Keine Abschiebungen nach Afghanistan: Sicherheit und Menschenwürde müssen wieder die Oberhand gewinnen

Rede der Abgeordneten Petra Zais zum Antrag der GRÜNEN "Keine Abschiebungen nach Afghanistan" (Drs 6/10623)
60. Sitzung des Sächsischen Landtags, 27. September, TOP 11

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
werte Kolleginnen und Kollegen,
1. Keine Abschiebungen nach Afghanistan vollziehen
Mit dem vorliegendem Antrag fordern wir, dass aus Sachsen aktuell keine Abschiebungen nach Afghanistan vollzogen werden sollen. Sachsen soll sich auch weiterhin nicht an den Sammelabschiebungen beteiligen, denn Afghanistan ist unsicherer denn je.
Mehr als zwölf Jahre lang wurden Abschiebungen von Geflüchteten nach Afghanistan aus gutem Grund nicht vollzogen. Erst das Rückübernahmeabkommen zwischen der deutschen und afghanischen Regierung sorgte für die Aufgabe dieser Praxis. Im Dezember 2016 erfolgte die erste Sammelabschiebung – im Gegenzug erhält die afghanische Regierung mehr Geld im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit aus Deutschland.
Entgegen aller kritischen Stimmen des UNHCR und anderer humanitärer Organisationen, stellte sich die Bundesregierung hinterg den Satz von Thomas de Maiziere von den "sicheren Regionen in Afghanistan" und erklärte ihn zum Grundsatz, der nicht mehr bewiesen werden muss. Was nach Newton für das Trägheitsprinzip in der Physik gilt, ist jedoch nicht tauglich für das reale Leben.
Nach der Einschätzung des UNHCR ist "ein pauschalisierender Ansatz, der bestimmte Regionen hinsichtlich der Gefahr von Menschenrechtsverletzungen, wie sie für den Flüchtlingsschutz oder den subsidiären Schutz relevant sind, als sichere und zumutbare interne Schutzalternativen ansieht, vor dem Hintergrund der aktuellen Situation in Afghanistan nicht möglich."
Zwar hat sich die wirtschaftliche Lage in Afghanistan in den vergangenen Jahren verbessert, die Sicherheitslage hat sich jedoch im gleichen Zeitraum dramatisch verschlechtert. Der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration verweist in seinem Jahresgutachten 2017 darauf, dass der Staat Afghanistan im Gefährdungsindex (Risiko von Staatszerfall) den gleichen Punktwert wie Syrien erreicht. Mit 2,7 Millionen Flüchtlingen ist Afghanistan nach Syrien das Land mit den zweitmeisten internationalen Flüchtlingen weltweit.
Mit rund 12.262 Erstanträgen im Zeitraum von Januar bis August 2017 liegt laut dem Geschäftsbericht des BAMF Afghanistan nach Syrien und dem Irak auf Platz 3 der stärksten Herkunftsländer. Die größte Zahl von Abschiebungsverboten gem. § 60 (Absatz 5 und 7) Aufenthaltsgesetz wurde aktuell bei Antragstellern aus Afghanistan festgestellt (20.258).
Bei dem verheerenden Anschlag in Kabul  im Mai dieses Jahres wurden große Teile der deutschen Botschaft zerstört, 160 Menschen getötet und über 450 verletzt. Das Botschaftspersonal wurde abgezogen und der deutsche Botschafter musste Unterschlupf in der zur Festung ausgebauten US-Vertretung nehmen. Als Reaktion wurde ein neuer Lagebericht in Auftrag gegeben und die Aussetzung der Abschiebungen nach Afghanistan vereinbart.
Dass die Sicherheitslage in Afghanistan dramatisch ist, räumt im Grunde auch die Bundesregierung auf Nachfrage von Luise Amtsberg indirekt ein. Die Antwort des Bundesinnenministeriums zur Gefährdung begleitender Bundespolizisten in Kabul zeigt die verheerend schlechte Sicherheitslage vor Ort: nur wenn man den Flughafen nicht verlässt, nicht übernachten muss und sofort zurückfliegen kann, ist es nicht gefährlich. Auch für abgeschobene Afghanen stellt sich spätestens nach dem Verlassen des Flughafens Kabul die Frage, wie sie ohne Gefahr für Leib und Leben an andere Orte in Kabul bzw. im Land gelangen sollen.
Nach unserer Auffassung ist damit klar: Afghanistan ist kein sicheres Land und verfügt auch nicht über einzelne sichere Regionen. In 27 von 34 Provinzen ist mit Angriffen vor allem der Taliban gegen die afghanische Regierung zu rechnen. Auch Zivilisten sind dadurch bedroht. Es besteht für zwangsweise Zurückgeführte eine Gefahr für Leib, Leben und Gesundheit. Eine Rückkehr ist daher in der Abwägung nicht zumutbar und damit auch bereits unter dem Gesichtspunkt des Schutzes des Lebens und der körperlichen Unversehrtheit aus Artikel 2 Grundgesetz rechtlich nicht zu vertreten. Somit sind Abschiebungen nach Afghanistan nicht durchzuführen.
Dass die Fachministerinnen und -minister auf der 206. Sitzung der Innenministerkonferenz beschlossen haben, im Einzelfall StraftäterInnen, sog. GefährderInnen und Menschen, die sich nachhaltig und schuldhaft den Mitwirkungspflichten am eigenen Asylverfahren entziehen, wieder abzuschieben, lehnen wir aus folgenden Gründen ab, die sich auch im Antrag wiederfinden.
Der angekündigte Lagebericht liegt noch nicht vor, der Zwischenbericht ist als Verschlusssache des Bundesinnenminsteriums eingestuft. Es fehlt an Transparenz, parlamentarische Kontrollmöglichkeiten sind nicht gegeben. Es kann nicht sein, dass deutsche Gerichte aktuell ihre Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Abschiebungen nach Afghanistan darauf gründen, was in dem Zwischenbericht steht, ohne dass die Inhalte auch nur im Entferntesten bekannt gemacht worden sind.
Die Klärung der Frage, nach welchen überprüfbaren Kriterien eine Einstufung als Gefährder erfolgt und welche rechtlichen Konsequenzen daraus resultieren, ist offen. Ausweichende Antworten auf entsprechende Anfragen sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Dabei machen wir keinen Unterschied zwischen solchen Menschen, die Straftaten begangen haben, denjenigen, die bei der Feststellung ihrer Identität nicht mitwirken und jenen, die als Gefährder eingestuft werden. Denn die Lage in Afghanistan ist für alle gleichermaßen gefährlich.
Wir folgen dem menschenrechtsbasierten Grundsatz, dass es keine Menschen erster und zweiter Klasse gibt. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit ist nicht teilbar. Unsere rechtsstaatliche Ordnung gebietet es zudem, StraftäterInnen einem fairen Verfahren zuzuführen und die Strafen auch verbüßen zu lassen.
Darüber hinaus wird nicht klar, wie viele der sogenannten Gefährder tatsächlich aus Sachsen ins "Ausland" abgeschoben werden können.
Unser Antrag ist auch als Kritik an der Abschiebepolitik des Freistaates Sachsen zu verstehen, die seit Jahren dem Ruf der Straße folgt.
Unsäglich in diesem Kontext, dass Sie, Herr Staatsminister Markus Ulbig, eine Woche vor der Wahl den starken Max markieren und öffentlichkeitswirksam eine Familie abschieben wollen. Damit haben Sie sich noch weniger Freunde gemacht. Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite der Medaille ist, dass sie damit das Geschäft derer betreiben, deren Politikansatz die Angst der Menschen ist.
Wir setzen uns mit unserem Antrag dafür ein, dass Sicherheit und Menschenwürde wieder die Oberhand gewinnen und dass staatliches Handeln nicht von Willkür bestimmt wird und bitten um Zustimmung zu unserem Antrag!
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