Eva Jähnigen: In Sachen Transparenz ist Sachsen Schlusslicht in Deutschland

Redebeitrag der Abgeordneten Eva Jähnigen zum Gesetzentwurf der GRÜNEN-Fraktion:
"Gesetz zur Stärkung der Informations- und Beteiligungsrechte des Sächsischen Landtags und seiner Mitglieder"
14. Sitzung des Sächsischen Landtags, 10. Juni 2015, TOP 6

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
stellen Sie sich folgende Situation vor: Sie sitzen eines Tages in der Opposition – jedem von uns kann es so gehen – und Sie vermissen wichtige Auskünfte zu einem geplanten Gesetzentwurf oder aus den Geschäften der Landesregierung. Diverse Anfragen haben sie bereits gestellt, doch auch danach bleiben viele Fragen unbeantwortet und die Antworten sind ausweichend gefasst. Bei einem bestimmten Thema wollen sie sich gerne selbst durch Akteneinsicht von der Richtigkeit und Angemessenheit des Regierungshandelns überzeugen.
Ob sie dabei tatsächlich weitere Informationen erlangen oder nicht oder ob Sie durch Ihre Akteneinsicht, wie in Brandenburg geschehen, einen umfangreicheren Missstand aufdecken, kann dahingestellt bleiben.
Wichtig ist:
Die Legislative wird so ihrer durch die Gewaltenteilung neben der Gesetzgebung zugedachten Rolle der Kontrolleurin der Exekutive gerecht.
Diese Kontrolle ist nicht nur verfassungsgemäß und zulässig, sie ist eine Pflicht und dringend erforderlich. Wir haben als GRÜNE-Landtagsfraktion daher den Ihnen vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht. Ich will kurz genauer auf die Aufgaben der Legislative in einem System der gegenseitigen Gewaltenkontrolle und auf das Gebot der transparenten Regierung eingehen, bevor ich Ihnen den Gesetzentwurf erneut vorstellen und auf die Frage der sogenannten Gewaltenverschränkung eingehen werde.
1. Gewaltenteilung und gegenseitige Kontrolle
Garant für Stabilität eines politischen Systems und eine der größten Errungenschaften unserer modernen Staatsordnung ist die Einbindung von Regierung und Parlament in ein System der "checks and balances", in ein System gegenseitiger Gewaltenkontrolle.
Als direkt vom Volk gewähltes und legitimiertes Staatsorgan steht das Parlament im Mittelpunkt unserer repräsentativen Demokratie. "Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus" (Art. 20 Abs. 2 S. 1 GG) bedeutet auch, dass die Exekutive einer Kontrolle durch die gewählten Parlamentarier unterliegt. Allerdings wird in Deutschland und auch bei uns in Sachsen, die Exekutive von einer Parlamentsmehrheit gewählt und unterstützt, was diesen Teil des Parlamentes praktisch von der Kontrolle über die Regierung ausnimmt und die Aufgabe der Exekutivenkontrolle nur noch der parlamentarischen Opposition zukommt, die Regierungsarbeit in der Praxis also nur noch durch eine Parlamentsminderheit überprüft wird. Im Gegensatz dazu ist in den Vereinigten Staaten von Amerika oder einigen unserer Nachbarländer das System der Gewaltenteilung deutlich ausgeprägter. In Frankreich etwa, wo die Verfassung der früheren Weimarer Reichsverfassung ähnliche Züge trägt, sind Exekutive und Legislative klar getrennt. In Zeiten eines unterschiedlichen Kräfteverhältnisses in beiden Häusern kontrolliert die gesamte Legislative die Exekutive. Ob in Frankreich oder Deutschland, um ihren Aufgaben als Opposition wirksam nachkommen zu können, sind spezielle Oppositionsrechte erforderlich, um Machtmissbrauch der Exekutive zu verhindern. Und gerade in Deutschland, wo die Opposition in der Legislative systemimmanent immer eine Minderheit darstellt, bedarf es umso mehr funktionierender Instrumente.
Die gegenseitige Kontrolle der Organe ist kein Selbstzweck. Sie ist unabdingbar für die dauerhafte Stabilität unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und sie verhindert einseitigen Machtmissbrauch.
Sie ist das wichtigste Mittel für die Wählerschaft, für die Bürger, Transparenz des Regierungshandelns einzufordern. Die Abgeordneten sollen als direkt Gewählte das Regierungshandeln bestimmen können und frühzeitig in Gesetzesvorhaben auf Bundesebene und bei der Umsetzung europarechtlicher Vorschriften eingebunden werden. Die Abgeordneten erfüllen hier neben ihrer primären Funktion als Gesetzgeber die Funktion einer Ombudsperson für die Bürgerinnen und Bürger. Über uns, die Abgeordneten, wird der informierte Bürger in die Lage versetzt, zu entscheiden, wem er die zukünftige Regierung anvertraut.
Möglich ist dies nur bei ausreichendem Zugang zu Informationen über aktuelles Regierungshandeln. Sachsen ist in Sachen Transparenz Schlusslicht in Deutschland. Sachsen ist eines von nur fünf Bundesländern, das nicht über ein Informationsfreiheitsgesetz verfügt, welches jedermann berechtigen würde, Akteninformationen abzufragen. Kontrolle sollte wenigstens über die gewählten Mitglieder des Parlaments möglich sein.
Leider wird der herausragenden Bedeutung dieser neben der Legislative wichtigsten Funktion des Parlamentes bislang nur unzureichend Rechnung getragen. Zwar gibt es hier die altbewährten Möglichkeiten der Opposition, Anfragen diverser Art zu stellen oder Untersuchungsausschüsse einzusetzen.
Doch erst die jüngsten Anfragen unserer Fraktion haben einmal mehr gezeigt, dass diese üblichen Kontrollinstrumente alleine nicht ausreichend sind. Es ist schon bemerkenswert, auf wie viele Fragen derzeit die Antwort ausbleibt mit der Begründung, die Beantwortung sei in der zur Verfügung stehenden Zeit unverhältnismäßig und ohne Funktionseinschränkung der betreffenden Behörde nicht zu leisten. Wie dann sollen die Anfragen der Opposition überhaupt beantwortet werden?
2. Der Gesetzentwurf eines LIG
Unsere Fraktion hat daher den Ihnen vorliegenden Entwurf eingebracht. Er sieht hauptsächlich vor, dass die frühe Unterrichtung des Landtages bei Gesetzesvorhaben, Staatsverträgen, Planungs- oder Großvorhaben in der sächsischen Verfassung festgeschrieben wird. Insbesondere bei der Verlagerung von Kompetenzen auf die Ebene der Europäischen Union und bei der Umsetzung europäischen in innerstaatliches Recht soll die Stellungnahme des Landtages als Volksvertretung deutlich stärkeres Gewicht bekommen.
Der Gesetzentwurf ist in Teilen angelehnt an das Parlamentsinformationsgesetz des Landes Schleswig-Holstein. Sehr ähnliche Regelungen existieren auch in den Ländern Bayern, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Die Umsetzung ist unterschiedlich; unser Gesetzentwurf ist daher als ein Vorschlag zu verstehen. Beinahe sämtliche auch hier im Landtag vertretene Parteien haben bereits von den Möglichkeiten, die ein solches Gesetz bietet, Gebrauch gemacht. Am Bekanntesten dürfte Ihnen allen das Beispiel aus Brandenburg sein, wo Abgeordnete von CDU und Grüne im November 2014 gemeinsam dubiose Subventionsauszahlungen des dortigen Wirtschaftsministeriums aufdeckten.
3. Gewaltenverschränkung
Ich betone zudem, dass, anders als teilweise unterstellt, unser Gesetzentwurf keine Verschmelzung von Gewalten und somit keinen Verlust an Gewaltenteilung darstellt, sondern es vielmehr zu einer stärkeren gegenseitigen Kontrolle der Gewalten kommt. Die Konstruktion unseres politischen Systems mit einer Wahl der Exekutive durch die Legislative hat zwangsläufig ein weiteres Phänomen zur Folge: Die sogenannte Gewaltenverschränkung. Sie ist strikt zu unterscheiden von einer Vermischung der Gewalten oder gar einer Verschmelzung. Sie stellt nicht ein "Weniger", sondern ein "Mehr" an verschränkter Kontrolle zwischen den Gewalten dar. Die durch das Landtagsinformationsgesetz geplante Möglichkeit für Abgeordnete, Einsicht in Vorgänge der Regierung zu erlangen, ist ebenfalls teil dieses "Mehr" an gegenseitiger Gewaltenkontrolle, eines "Mehr" an "checks and balances". Schließlich kommt es zu einer Unterstützung der Gewaltenteilung, keinesfalls zu einer Schwächung.
Durch die europäische Integration und durch das teils immer höhere Tempo von politischen Entscheidungen wird eine Verschränkung von Gewalten als Kontrollmechanismus vielmehr erforderlich. Wer bei einer Legitimierung von Kompetenzverlagerungen auf die europäische Ebene noch immer annimmt, dies sei ein Verlust an Gewaltenteilung, liegt schlicht falsch. Es führt vielmehr zu einem Abbau des lange bemängelten Demokratiedefizits in Europa, wenn die gewählten Vertreter des Landtages bei Kompetenzverlagerungen mitbestimmen dürfen und dies nicht allein der Regierung überlassen wird.
Akteneinsichtsrechte gibt es bisher in Sachsen schon für ehrenamtliche Abgeordnete der Gemeinderäte und Kreistage. Warum Ihnen diese Recht eher zukommen soll, als den Mitgliedern des Landtages, deren Entscheidungen deutlich weitreichender sein können, bleibt ein Rätsel.
Bereits jetzt ist es vereinzelt üblich, dass Landtag und Regierung aufgrund von Absprachen Informationen austauschen. Dies erfolgt bislang jedoch ohne gesetzliche Grundlage. Geht man davon aus, dass dieses Vorgehen rechtlich zulässig ist, so muss "erst recht" ein demokratisch legitimiertes Instrument, ein Landtagsinformationsgesetz, als rechtlich zulässig angesehen werden. Mitglieder der Legislative erhalten lediglich Einblicke in die Arbeit der Exekutive, keinesfalls jedoch Handlungsbefugnisse.
Fazit:
Ich will Sie, sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen, erneut dazu einladen, über die Chancen dieses Gesetzentwurfes zu diskutieren.
Gerne können wir den Entwurf an den Verfassungs- und Rechtsausschuss zurückzuverweisen, gerne können wir einzelne Fragen extrahieren und separat verhandeln. Lassen Sie uns gemeinsam für ein handlungsfähiges Parlament eintreten, das seine wichtigen Aufgaben auch vollumfänglich wahrnehmen kann.
Ich bitte Sie darum; lassen Sie uns dem wichtigsten und einzigen direkt gewählten Staatsorgan die Bedeutung zukommen, die es in einem nachhaltigen System der Gewaltenkontrolle benötigt.
Vielen Dank!

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