Franziska Schubert: Petitionswesen stärken heißt Vertrauen stärken

Rede der Abgeordneten Franziska Schubert in der Unterrichtung durch den Petitionsausschuss
39. Sitzung des Sächsischen Landtags, 31. August 2016, TOP 4, Drs. 6/5900

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
sehr geehrte Damen und Herren,
der Jahresbericht ist eine gute Gelegenheit, um Bilanz zu ziehen. Über die Arbeit des vergangenen Jahres und ihre Ergebnisse, aber auch darüber, welche Unterstützung man hatte. Und deshalb möchte auch ich zunächst Danke sagen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Petitionsausschusses. Sie wirken ganz emsig im Hintergrund und treten öffentlich nicht in Erscheinung. Sie sind jedoch unverzichtbar für die Arbeit im Petitionsausschuss. Ich habe im vergangenen Jahr so manches Anliegen, so manche Bitte, gehabt. Worauf ich mich dabei immer verlassen konnte und was ich sehr zu schätzen gelernt habe, war die geduldige und schnelle Hilfe der Frauen und Männer in der Petitionsverwaltung. Und dafür gebührt ihnen mein Dank und der Dank dieses Hauses.
Nun zum Jahresbericht selbst.
Wenn ich mir die reinen Zahlen anschaue, zeichnet sich zunächst erstmal kein besonders überragendes Bild. 453 behandelte Petitionen bei 4 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern in Sachsen. Vor zwei Jahren waren es noch 721. Jeder Mensch kann sich an den Petitionsausschuss wenden. Nicht nur sächsische Bürgerinnen und Bürger. Geht man von der reinen Zahl aus, könnte man hier ein Indiz dafür sehen, dass wir möglicherweise ein Problem haben. Das Problem nennt sich Vertrauensverlust. Das Vertrauen in die Wirksamkeit des Petitionswesens und damit verbunden in den Glauben daran, dass politische Institutionen Abhilfe schaffen können bei Problemen, welche die Menschen umtreiben. Und diese Probleme sind nicht weniger geworden. Die Form jedoch, sie zu artikulieren, scheint 2015 weniger in Form einer Petition gesehen worden zu sein. Es wird unsere Aufgabe bleiben, die Arbeit des Petitionsausschusses in die Öffentlichkeit zu tragen und auf die Möglichkeit hinzuweisen, diese Form wählen zu können.
Ich möchte aber noch eine andere Seite ansprechen, die ich auch aus den reinen Zahlen herauslese: vielleicht erleben wir momentan eine Trendwende. Weg von den klassischen Einzelpetitionen hin zu Sammelpetitionen. Immerhin haben 46.000 Menschen ihre Unterschrift unter eine der vielen Sammelpetitionen gesetzt. Wir müssen uns darauf einstellen, dass moderne Instrumente der Bürgerbeteiligung, wie Open Petition, eine immer größere Rolle spielen werden. Andere Länder wie Litauen sind uns da schon weit voraus. Litauen zum Beispiel erlaubt reine Online Petitionen, bei denen man auch jederzeit online überprüfen kann, welchen Bearbeitungsstand seine oder ihre Petition erreicht hat. Davon sind wir in Sachsen noch weit entfernt.
Ich denke, dass es keinen Ausschuss im Sächsischen Landtag gibt, der sich so unmittelbar mit der Lebenswelt der Menschen auseinandersetzt. Zu beinah jeder nur denkbaren, manchmal auch undenkbaren, gesellschaftlichen Frage wenden sich Petenten und Petentinnen an den Sächsischen Landtag. Auf diese Weise erlangen wir Abgeordneten Kenntnis von Problemen und Sachverhalten, die es vielleicht ohne das Instrument der Petition nie in den Landtag geschafft hätten. Bekanntlich kann nur das, was als Thema erkannt wird, auch parlamentarisch angegangen werden, wenn vielleicht auch nicht immer sofort. Aber der stete Tropfen höhlt bekanntlich den Stein; dieses Naturgesetz gilt selbst in Sachsen.
Was meine politische Arbeit ungemein bereichert, sind die Lerneffekte. Durch die Arbeit mit den Petitionen setzen sich die Berichterstatter mit Themen und auch Menschen auseinander, denen sie so vielleicht nicht begegnet wären. Ich für meinen Teil halte an der Überzeugung fest, dass gutes politisches Handeln sich daran messen lassen muss, wie es den Realitäten begegnet und die Themen der Menschen begreift. Erst dann wird politisches Handeln für mich authentisch und ehrlich. Das, meine Damen und Herren, ist vertrauensbildend und daran müssen wir Alle mit großer Kraft arbeiten.
Man darf nicht vergessen, dass sich hinter jeder dieser 453 Petitionen eine ganz eigene Geschichte verbirgt. Fast jeder Fall ist anders, die Palette an Themen bunt. Die Petitionen, an denen ich z.B. gearbeitet habe, reichen vom Abwasser über Hochschulthemen bis hin zu den sächsischen Sparkassen.
Bei Petitionen geht es selten um das große Ganze. Es geht um kleinste verwaltungsrechtliche Details und komplizierte gesetzliche Zusammenhänge, die intensive Einarbeitung verlangen. Das ist auch einer der Gründe für die Bearbeitungszeit von Petitionen. Der Jahresbericht gibt für den größten Teil der Petitionen 6-12 Monate Bearbeitungszeit an. Das ist eine Zeitspanne, bei der man bei Ministerien oder Behörden langsam über eine Untätigkeitsklage nachdenken würde. Bei Petitionen liegt es aber in der Natur der Sache, denn als Berichterstatter sucht man immer Wege, um dem Anliegen der Petentinnen und Petenten möglichst abhelfen zu können. Da wird auch mal das persönliche Gespräch gesucht, Briefe über Briefe an die Staatsregierung verfasst, Ortstermine abgehalten oder Vertretende der Staatsregierung vor den Ausschuss geladen. Alles, um ein möglichst umfassendes Bild der Lage zu erhalten.
Bei der Bearbeitungszeit von Petitionen gilt der Grundsatz von Qualität vor Schnelligkeit – und so muss es auch sein. Kritisch anzumerken ist, dass der Ausschuss heute noch Petitionen aus der letzten Legislaturperiode mit sich herumschleppt; ja sogar noch 6 Petitionen aus den Jahren 2010-13. Das kann man eigentlich fast niemandem mehr vermitteln und dieser Missstand muss schleunigst behoben werden.
Beim Lesen des Petitionsjahresberichtes – und ich gehe davon aus, dass Sie ihn alle lesen werden – werden Sie merken, mit welchen Themen sich die Menschen an den Landtag wenden. Ein paar Beispiele: das Thema Bildung treibt die Menschen im Land weiter um. Besonders bei den Sammelpetitionen spielte Bildung eine wichtige Rolle, sei es die Verbesserung des Kita-Personalschlüssels, Hortbetreuung oder Integration.
Vor dem Hintergrund der vielen Diskussionen, die wir im vergangenen Jahr und bis heute zum Thema Asyl in seinen vielen Facetten führen, hat mich eine Tatsache besonders staunen lassen: die Sammelpetition mit den meisten Unterschriften war im Jahr 2015 ausgerechnet die, die sich für einen Winterabschiebungsstopp eingesetzt hat. 11.500 Menschen haben unterschrieben und das ist für mich ein sehr deutliches Zeichen. Dieser Petition wurde vom Landtag nicht abgeholfen. In der Drucksachennummer 6/2668 kann man hierzu nochmal näher nachlesen.
Auch der Umwelt-, Natur- und Tierschutz liegt den Petentinnen und Petenten besonders am Herzen. Fast 14.000 Menschen haben sich zu diesen Themen an den Petitionsausschuss gewandt, sei es bezüglich des umstrittenen „Baum-Ab-Gesetzes“ von 2011, für eine Rücknahme der Erlaubnis von Mäusegift oder zum Thema Rotwild im Erzgebirge. Das zeigt, wie sehr die Menschen diese Themen – die so unmittelbar mit unserer aller Lebensqualität zusammenhängen – bewegen.
453 Petitionen waren es also 2015 und 318 davon konnte nicht abgeholfen werden. Nur bei 24 Petitionen wurde am Ende das Votum "wird abgeholfen" vergeben. Abgeholfen ist einer Petition dann [S.39 Petitionsjahresbericht], wenn durch das Petitionsverfahren eine Entscheidung im Sinne der Petentinnen oder Petenten befördert wird. Dazu kommen noch 66 Petitionen, die sich erledigt haben und 19, die der Staatsregierung zugeleitet wurden. Geschieht letzteres, dann erfahren wir als Berichterstatter in den allerseltensten Fällen, welche Auswirkungen das auf Verwaltungshandeln oder Regierungshandeln hat.
Die Erfolgszahlen klingen für sich genommen niederschmetternd. Wenn man genauer hinsieht, heißt das aber auch, dass jede fünfte Petition in irgendeiner Art und Weise Erfolg hatte. Das zeigt, dass es allemal besser ist, sich mit einer Eingabe an den Landtag zu wenden, anstatt still und leise einen Mißstand einfach zu ertragen. Es passiert auch, dass eine Petition durch Medienberichterstattung an die Öffentlichkeit gelangt und auch das hilft manchmal, etwas zu bewegen.
Ich würde mich freuen, wenn wir öfter auch hier im Plenum einzelne Petitionen aus der Sammeldrucksache herausziehen, um sie gemeinsam zu besprechen. Dann erlangen auch die Kolleginnen und Kollegen, die nicht im Petitionsausschuss sitzen, Kenntnis von verschiedenen Themen, welche die Menschen bewegen. Schaden kann das sicher nicht.
Der Jahresbericht des Petitionsausschusses hält dem Petitionswesen in Sachsen den Spiegel vor und zeigt deutlich dessen Licht- und Schattenseiten auf.
Wir Abgeordnete müssen uns überlegen, wie wir das Petitionswesen weiter stärken und attraktiver machen können. Auch ein Petitionswesen muss sich weiterentwickeln. Die Möglichkeiten, moderne Onlinemedien stärker zu nutzen und einfacher zugänglich zu machen, habe ich schon angesprochen. Auch sollten wir ernsthaft darüber nachdenken, die Entscheidungsfindungen im Ausschuss transparenter zu machen und die Sitzungen in diesem Ausschuss für die Öffentlichkeit zu öffnen. Parteipolitische Überlegungen haben in einem Petitionsverfahren nämlich absolut nichts zu suchen, auch wenn die Verführung manchmal groß ist.
Es bleibt für mich unbestritten, dass das Recht jedes Menschen, sein oder ihr Anliegen an den Gesetzgeber heranzutragen und darin ernst genommen zu werden, eines unser besten Instrumente gegen Politikverdrossenheit, schwindendes Misstrauen in politische Institutionen und populistische Blenderei ist.
In diesem Sinne – Machen wir weiter.