Datum: 04. November 2020

Einschränkungen in Zeiten der Pandemie – Hammecke: In der Krise niemanden alleine lassen

Redebeitrag der Abgeordneten Lucie Hammecke (BÜNDNISGRÜNE) zur Regierungserklärung des Ministerpräsidenten Michael Kretschmer (CDU) zum Thema: "Füreinander Verantwortung übernehmen. Miteinander handeln."

16. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Mittwoch, 04.11.2020, TOP 1

Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Abgeordnete,
 
wir befinden uns in einer absoluten Ausnahmesituation. Einer Situation, die von uns allen Disziplin erfordert; eine Situation, die uns allen Einschränkungen aufgibt – ein unvorhergesehenes Ereignis erschreckenden Ausmaßes, das alle Menschen hier bei uns im Freistaat Sachsen trifft.
 
Und obwohl uns sprichwörtlich alle derselbe Sturm trifft, sitzen wir eben doch nicht alle im selben Boot.
 
Während für manche die Zeit der ersten starken Beschränkungen im März eine Zeit des Homeoffice, der Videokonferenzen und des Take-Away-Essens waren, hielt die Zeit für andere eben nochmal andere Herausforderung bereit – angefangen bei den Menschen, deren Arbeit nicht im Home Office verrichtet werden kann. Weitergemacht bei jenen, deren Arbeitsstätte vielleicht geschlossen wurde. Hin zu jenen, die auf dringend benötigte Hilfstrukturen nicht mehr einfach zugreifen konnten.
 
Auch und gerade in der Krise muss es unser alle Prämisse sein, niemanden alleine zu lassen. Gerade die Menschen, die vielleicht bereits vor der Krise auf Unterstützung angewiesen waren, dürfen wir jetzt nicht alleine lassen.
 
Eben diese besonders vulnerablen Gruppen, so heterogen und vielfältig wie sie sind, dürfen wir – bei allem, was über uns hereinbricht – eben nicht aus dem Blick verlieren, sondern müssen auf sie unseren besonderen Fokus legen.
 
Ein Thema haben wir im letzten Plenum bereits hier besprochen: häusliche Gewalt – Gewalt, die sich eben vor allen gegen Frauen richtet. Ich bin dankbar, wenn ich in Apotheken gehe und dort die gemeinsame Plakatkampagne des Sächsischen Staatsministeriums für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung und des Landesfrauenrats sehe. Weil ich hoffe, dass eben diese Plakate nicht nur ich sehe, sondern dass die Menschen, die diese Hilfe brauche, eben diese Nummern wählen und auf Hilfstrukturen zurückgreifen.
Ich bin dankbar, dass pandemiebedingte Mehrbedarfe im Bereich Schutz von Frauen, Kindern und Männern vor häuslicher Gewalt bereitgestellt worden.
 
Auch psychische Erkrankungen und Suchteerkrankungen sind für unsere Gesellschaft häufig Themen, über die lieber geschwiegen wird. Betroffene werden massiv stigmatisiert. Es ist essentiell, dass wir darüber sprechen. Denn psychische Krankheiten sind Teil der Lebensrealität vieler Menschen. Die Hilfsangebote, Beratungen und Therapiemöglichkeiten sind momentan geöffnet – das ist richtig und wichtig so – und sie müssen auch weiterhin gewährleistet werden.
 
Während die meisten Menschen in Zeiten der Kontaktbeschränkungen mehr Zeit bei sich zu Hause verbringen, gibt es für andere Menschen diese Möglichkeit gar nicht. Geschätzt sind in Deutschland 48.000 Menschen obdachlos. Die Versorgung von Obdachlosen in Notunterkünften ist auch in Pandemie-Zeiten unbedingt sicherzustellen, auch für nicht-deutsche Staatsbürgerinnen und Staatsbürger.
 
Wir müssen auch über Menschen in prekären Arbeitsbedingungen reden, die in der Corona-Krise entweder massive Einnahmebußen oder sogar ein Verbot ihrer Tätigkeit hinnehmen mussten. Meine Kollegin Dr. Claudia Maicher hat in ihrer Rede bereits auf die prekäre Situation der in der Kunst und Kultur Tätigen verwiesen. Ich möchte hier meinen Fokus noch einmal auf eine ganze andere Gruppe legen. Denn auch viele in der Prostitution Tätige gehören zu denen, deren Leben und Erwerbstätigkeit massiv von den Einschränkungen betroffen ist. Einige sind gezwungen, ihre Arbeit jetzt illegal und damit unter prekären und gefährlicheren Bedingungen weiterzuführen oder sind von Obdachlosigkeit bedroht. Hier braucht es Unterstützungsmöglichkeiten.
 
Auch Geflüchtete – besonders in Gemeinschaftsunterkünften oder Erstaufnahmeeinrichtungen – sind von dieser Krise besonders getroffen. Hier ist es wichtig, dass in den Unterkünften die Hygienestandards alle eingehalten werden, dass es genügend Quarantäneplätze und bei Bedarf psychologische Betreuung gibt. Aber auch bei der Frage von Integration darf es jetzt keinen Vollstop gehen. Es geht hier um die Frage von Integrations- und Sprachkursen, der Bildungsangebote für Kinder – die auch in der Krise möglichst aufrechterhalten werden müssen.
 
 
Sehr geehrte Damen und Herren,
 
auch die Aufzählung gerade ist nur ein kleiner Ausschnitt, ein kleiner Blick auf die Menschen, die jetzt besondere Unterstützung brauchen.
 
Ich glaube, uns allen ist die Relevanz sozialer Infrastruktur in dieser Zeit sehr bewusst. Es ist essentielle Infrastruktur, an der teilweise Existenzen hängen. Menschen sind auf die Öffnung und die Möglichkeit der niedrigschwelligen Zugänge dieser Angebote angewiesen. Das müssen wir uns auch zukünftig immer wieder ins Gedächtnis rufen.
 
Wir müssen Einsamkeit entgegenwirken. Unser aller Kommunikation zu den Kontaktbeschränkungen muss klar und zentral sein. Menschen müssen leicht verstehen, wo und mit wie vielen Personen sie sich treffen dürfen. Denn es gibt natürlich jene Menschen, über die wir zurecht viel reden, die sich nicht an die Beschränkungen halten. Aber es gibt auch jene, die sich aus Angst vor einer Weiterverbreitung, aus Angst eines Verstoßes völlig zu Hause isolieren.
Unsere Sprache kennt keine so niedliche Bezeichnung wie den „knuffelcontact“ im Belgischen, der zuletzt im Internet viel Aufmerksamkeit erhielt – aber um das Thema muss es auch bei uns gehen. Da sehe ich natürlich die Staatsregierung in der Verantwortung und die macht es auf der Internetpräsenz des Freistaates auch vorbildlich, niedrigschwellige Informationen bereit zu stellen. Aber ich sehe auch uns als Abgeordnete in der Pflicht, zu informieren, für Transparenz zu sorgen, Informationen, wo wir sie bekommen, weiterzuleiten.
 
Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
 
wir sprechen von Solidarität, die unser Handeln leiten muss. Die unser aller Handeln zugrunde liegt. Und das ist richtig und wichtig. Und genau deshalb ist es auch so wichtig darüber zu sprechen, dass wir eben die besonders vulnerablen Gruppen im Blick behalten, uns ihrer besonderen Bedürfnisse bewusst sind und uns bewusst sind, dass, auch wenn über uns alle derselbe Sturm hereinbricht, sich die Wetterfestigkeit unserer Boote stark unterscheidet.
 
 
Vielen herzlichen Dank!

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