Wolfram Günther: Artensterben in Sachsen stoppen!

Redebeiträge des Abgeordneten Wolfram Günther zur 2. Aktuelle Debatte der GRÜNEN-Fraktion: "Artensterben in Sachsen stoppen!"
15. Sitzung des Sächsischen Landtags, 11. Juni 2015, TOP 1

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich merke schon, es ist etwas schwierig, mit dieser 2. Aktuellen Debatte bei Ihnen zu punkten. Ich würde mir in unser aller Interesse wünschen, dass es etwas mehr Aufmerksamkeit finden würde; denn es geht hier letztlich um unsere Lebensgrundlagen.

Es geht um etwas, das uns dauerhaft beschäftigt. Es ist auch aktuell, denn Ihnen allen ist erst vor wenigen Tagen, im Mai, der aktuelle Artenschutzreport des Bundesamtes für Naturschutz zugegangen mit einem dramatischen Resultat: Von den heimischen Arten — Tiere, Pflanzen, Pilze — ist knapp die Hälfte bereits ausgestorben oder in unterschiedlichem Maße im Bestand gefährdet. Knapp 10 % davon sind bereits ausgestorben. Das sind dramatische Zahlen.

Es gibt noch einen zweiten Anlass, warum wir uns im Rahmen einer Aktuellen Debatte darüber unterhalten sollten:

Wir befinden uns genau in der Mitte der UN-Dekade der Biodiversität. Das Ziel ist, den Artenrückgang bis zum Jahr 2020 zu stoppen. Wir haben jetzt Halbzeit. Es sieht nicht so aus, als wären wir auf diesem Weg irgendwie vorangekommen.

Wenn man das auf Artengruppen herunterbricht: Ungefähr ein Drittel der Brutvogelarten in Sachsen sind in unterschiedlichem Maß stark gefährdet und ein Viertel der Zugvögel. Ich will es nicht auf alle anderen Arten herunterbrechen, aber es gibt bestimmte Tiere, die waren einmal Allerweltsarten. Ich weiß nicht, wie viele Gasthöfe „Zum Auerhahn“ es gibt.

Es gibt Brauereien, die etikettieren das. Die sind zwar nicht gerade aus Sachsen, aber jeder sieht das und denkt, das ist ein Allerweltstier. In Sachsen sind sie praktisch nicht mehr vorhanden. Wir können uns freuen, dass es in Randgebieten, in der Niederlausitz, ein paar Projekte gibt, wieder welche anzusiedeln. Ähnlich die Birkhühner, auch sie waten einmal weit verbreitet. Oder die Turteltauben: Seit den Achtzigerjahren sind die Bestände um 96 % zurückgegangen. Es ist also kaum noch etwas da. Der Feldhamster, ein Kulturfolger, ist einmal eine Massenart gewesen. Es gibt noch eine kleine Restpopulation um Eilenburg herum, die versucht wird, künstlich am Leben zu erhalten.

Man kann das für alle weiteten Arten durchdeklinieren. Das Dramatische ist, das sind die, bei denen es am augenscheinlichsten ist. Von denen hat man noch ein Bild vor Augen. Aber – das ist absoluter Konsens in der Forschung – wir Menschen sind Teil eines größeren Lebensraumzusammenhangs, zu dem Tier- und Pflanzenarten und Pilze gehören. Das sind unsere Lebensgrundlagen. Das ist ein so komplexes Gefüge, dass es kein Mensch bis ins Letzte hinein absehen kann, welche Folgen einzelne Verluste haben, auch für uns. Wir sägen hier wirklich an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Dass dieser Artenrückgang menschliche Ursachen hat, ist Konsens. Ein paar
Hauptursachen: etwa die Zerschneidung von Lebensräumen bei den größeren Arten.

Sie brauchen Mindesthabitate, um sich austauschen und überleben zu können.
Verkehrstrassen sind ein Problem. Eine weitere große Ursache ist die
Landwirtschaft: die intensive Landwirtschaft, der Austrag von Pestiziden — es ist logisch, es werden Arten getötet, das ist der Zweck —‚ aber auch die Stickstoffe, die ausgebracht werden, die Eutrophierung von Gewässern. Der Kammmolch oder der Feuersalamander, die darauf ganz empfindlich reagieren, gehen über den Jordan.
Das sind aber immer nur Teile dieses großen Wirkgefüges.

Was das Problem ist: Es gibt keinen richtigen Trend, der in eine andere Richtung gehen würde. Ich habe es schon gesagt: Wir sind in der Hälfte der Dekade der Biodiversität. Wir haben es auch im Rahmen der Haushaltsverhandlungen bereits angesprochen. Eigentlich sollte etwa bis zum Jahr 2015 ein Biotopverbund in Sachsen geschaffen werden. Dabei sind wir überhaupt nicht vorangekommen. Ich habe gerade gesagt, Lebensräume müssen funktionieren. Wir brauchen Rückzugsräume für bestimmte Arten. Wir brauchen auch die Möglichkeit, dass sie sich woandershin ausbreiten können.

Wir müssen tätig werden. Wir müssen nicht nur mit Schutzgebieten aktiv werden, aber wenn ich das nenne, will ich einmal sagen, wie es dort aussieht.
Wir haben schon Rückzugsräume geschaffen, etwa Naturschutzgebiete. In den letzten Jahren sind aber mehr als 20 wieder aufgehoben worden. Das sind 10 % der Fläche.
Wir schaffen es also nicht einmal, diese kleinen Rückzugsgebiete zu schützen.

Wald: In der Region Leipzig wurde erst groß aufgeforstet, auch von der „Stiftung Wald für Sachsen“, und hektarweise wurde es gerade wieder gerodet, weil eine eigentlich schon mehrspurig ausgebaute Straße zur Autobahn ausgebaut wird.
Dieses ganze Thema Landwirtschaft, Pestizidaustrag, Stickstoffe:

(Weiter im 2. Redebeitrag)

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(2. Redebeitrag)

Sehr geehrte Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!

(…)

Zu dem Kollegen Herrn Hippold muss man Folgendes sagen: Die Debatte mit dem Hinweis auf den Dinosaurier zu führen, ist wirklich peinlich.

Es geht um unsere Lebensgrundlagen in Sachsen. Das ins Lächerliche zu ziehen, kann ich nicht nachvollziehen. Ich kann es nur als traurigen Beleg dafür werten, dass Ihnen das Thema nicht wirklich ernst ist.

Das bedaure ich sehr. Wir haben es genau aus dem Grund auf die Tagesordnung im Rahmen der Aktuellen Debatte und nicht als Antrag gesetzt, damit man nicht sofort von Ihnen hört, warum alles, was wir beantragen, abgelehnt werden muss. So hört man, was Ihnen an dem Thema wichtig ist, sodass man im Laufe der Legislatur auf bestimmte Punkte zu sprechen kommen kann und man tatsächlich vorankommt. Das kann auch gern gemeinsam der Fall sein. Ich lade Sie dazu ein. Dann ist der Punkt mit dem Dinosaurier geschenkt.

Eines möchte ich dazu noch sagen: Es geht um Arten in Sachsen. Sachsen gab es noch nicht, als die Dinosaurier hier lebten. Es haben sich auch Platten auf dem Erdball hin- und hergeschoben. Das passt einfach nicht zusammen.

Es geht auch um Folgendes:
Wir haben einen Artenrückgang zu verzeichnen. Es liegt keine Dynamik vor, bei der sich andere Dinge entwickeln und aufblühen. Unsere Lebensgrundlagen werden angeknabbert. Das muss man erst einmal begreifen.
Was können wir tun? Sie hatten vorhin bereits die Schutzgebiete angesprochen. Sie hatten auch angesprochen, was in den europäischen Schutzgebieten bereits fehlt.
Die Meldungen usw. wurden vom Freistaat lange verzögert, sodass es in vielen Bereichen nur Grundschutzverordnungen gibt. Es sind keine konkreten Entwicklungsziele enthalten. Man hat beispielsweise im Leipziger Auwald zwar den Eisvogel aber nicht seinen Lebensraum geschützt, nämlich die Fließgewässer, die nicht getrübt sind, eine hohe Wasserqualität aufweisen und Steilufer haben. Sonst kann er nicht überleben. Das muss aber einmal irgendwo drinstehen.

Wir haben Probleme in den Naturschutzgebieten, überall. Zwar haben wir noch welche, aber ich habe vorhin schon gesagt: Einige mussten wir wieder einstellen.
Warum? Weil wir kein ordentliches Kontroll- und Betreuungsregime haben. Wenn sich keiner kümmert, wenn ich für ein solches Gebiet kein Entwicklungsziel habe, wenn ich nichts abfordere und kontrolliere, wo man steht, wie soll sich das Gebiet dann entwickeln? Die Gebiete sind einfach da, und wenn es sich dann nicht mehr lohnt, weil nichts Schützenswertes mehr darin ist, werden sie eben aus der Liste gestrichen. Aber das kann doch nicht die Antwort darauf sein.

Damit sind wir bei dem Thema: Wer kümmert sich darum? Freiwillige Helfer im Naturschutz — das haben wir in den Neunzigerjahren einmal mit großer Euphorie gestartet; da gibt es ein akutes Überalterungsproblem. Viele haben auch keine Lust mehr, sie sagen nämlich: Ich habe einfach keine Lust, immer nur den Rückgang von Biotopen zu kartieren. Da muss man einmal heran, diese Leute zu finden und wieder zu motivieren. Es geht also auch darum, die Gesellschaft mitzunehmen.

Es gibt ein paar sehr konkrete Fälle. Wir haben vorhin die Brutvögel angesprochen.
Wo leben denn manche? Ja, die bauen sich ein Nest im Baum. Jetzt hatten wir hier
2010 das Baum-ab-Gesetz. Da hieß es immer: Ja, das hat uns die FDP aufgedrückt.
Es ist aber einfach einmal an der Zeit, das zurückzunehmen — dann haben wir wieder Lebensraum, nicht nur für Vögel, auch für manchen Käfer, der dort im Baum lebt.

Flächenversiegelung, Landesentwicklungsplan: Das wollen wir nicht mehr. Täglich werden hier noch über acht Hektar versiegelt, das sind elf Fußballfelder — täglich. Wo versiegelt ist, kann kein Tier mehr leben. Wir brauchen einmal eine Strategie, wie wir da herauskommen. Das kann man nicht einfach so laufen lassen.

Ein weiteres Problem ist der Hochwasserschutz; darüber haben wir schon gestern debattiert. Hochwasserschutzkonzepte sind nahezu alle ohne eine strategische Umweltprüfung verabschiedet worden. Was hat das zur Folge? Wenn man sich
überlegt: Was haben wir denn geschützt? Das waren die FFH-Gebiete. Man hat gefragt, was es in Sachsen denn noch an relativ naturnahen Landschaften gibt. Das sind vor allem die Flusslandschaften, weil man dort eben nicht bis zum letzten Meter heranackern und bauen kann. Genau dort werden jetzt Hochwasserschutzmaßnahmen durchgeführt. Ich will mich nicht wiederholen, aber das ist fast ausschließlich technischer Hochwasserschutz.

Darin liegt ein riesiges Potenzial, nämlich endlich einmal Hochwasserschutz, Naturschutz und EU-Wasserrahmenrichtlinie zusammenzudenken und dort die Prioritäten maßgeblich zu verschieben. Dann haben wir nämlich nicht nur langfristig Geld gespart, weil das billiger ist und besser hält, sondern wir tun zugleich auch etwas für den Artenschutz an einer Stelle, an der es richtig brodelt: am Gewässerrandstreifen.

Zum Thema Biotopverbund: Das sollte 2015 passieren; ich kann nicht verstehen, warum da nichts ist. Wir haben dafür auch die früher bestehenden Vorkaufsrechte gestrichen. Es ist im Haushalt auch kein Geld dafür da. Das muss man anpacken.

Wolfram Günther, GRÜNE: Das mögliche Greening in der Landwirtschaft; da könnte man leider Tausende von Dingen miteinander aufrechnen. Was man sich einmal wünschen würde, wäre ein konkretes Heckenprogramm, Feldraine schaffen …

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.