Gerd Lippold: Auch die Staatsregierung hat bei TTIP dringenden Nachholebedarf hinsichtlich der Meinungsbildung.

Redebeitrag des Abgeordneten Gerd Lippold zum Antrag der Fraktionen CDU/SPD "TTIP – Chancen nutzen, Standards verbessern, Souveränitätsrechte wahren" (Drs 6/2010)
17. Sitzung des Sächsischen Landtags, 9. Juli 2015, TOP 4

– Es gilt das gesprochene Wort –

Herr Präsident, meine Damen und Herren!
Die Antworten der Staatsregierung auf die Große Anfrage der Linksfraktion zu TTIP (Drs. 6/1092) offenbaren: Auch die Staatsregierung hat hier dringenden Nachholebedarf hinsichtlich der Meinungsbildung. Dazu kann dieser Koalitionsantrag dienen. In ihm steht all das, wozu sich die frühere CDU-FDP-Koalition im Bundesrat noch enthalten hatte (BR-Drs. 295/14 (B)). Man könnte die damalige Stimmenthaltung als Kapitulation der Staatsregierung vor komplexen Themen bewerten oder als stillschweigende Zufriedenheit von CDU und FDP mit Verhandlungen, die in ihrer Form von einer überwältigenden Mehrheit der Europäerinnen und Europäer so nicht gewollt waren und sind. Beide Annahmen stellen der damaligen Staatsregierung ein schlechtes Zeugnis aus.
Darüber hinaus offenbart sich noch etwas anderes: Ein veritables Demokratiedefizit des TTIP-Verhandlungsprozesses selbst. Denn so wie die Staatsregierung offenbar nur unzureichend informiert und einbezogen wird, so geht es der gesamten Zivilgesellschaft und ihren gewählten Vertretern.
Trotzdem sind Details bekannt geworden, die viele Menschen auf die Barrikaden getrieben haben. Infolge dessen musste die Kommission Konsultationen zulassen, deren Ergebnis mehr als deutlich ist. Fast 150.000 Einzelpersonen und Organisationen haben sich beteiligt, und mehr als 97 Prozent davon lehnen bspw. den Investitionsschutz mit seinen undemokratischen Schiedsgerichten ab. Das Ergebnis ist ein klares Nein.
Übrigens bis weit in die auch in Sachsen prägende mittelständische Wirtschaft hinein. Auch deren Bundesverband hält den Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus ISDS für überflüssig und lehnt ihn strikt ab. Zitat BVMW: die geplanten Regelungen benachteiligen die mittelständische Wirtschaft, hebeln die Rechtsstaatlichkeit aus und gehen so zu Lasten der Mitgliedsstaaten der EU.
Schauen wir mal auf den Einfluss der Parlamente in diesem Prozess. Diese sind ja schließlich in den Demokratien Europas die höchsten Versammlungen von gewählten Vertretern des Volkes, das sich damit Gesetze gibt und seine Regierenden kontrolliert.
Handelspolitik ist jedoch exklusive Kompetenz der EU und nur die Kommission kann vorschlagen, ein Freihandelsabkommen abzuschließen. Sie schlägt das dem Europäischen Rat vor, also den Regierungen der Mitgliedsstaaten, nicht dem EU-Parlament. Auch das Verhandlungsmandat beschließt der Rat. Weder das EU-Parlament noch die nationalen Parlamente erfahren davon, und zustimmen müssen sie schon gar nicht. Sie können zwar Empfehlungen formulieren, aber weitgehend unverbindlich. Das Parlament erfährt nicht einmal, ob sie berücksichtigt wurden, weil das Mandat ja geheim ist.
Das EU-Parlament hat gestern eine solche Resolution zu den laufenden Verhandlungen um TTIP beschlossen. Das endgültige Ergebnis der Verhandlungen zwischen EU und den USA muss aber am Ende nochmal ins EU-Parlament. Und genau deshalb, weil es dieses endgültige Ergebnis noch nicht gibt, ist Einflussnahme durch Bürgerinnen und Bürger, durch regionale und nationale Parlamente, durch Organisationen und Regierungen weiterhin möglich und wichtig. Einflussnahme durch laute und deutliche Meinungsäußerung gegenüber den nationalen Regierungen, die im Europäischen Rat sitzen und gegenüber unseren gewählten Vertreterinnen und Vertretern im EU-Parlament.
Deshalb sollten wir mit diesem Antrag der Staatsregierung nicht nur auftragen, Einfluss zu nehmen, sondern ihr auch den Rücken für den Fall stärken, dass die so überaus bedeutenden Kritikpunkte einfach ignoriert werden.
Denn einstweilen bleibt alles geheim und intransparent. Irgendwann liegt dann ein fertiger Vertrag vor, den die Parlamente bekommen. Sie können ihn aber nicht mehr ändern.
Dieser Zustand ist untragbar, meine Damen und Herren. Und ich glaube, jede Parlamentarierin und jeder Parlamentarier hat – und zwar unabhängig davon, wie sie oder er grundsätzlich zu Chancen und Risiken einzelner Regelungen des Handelsabkommens stehen – angesichts dieser Brüskierung, dieser Ohnmacht bei Informations- und Entscheidungsmöglichkeiten in durchaus für alle Bürgerinnen und Bürger essentiellen Fragen – mindestens ein ungutes Gefühl.
Wir müssen nämlich weitgehend darauf vertrauen, dass da einige Amtsträger zusammen mit Vertretern der Industrie einen in unser aller Interesse verantwortungsvollen Job machen. Und zwar in einer Angelegenheit, in der es um sehr, sehr viel Geld und Marktanteile geht. Wenn ich mir da die berühmte und immer wieder nützliche CUI BONO –Frage stelle („wem nützt es“), so wird das ungute Gefühl auch nicht kleiner.
Daher sind die Proteste der Zivilgesellschaft auch Proteste gegen fehlende parlamentarische Kontrolle und ein Aufruf an die Parlamente, dies zu ändern. Das sollten wir in einer Weise zu tun versuchen, die auch glaubwürdig ist! Dazu bringen wir hier noch einen Änderungsantrag ein.
Die Welt ist größer als Europa und die USA. Ich zitiere aus einer Bertelsmann-Studie :
„Die großen Verlierer einer Eliminierung der Zölle sind Entwicklungsländer. Diese verlieren durch den verstärkten Wettbewerb auf dem EU- oder US-Markt dramatisch an Marktanteilen. Dies ist vor allem für Länder in Nord- und Westafrika ein Problem.“
Nach Hilfe zur Selbsthilfe in den Schwellen- und Entwicklungsländern hört sich das nicht an. Entwicklungspolitik nach dem Motto „wir hauen Euch auf die Nase und schicken dann Schmerzensgeld“ ist keine Antwort auf die Probleme jenseits des westlichen Speckgürtels. Wir Grünen sehen uns verpflichtet, auch diese Seite der Medaille im Blick zu behalten und fordern parallel soziale und ökologische Leitplanken für die Globalisierung. Eine Liberalisierung ohne solche Leitplanken hat weder zur Beseitigung von Welthunger geführt noch zur Bekämpfung des Klimawandels beigetragen. Deshalb sagen wir: „TTIP – so nicht!“
Dass sich die Koalition in Sachsen dieses Themas annimmt, begrüßen wir. Klar muss aber auch sein, dass die hier adressierte Staatsregierung weder ausreichende Informationen noch wirksame Instrumente zur Einflussnahme hat. Ohne eine zusätzliche Stärkung des Antrags bleibt nur das Gefühl „Schön, dass wir mal drüber geredet haben“.
Vielen Dank!

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