Gerd Lippold: Die wirtschaftliche Entwicklung einer Region lässt sich eben nicht in einem Top-Down-Prozess planen

Redebeitrag des Abgeordneten Gerd Lippold zur 2. Lesung des Gesetzentwurfs der Fraktion DIE LINKE:
"Gesetz zur Bewältigung des Strukturwandels in den von Braunkohleabbau und -verstromung geprägten Regionen in Sachsen"
36. Sitzung des Sächsischen Landtags, 22. Juni 2016, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bin Ihnen dankbar für diese Debatte, liebe LINKE – sie bringt mit der Diskussion um die Zukunft der Kohlereviere in der Zeitenwende am Ende der Kohle-Ära ein Thema auf die Tagesordnung, über das man hier im Sächsischen Landtag wieder und wieder sprechen muss. Ja, es ist notwendig, hier in diesem Haus bereits jetzt über das WIE der Bewältigung eines schrittweisen Kohleausstiegs zu sprechen, auch wenn das OB von der Regierungskoalition – wenn auch in unterschiedlichen Stufen der Realitätsverweigerung – durchaus bestritten wird. Doch, meine Damen und Herren von CDU und SPD, auch wenn Sie noch glauben, Sie hätten es in der Hand, hier vom Elbtal aus dafür zu sorgen, dass Sachsen keinen Plan für den Kohleausstieg braucht – Sie werden ihn spätestens dann schmerzlich vermissen und händeringend in leeren Schubkästen suchen, wenn Sachsen aus der Kohle ausgestiegen wird.
Sie legen einen Gesetzentwurf zum Aufbau eines staatlichen Fonds auf den Tisch, der zuallererst der Entwicklung irgendeines Masterplans zu dienen scheint. Das ist letztlich die Konsequenz aus seiner Basis – einer zwei Jahre alten Studie Ihrer Fraktion, die ein Forschungsprogramm zur Erforschung von Perspektiven für die Lausitz forderte und einem darauf basierenden Antrag aus der 5. Wahlperiode. Zwei Jahre, meine Damen und Herren, sind auf diesem Feld eine lange Zeit.
Man sollte ab und an mal wieder hinschauen und berücksichtigen, dass vor Ort in den Revieren, vor allem in der Lausitz, Erkenntnisprozesse in den vergangenen zwei Jahren ein ganzes Stück vorangekommen sind.
Ihr Ansatz, verschiedene Entwicklungspfade zu analysieren, um anschließend offenbar entscheiden zu wollen, welchen davon man für die Regionen, insbesondere die Lausitz, für geeignet hält, legt ein Verständnis von der strukturpolitischen Rolle des Staates offen, das wir so nicht teilen können.
Die wirtschaftliche Entwicklung einer Region lässt sich eben nicht in einem Top-Down-Prozess planen. Man kann zwar Rahmenbedingungen setzen, etwa durch Ausbau von Infrastruktur und durch regulative Vorgaben – eine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung kann aber auch dann nur aus dem Handeln der Akteure vor Ort entstehen.
Der vorgelegte Gesetzentwurf greift aus unserer Sicht auch deshalb zu kurz, weil er nur einen Bruchteil der Kosten und Aufgaben eines Strukturwandels abdeckt.
Eine wirksame Strukturwandelförderung setzt zunächst eine zuverlässige Finanzierungsbasis zur Bewältigung der Bergbaufolgen und Ewigkeitskosten voraus. Die bisherigen, weitgehend ungesicherten Rückstellungen der Bergbauunternehmen reichen selbstverständlich nicht aus, um mit hinreichenden Folgenutzungsstandards Entwicklungschancen zu eröffnen.
Hier muss selbstverständlich mit angepackt werden. Sonst werden Landkreise und Kommunen an den finanziellen und ökologischen Lasten ersticken.
Wenn Sie Ihren Entwurf „Gesetz zur Bewältigung des Strukturwandels“ nennen, dann muss man doch erwarten können, dass es auch die nötigen Mittel dafür zur Verfügung stellt, denn sonst müsste man ja am laufenden Band weitere Strukturwandelbewältigungsgesetze folgen lassen. Es geht hier eben nicht um irgendeinen Antrag zum Haushaltsentwurf, sondern – wenn man den Titel ernst nimmt – um DAS Gesetz zur Bewältigung des Strukturwandels!
Der Agora-Vorschlag zu einem nationalen Kohlekonsens beispielsweise geht von einem regionalen Förderbedarf von einer Viertelmilliarde für die deutschen Braunkohlereviere aus – pro Jahr, meine Damen und Herren.
Wir brauchen weit größere Summen, als Sie hier zur Bewältigung des Strukturwandels in den Raum stellen. Es geht um Milliarden, nicht um Millionen.
Das ist auch keine Sache, die man mal eben von Dresden aus allein mit Landesmitteln macht. Nein – diese Mittel müssen so verursachergerecht wie möglich aufgebracht werden! Da sind jene in der Pflicht, die durch unwiederbringlichen Abbau von Bodenschätzen in den Regionen jahrzehntelang Milliarden verdient haben.
Aber auch der Bund ist in der Pflicht, denn Energiepolitik ist Bundespolitik und Geschäftsmodelle in der Energiewirtschaft entstehen und vergehen durch bundespolitischen Entscheidungswillen.
Eine etwas statische Sichtweise auf die sich ändernde Realität zeigt sich leider in Ihrer Begründung, liebe LINKE. Sie wollen, schreiben Sie dort, in einem mehrjährigen Forschungsprogramm mittel- und langfristige Szenarien für die Entwicklung mit und ohne Braunkohle untersuchen.
Da frage ich mich doch, ob es bei Ihnen angekommen ist, dass es einfach kein Szenario gibt, in dem mit der Braunkohle bei nicht vorhandener CCS-Option die derzeitigen Klimaschutzziele erfüllbar sind. Erst Recht nicht die, die zu Paris passen.
Da frage ich mich, ob bei Ihnen angekommen ist, dass es spätestens bei 45 Prozent erneuerbarer Energien – die stehen für 2025 selbst jetzt schon im Bundesgesetz – einfach kein profitables Geschäftsmodell mehr für Grundlastkraftwerke gibt und somit auch keinen Sinn für die Untersuchung eines Regionalszenarios, das so tut, als könne man eine Region irgendwo losgelöst vom Rest der Republik und ihrer Energiewirtschaft betrachten.
Die von Ihnen vorgeschlagene Kooperation der betroffenen Bundesländer ist sinnvoll. Leider hat das von der LINKEN mitregierte Brandenburg einen entsprechenden Vorschlag für einen Lausitzfond – dort allerdings von den GRÜNEN eingebracht und nicht vollmundig als Gesetz zur Bewältigung des Strukturwandels, sondern als erster, kleiner Schritt in diese Richtung – als unnötig abgelehnt.
Wir werden Ihren Gesetzentwurf nicht ablehnen, denn wir finden es nicht unnötig, sich hier im Sächsischen Landtag über die besten Wege zur Unterstützung des regionalen Strukturwandels in den Kohlerevieren Gedanken zu machen.
Wir können ihm aber auch nicht zustimmen. Denn, was immer Sie mit dem Titel des Entwurfes der Öffentlichkeit ankündigen, der Inhalt wird dem nicht gerecht. Wir halten den Fonds in der von Ihnen vorgeschlagenen Form für ein nicht geeignetes und viel zu schwaches Instrument. Wir werden uns deshalb bei der Abstimmung, wie auch bereits im Ausschuss, enthalten. Auch auf die Gefahr hin, von Ihnen vorgeworfen zu bekommen, das Thema nicht wichtig zu nehmen, was absurd wäre – gerade hier kommt es nicht Schlagzeilen, sondern auf den Inhalt an!