Gerd Lippold: Faule Kompromisse – VW ist ein gravierendes Beispiel von nicht nachhaltigem Agieren in der Wirtschaft

Redebeitrag des Abgeordneten Gerd Lippold zur Aktuellen Debatte (Die Linke):
"VW-Desaster – Auswirkungen für Beschäftigte im Automobil-Cluster Sachsen rechtzeitig abwenden"
21. Sitzung des Sächsischen Landtags, 07. Oktober 2015, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren,
es ist richtig und wichtig, dass wir heute zum VW-Abgasskandal debattieren. Ein ausgewachsener Skandal ist es zweifellos – dafür sorgt allein schon die internationale Medienrezeption. Was es sonst noch ist und auf welcher Ebene des Managements wird die weitere Untersuchung zeigen. Dabei hat selbstverständlich auch hier zunächst die übliche Unschuldsvermutung zu gelten. Egal, welchen Druck die öffentliche Meinung ausübt.
Das Thema Abgas-Skandal greift viel tiefer als nur in zwei VW-Dieselmotoren. Jahrelang gab und gibt es ein gemeinsames Handeln von Industrie und staatlichen Akteuren, Standards und Vorschriften vor allem hersteller- statt verbraucherfreundlich zu handhaben.
Die denkbaren mittelfristigen Konsequenzen für Unternehmen und Beschäftigte müssen analysiert werden – bei VW in Sachsen, für die Zulieferindustrie und für heimische Unternehmen weit darüber hinaus.
Ganz unmittelbare Konsequenzen zeigen sich für Kommunen. In Zwickau gilt inzwischen eine Haushaltssperre. Investitionszurückhaltung der öffentlichen Hand löst weitere Probleme in der regionalen Wirtschaft aus.
Markenreputation ist ein extrem starkes Marketinginstrument. Nicht nur die Marke VW ist betroffen. Die Marke "Made in Germany" könnte Schaden nehmen.
Wir sehen deshalb die Konsequenzen aus dem Desaster auch in Sachsen in einem wesentlich größeren Rahmen, als es der Titel der Aktuellen Debatte ausdrückt.
Die Ursachenanalyse darf keinesfalls bei der Aufklärung individuellen Fehlverhaltens enden. Wenn eine Industrieanlage in die Luft fliegt, reicht es nicht aus zu fragen: "Wer hat da den falschen Knopf gedrückt?" "Wieso gab es einen falschen Knopf und wieso war es dem Einzelnen möglich, ihn zu drücken?" – so muss die Frage lauten!
Was hier offenbar wurde, das ist ein gravierendes Beispiel von nicht nachhaltigem Agieren in der Wirtschaft. Dabei wurde für den Moment, wurde für Heute und Morgen zur zweckdienlichen Umschiffung eines kurzfristigen Problems so gehandelt, dass dadurch für Übermorgen Existenzbedrohungen in Kauf genommen und direkt verursacht wurden.
Solche, auf Dauer immer sehr teuren Strategien sind nicht auf Handelnde in Wirtschaft und Banken beschränkt. Gravierende Nachhaltigkeitsdefizite fanden und finden sich auch im Handeln von Regierung und Kommunen.
Bei VW wurde versucht, die harten Stickoxid-Emissionsvorgaben im Automobilbereich zunächst mit Software-Tricks zu umgehen. Vielleicht in der Hoffnung, das Problem an sich später noch weglobbyieren zu können.
Doch ist es denn etwas anderes, wenn man in der Energiewirtschaft und in der Politik mit Nebelkerzen in der Hand versucht, sich um klare nationale Emissionsminderungsziele herum zu tricksen? In der Hoffnung, die Ziele ließen sich noch rechtzeitig kippen?
Insofern kann ich nur sagen: wir sitzen alle irgendwie im Glashaus. Die Steine sollten wir lieber in der Tasche behalten.
Meine Damen und Herren, mit Blick auf unsere Verantwortung für künftige Generationen gibt es keine Alternative zur Nachhaltigkeit im unternehmerischen und im politischen Handeln!
Wenn hier der rasche Ruf nach dem Staat ertönt, um auch bei krassem Management-Versagen sozusagen als Vollkasko-Versicherung zu agieren, so springt uns das viel zu kurz. Ein ordoliberales Staatsverständnis bedeutet, die richtigen Leitlanken zu setzen, nicht kleinteiliges Mikromangement. Wir sollten vor allem nach Konsequenzen rufen, die künftig solche Desaster verhindern oder zumindest unwahrscheinlicher machen.
Wir fordern deshalb, angesichts des VW-Desasters auch grundsätzlicher über Kriterien der Ansiedlungs- und Förderpolitik des Freistaates nachzudenken und nicht bei Symptomlinderungsansätzen stehen zu bleiben.
Wir fordern seit Langem Nachhaltigkeitskriterien bei staatlicher Förderung und Unterstützung für Ansiedlung, Investition und Entwicklung. Kriterien wie "Compliance", "Corporate Governance" und Unternehmensethik müssen hier ebenfalls eine wichtige Rolle spielen. Hohe Standards sind zu fordern und deren Einhaltung ist zur Bedingung für öffentliche Unterstützung zu machen. Zukunftsfähiges, gesellschaftlich dienliches Verhalten ist ein entscheidendes Kriterium dafür, ob auch die Gesellschaft sich in besonderem Maße engagieren kann.
Eine weitere Schlussfolgerung tritt klar hervor. Eine Ansiedlungspolitik, die regionale Monostrukturen erzeugt, schafft auch enorme regionale Abhängigkeiten und Risikostrukturen. Nicht nur in der Automobilindustrie. Die Geschichte der Mikroelektronik hier in Dresden und die Risiken von Milliardeninvestitionen in die Braunkohle sind weitere Beispiele in Sachsen.
Eine ausgewogene, diversifizierte Wirtschaftsstruktur mit hohem Anteil kleiner und mittelständischer Unternehmen wirkt hingegen stabilisierend und darf angesichts von großen "Ansiedlungserfolgen" nicht vernachlässigt werden.