Dr. Claudia Maicher: Unsere Hochschulen sollen zu einem Ort werden, der nicht nur in der Theorie allen Menschen gleichermaßen offen steht – so wird das allerdings nichts

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher zum Antrag der CDU/SPD-Fraktion:
"Auf dem Weg zur inklusiven Hochschule – Studium und Beschäftigung für Menschen mit Behinderung und chronischen Krankheiten erleichtern“ (Drs. 6/729)
6. Sitzung des 6. Sächsischen Landtages, 28. Januar 2015, TOP 10

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
ich möchte mit einem kurzen Zitat eines sehbehinderten Studenten beginnen, der in einer Landtagsanhörung im Sommer 2012 beschrieb, was passiert, wenn Hochschulen oder nur einzelne Fakultäten nicht auf die Bedürfnisse behinderter Studierender eingestellt sind: „Die Folge ist, dass die – er bezieht sich auf behinderte Studierende – Studenten dort viel zu spät mit Material versorgt werden und teilweise heute noch Dingen aus dem ersten Semester hinterherrennen. Dazu kann ich Ihnen deutlich sagen: Das erzeugt sehr viel Stress und führt […] zu Studienabbrüchen.“
Entsprechend ist es zu begrüßen, wenn sich die Koalition dieses Themas annimmt. Unsere Hochschulen sollen zu einem Ort werden, der nicht nur in der Theorie allen Menschen gleichermaßen offen steht.
Umso bedauerlicher ist es aber aus unserer Sicht auch, dass Sie Ihren keine zwei Wochen alten Antrag heute und hier sofort zur Abstimmung stellen. Besser wäre es, dieses wichtige Thema zunächst im davor vorgesehenen Wissenschaftsausschuss gründlich diskutieren zu lassen und der Fachwelt und den Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, im Rahmen einer Anhörung Stellung zu beziehen.
Man könnte ja beinahe versucht sein, einen Zusammenhang mit der Teilnahme der Wissenschaftsministerin an der Diversity Tagung an der Universität in Leipzig am 12.2.2015 zu vermuten.
Nun aber zum Antrag selbst.
Die Grundlage für jedes weitere Handeln soll eine Studie zur Situation der Menschen mit Behinderung an Hochschulen sein. Das begrüßen wir.
Wenn man sich aber die sechs kleinen Anstriche und die lapidare Forderung nach Best-Practice-Beispielen anschaut, bekommt man schon den Eindruck, dass hier etwas nicht zu Ende gedacht wird.
So sind die gewählten Untersuchungskategorien so breit gehalten, dass einzelne Problematiken dann eben doch durch das Raster zu fallen drohen. Allein hinter dem Schlagwort „Nachteilsausgleich“ versteckt sich eine Fülle an Regelungen und Akteuren – eine Spezifizierung wäre gut gewesen.
So ist es entweder der Exekutive oder dem Auftragnehmer der Studie überlassen, in welchem Maße und mit welchen Fragestellungen das Thema untersucht werden soll. Z. B. auch ob es vielleicht einer Initiative von Sachsen zur Änderung der Sozialgesetzgebung auf Bundesebene bedarf.
Außerdem hätten wir uns gewünscht, dass eine Frist für die Fertigstellung der Studie aufgenommen worden wäre. Ziel sollte sein, möglichst bald einen umfänglichen Umsetzungsprozess der UN-Behindertenrechtskonvention zu beginnen und nicht irgendwann.
In der Folge wird es dann im Punkt 2 Ihres Antrages abenteuerlich. Da soll die Staatsregierung nun also darauf hinwirken, dass die Hochschulen sich selbst Aktions- und Maßnahmepläne geben, um die Konvention umzusetzen.
Die Begründung verstärkt noch einmal, dass man aufseiten der Koalition hier allein die Hochschulen in der Verantwortung sieht. Die einzige Unterstützung vonseiten der Staatsregierung kommt in Form der genannten Studie daher.
Das liest sich im Koalitionsvertrag noch ganz anders. Hier hatte man sich als Regierung dazu verpflichtet, ein Gesamtkonzept zu erarbeiten und gemeinsam mit den Hochschulen Maßnahmepläne zu erstellen.
Welche Kapazitäten sollen die Hochschulen denn für solch ein wichtiges Unterfangen zur Verfügung stellen? Wir haben es doch schon bei den Qualitätssicherungssystemen gesehen, was passiert, wenn der Gesetzgeber große Projekte per Federstrich beschließt und die Hochschulen dann damit allein lässt nach dem Motto „macht doch mal“! An der Umsetzung arbeiten die Hochschulen mittlerweile seit 2009.
Die Hochschulen wollen und sollen das auch machen, aber dafür braucht es Ressourcen, die sie im dritten Jahr der ungebrochenen Stellenkürzungen schlicht nicht haben. Da kann sich die Staatsregierung nicht so einfach in die Büsche schlagen, wenn es ihr ernst damit ist, zu einem inklusiven Hochschulsystem zu kommen. Wir schlagen hier einen anderen Weg vor, aber dazu werde ich später bei unserem Änderungsantrag noch etwas sagen.
Beim zentralen Teil ihres Antrages, nämlich einem wirklichen ersten Schritt zu Inklusion an Hochschulen, sind Sie aus unserer Sicht viel zu kurz gesprungen. Da waren vor allem die Kollegen und Kolleginnen von der SPD vor 3 Jahren schon deutlich weiter. Damals haben sie ein konkretes Maßnahme- und Finanzierungskonzept von der Staatsregierung zur Schaffung von Inklusion an Hochschulen gefordert.
Der Rest des Antrages ist sicher richtig, auch wenn er z. T. lediglich die Einhaltung geltenden Rechts einfordert.
In der jetzigen Form können wir dem Antrag daher nicht zustimmen, finden das Ansinnen allerdings zu wichtig, um nicht wenigstens zu versuchen, ihn zustimmungsfähig zu machen. Deshalb werden wir dann noch unseren Änderungsantrag vorstellen.
Vielen Dank!