Benachteiligung der Menschen in Ostdeutschland beenden – Zais: Rentenangleichung kommt zu spät

Rede der Abgeordneten Petra Zais (GRÜNE) zur Zweiten Aktuellen Debatte "Löhne und Renten niedrig – Lebenshaltungskosten hoch. Zeit für einen Politikwechsel zur Beendigung der Benachteiligung der Menschen in Ostdeutschland."
50. Sitzung des Sächsischen Landtags, 15. März, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Kolleginnen und Kollegen,

die nach wie vor deutlich niedrigeren Löhne im Osten haben verschiedene Ursachen. Zu den wesentlichsten gehört die jahrzehntelang propagierte Niedriglohnstrategie, die verbunden mit der fehlenden Regulierung des unteren Lohnniveaus Sachsen zum Billiglohnland gemacht hat. Mit dem gesetzlichen Mindestlohn einschließlich der verankerten Anpassungsmodalitäten hat es einen Politikwechsel gegeben, mit dem die Lohnentwicklung nach unten aufgehalten wurde. Sachsen hat davon überproportional profitiert (jeder 4. Sachse in Beschäftigung). Es wäre unredlich, diese Zäsur kleinzureden!

Die zweite Ursache für deutlich niedrigere Löhne ist der Grad der Tarifbindung der Beschäftigten, der mit 49% im Osten deutlich geringer ist, als die 59% im Westen. In beiden Teilen des Landes – und auch das gehört zur Wahrheit – sinkt die Tarifbindung der Beschäftigten jedoch seit 1998 deutlich.

West – von 76% 1998 auf 59%  in 2015 Ost –  von 63% 1998 auf 49% in 2015.

Gleiches trifft auf die Zahl der Betriebe zu, die keinerlei tariflicher Regelung unterliegen. Die Zahl ist hoch, knapp 50% im Osten und 40% im Westen. Der Rückgang der Tarifbindung ist längst kein ostdeutsches Problem mehr und es ist auch kein Problem, dass sich allein durch politisches Handeln ändern lässt.  

Auch das Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung nach § 5 Tarifgesetz ist an bestimmte Voraussetzungen gebunden und braucht vor allem das Einvernehmen mit den Tarifvertragsparteien. Auch hier sprechen die Zahlen eine deutliche Sprache: Von den rund 73.000 als gültig in das Tarifregister eingetragenen Tarifverträgen waren mit Stand 01. Januar 2017 443 allgemeinverbindlich, darunter nur 125, die (auch) in den neuen Bundesländern gelten.

Gründe sind vielfältig: Unternehmen wollen flexible Regelungen, Tarifverträge werden als starr und einengend empfunden, Globalisierung, in der Durchsetzungskraft geschwächte Gewerkschaften.

Dass vom Mindestlohn allein keine altersfeste Rente erarbeitet werden kann, ist auch klar. Das liegt aber nicht an der Höhe des Lohnes allein. Es liegt insbesondere an der Politik der Destabilisierung der gesetzlichen Rentenversicherung und der fehlenden rentenpolitischen Instrumente, um auf sich ändernde Erwerbsbiografien zu reagieren. Im Osten fand das in massive Arbeitslosigkeit seit Anfang der 1990er Jahre seinen Ausdruck und im Westen durch langjähriges Verharren vieler Menschen in der Sozialhilfe. Altersarmut ist kein spezifisch ostdeutsches Problem (Armutsbericht).  

Benachteiligung Rente? Mit Blick auf die Wahl und die große Wählergruppe der Rentner ziehen wenig verwunderlich Sachsens CDU und die LINKE an einem Strang: Beide fordern den Fortbestand der Höherbewertung der Ost-Arbeitsentgelte und zugleich die Anhebung der Rentenwerte auf Westniveau. Das ist Rosinenpickerei und benachteiligt die heute junge Generation in Ost und West.

Grundsätzlich bleibt aus GRÜNER Sicht festzustellen: Die Rentenangleichung kommt um Jahre zu spät, sie wird durch die Groko erneut um weitere Jahr verschleppt und sie wird falsch finanziert. Denn bis zum Jahr 2021 tragen allein die Versicherten die Kosten der Niveauanpassung. Das ist unsolidarisch – leider politisch so gewollt.

Die tatsächlichen Benachteiligungslinien – und darüber gibt der aktuelle Armutsbericht Auskunft – verlaufen heute weniger zwischen Ost und West. Sie verlaufen zwischen Arm und Reich, zwischen Jung und Alt, zwischen Frauen und Männern, zwischen Alleinerziehenden und Verheirateten, zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund und sie verlaufen zwischen denen in prekärer oder atypischer Arbeit und denen, mit guter Arbeit – und das in Ost und West!

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