpflicht ausgenommen werden. Das gilt es zu sichern. So sieht das auch die Kammer. Ihren Entschließungsantrag werden wir deshalb ablehnen. » alle Redebeiträge der GRÜNEN-Fraktion » alle Infos zur 56./57. Landtagssitzung