Valentin Lippmann: Rechtsstaat lässt sich von Gewalttätern und Verfassungsfeinden immer mehr auf der Nase herumtanzen

Redebeitrag des Abgeordneten Valentin Lippmann zur Aktuellen Debatte der LINKE-Fraktion:
"Angriffe auf Flüchtlinge und Ehrenamtliche – Wachpolizei und Gründung von Bürgerwehren – Regierungsverantwortung für funktionierenden Rechtsstaat wahrnehmen"
27. Sitzung des Sächsischen Landtags, 3. Februar 2014, TOP 3

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
ja, Sachsen hat ein Problem mit der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols. Kaum eine Woche – ja kaum ein Tag – vergeht, ohne dass irgendwo in Sachsen ein Angriff auf Flüchtlinge, auf Flüchtlingsunterkünfte oder auf Unterstützer geschieht. Mittlerweile sind gefährliche Gewöhnungseffekte eingetreten, man scheint das Problem fast schon hinzunehmen. Aber wenn fast jeden Tag ein Flüchtlingsheim brennt und marodierende Banden durch die Straßen ziehen, müssen wir jeden Tag aufs Neue aufstehen, ihnen in den Arm fallen und ihnen deutlich machen, dass Rassismus in unserer Gesellschaft eine Schande ist.
Die Härte des Rechtsstaates, die nach Angriffen immer wieder verkündet wird, scheint mittlerweile zur Phrase, ja zu einem Mantra der Hilfslosigkeit geworden zu sein. Die permanente Proklamation steht in keinem Verhältnis zur tatsächlichen Durchsetzung der propagierten Härte. Der Rechtsstaat ist nicht im Wanken, lässt sich aber von Gewalttätern und Verfassungsfeinden immer mehr auf der Nase herumtanzen.
Wir erleben gerade in Teilen der Bevölkerung eine Radikalisierung. Und statt diesen Teilen auch noch die Argumente zu liefern, erwarte ich – das sage ich deutlich in Richtung der CDU – von jedem aufrichtigen Konservativen ein Eintreten gegen menschenverachtende Positionen, wie die Forderungen nach einem Schießbefehl an der deutschen Grenze, und gegen den Spuk, den wir gerade auf Sachsens Straßen erleben.
Wir müssen wieder in die Lage kommen, das staatliche Gewaltmonopol durchzusetzen. Am Wochenende wusste ich fast nicht mehr, ob ich lachen oder weinen sollte. Da machen wir uns als GRÜNE Gedanken, wie wir einen leistungsfähigen Rechtsstaat gewährleisten können, und CDU-Fraktionschef Kupfer wirft den GRÜNEN "law and order"-Denken vor. Werte Kollegen der CDU, wenn für Sie mittlerweile die notwendige Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und von Rechtsstaatlichkeit "law and order"-Politik ist, dann kann ich Sie nur auffordern, machen Sie "law and order". Das war doch jahrelang Ihre Spezialität. Oder leidet jetzt die konservative Sicherheitserzählung unter partieller Amnesie? Ich kann ja verstehen, dass es aus Ihrer Sicht keine GRÜNEN Träume braucht, obwohl es bezeichnend ist, dass sich mittlerweile vor allem GRÜNE und Linke Sorgen um die Sicherheit machen. Zuerst brauchen wir vor allem mehr Realismus bei der CDU.
Mit Bernd Merbitz warnte ein Ihnen ja wohl sehr nahe stehender Polizeipräsident von "pogromartigen Stimmungen", die sich im Land breit machen. Der Mann hat Recht. Zu den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte kommt noch ein anderes Problem. Mittlerweile sprießen die sogenannten Bürgerwehren wie Giftpilze aus dem Boden. Das wird sogar dem Justizminister unheimlich, und, Herr Staatsminister Gemkow, ich bin Ihnen dankbar für die klaren Worte. Es geht hier schon lange nicht mehr um eine aufmerksame Nachbarschaft, sondern um Gruppierungen, die sich organisieren und bewaffnen und dabei nicht selten von strammen Neonazis unterstützt werden. Es sollte im besten Interesse der Polizei sein, diese Gruppen regelmäßig zu kontrollieren. Sie sind ein Pulverfass, dem nur der Funke fehlt. Die Durchsetzung des Gewaltmonopols ist eine staatliche Aufgabe und das muss der Staat gegen diese selbsternannten Sherrifs deutlich machen.
Um dies aber tun zu können, braucht es endlich mehr Polizei. Seit der Verkündung des Innenministers, der Stellenabbau sei gestoppt, sind mittlerweile vier Monate vergangen, ohne dass diese Ankündigung umgesetzt worden wäre. Wir können uns in der momentanen Situation eine Ankündigungsrhetorik nicht leisten. Machen Sie endlich Ihre Hausaufgaben. Der Rechtsstaat wird es Ihnen danken. Mit der Wachpolizei gaukeln Sie der Bevölkerung Sicherheit vor und den Frauen und Männern, die sich jetzt in ihre dreimonatige Ausbildung begeben haben, gaukeln Sie vor, Sie könnten wie richtige Polizistinnen und Polizisten handeln. Auch sich selbst lügen Sie in die Tasche: Die Wachpolizei ist kein Anpacken des Problems unserer Gesellschaft, sondern hilfloser Aktionismus.
Wir müssen etwas gegen die Bewaffnung der Bevölkerung tun. Mehr Waffen führen nicht zu mehr Sicherheit, sondern zu weniger. Es gibt einen Zusammenhang zwischen dem Unsicherheitsgefühl in der Bevölkerung, der Radikalisierung und dem Streben nach Waffen. Die Zahl aller waffenrechtlichen Erlaubnisse schießt durch die Decke. Und wer jetzt behauptet, das habe nichts miteinander zu tun, der soll mir erklären, warum die Zahl der Kleinen Waffenscheine steigt – die sind ja wohl kaum der Liebe zum Schießsport zuzurechnen.
Kurzum, es braucht keine irrige Debatte über die Renaissance des starken Staates, der im Gewand des Obrigkeitsstaats der Traum einiger hier zu sein scheint. Es braucht starke rechtsstaatliche Strukturen, die Gewalt und Verbrechen verfolgen, sanktionieren und das Gewaltmonopol des Staates durchsetzen.
Vielen Dank!
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