Datum: 11. Juni 2020

Stasi-Aufarbeitung – Maicher: Es gibt noch viel zu tun

Redebeitrag der Abgeordneten Dr. Claudia Maicher zum „25. Tätigkeitsbericht für den Berichtszeitraum 1. Juli 2016 bis 30. Juni 2018″ (Unterrichtung durch den Sächsischen Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur) Drs 7/971 und Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Verfassung und Recht, Demokratie, Europa und Gleichstellung Drs 7/1973
10. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, 10. Juni, TOP 12
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident,
Lieber Herr Rathenow,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
in den letzten Wochen und Monaten mussten wir auf Demonstrationen gegen die coronabedingten Einschränkungen immer wieder Sätze hören wie „Das ist ja wie zu DDR-Zeiten!“.
Es wurde sich lautstark beschwert, dass man sich in der „DDR 2.0“ nicht frei bewegen und nichts mehr sagen dürfe. Es müsse sich aufgelehnt werden gegen die „Terrormaßnahmen“ der “verfassungsbrüchigen Regierung“. Und schon viel länger hören wir Beschwerden über die sogenannte „Merkel-Diktatur“.
Ich weiß nicht wie es Ihnen geht, aber mir stellen sich die Nackenhaare auf, ob solcher Vergleiche der aktuellen sicher nicht angenehmen und ja auch freiheitseinschränkenden Situation mit dem fundamentalen Unrecht, das die Menschen in Sachsen und der gesamten DDR jahrzehntelang ertragen haben, ertragen mussten.
Nun macht es unsere Demokratie aus, dass wir die Verbreitung solcher offensichtlichen Unwahrheiten und Diffamierungen als freie Meinungsäußerung aushalten.
Wir lassen sogar zu, dass politische Kräfte bis in die Parlamente hinein gezielt gesellschaftliche und politische Zustände herbeireden, die geprägt seien von Repression, Ungleichheit und Autoritarismus – und das alles ohne irgendeine Tatsachengrundlage.
Die Menschen, die sich auf den Demonstrationen versammeln und ihre sachlich unrichtige, diffamierende Meinung frei geäußert haben, waren und sind dabei umfassend durch das Grundgesetz geschützt – vor Störungen durch Dritte, aber vor allem vor staatlichen Repressionen. In einer Diktatur wären sie das sicher nicht.
Lieber Herr Rathenow, es tut mir leid, aber sie und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben, genauso wie die vielen Akteurinnen und Akteure der DDR-Aufarbeitung, Demokratie- und Bildungsarbeit, noch sehr viel zu tun.
Denn offensichtlich ist bei einigen eben doch noch nicht angekommen oder nicht mehr präsent, was in den Jahren zwischen 1945 und 1989 in der sowjetischen Besatzungszone beziehungsweise der DDR passiert ist.
Offensichtlich erkennen leider immer noch viel zu viele Menschen nicht, wenn sich echte Unrechtsstrukturen wie z.B. in Ungarn oder Brasilien entwickeln oder was es heißt, wenn ein Land auf eine echte Diktatur zusteuert.
Und offensichtlich verkennen diese Menschen – oder wollen es verkennen -, dass sie in einem freien, demokratischen Land leben.
Vor diesem Hintergrund kann man gar nicht oft genug betonen, wie wichtig und notwendig die Arbeit des Landesbeauftragten zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Herr Rathenow und seines Teams, sind. Dafür möchte ich Ihnen im Namen der BÜNDNISGRÜNEN Fraktion herzlich danken.
Der Berichtszeitraum ist dieses Mal ein besonderer und auch wenn er schon einige Zeit vorüber ist, lohnt sich die Betrachtung. Er war geprägt durch die Angliederung der Behörde des Landesbeauftragten an den Sächsischen Landtag.
Ich freue mich im Bericht zu lesen, dass sich die Gedanken, die sich die heutigen Koalitionspartner damals gemacht haben, tatsächlich positiv auf die Arbeit der Behörde des Landesbeauftragten auswirken.
Ein kleines aber wichtiges Detail ist zum Beispiel die bessere Mobilität des Landesbeauftragten und damit die verbesserte Wirksamkeit in ganz Sachsen. So ist es dem Team, durch die Nutzung des Landtagsfahrdienstes, leichter möglich, Beratungen vor Ort auch in schwer erreichbaren Regionen Sachsens anzubieten.
Und es zeigt sich: die Tätigkeit des Teams des Landesbeauftragten gerade in den sächsischen Regionen gewinnt erheblich an Bedeutung. Das liegt nicht nur am zunehmenden Alter der zu Beratenden und Hilfesuchenden und der damit einhergehenden eingeschränkten Mobilität.
Auch die Forschung sowie Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit sollte viel mehr in die Fläche getragen werden können. Das DDR-Unrecht in Sachsen hat sich nicht auf Dresden, Chemnitz, Leipzig konzentriert. Also ist es nur logisch, dass die Aufarbeitung und Gedenken auch nicht nur hier stattfinden. Es gilt die Kooperationen des Landesbeauftragten mit den Gedenkstätten in der Fläche zu intensivieren.
Ich denke da neben den Gedenkstätten Bautzen und Geschlossener Jugendwerkhof Torgau besonders an den Lern- und Gedenkort Kaßberg Gefängins und Frauengefängnis Hoheneck.
Beeindruckt war ich von der Beratungsoffensive Anfang 2018 in den Kommunen, die laut dem Bericht auf sehr große Resonanz stieß. Sie wurde vor dem Hintergrund des drohenden Auslaufens der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze gestartet. Die damaligen Unsicherheiten über die Zukunft der Rehabilitation für die Opfer wurden mittlerweile beseitigt. Aber die Resonanz zeigt, wie notwendig die Beratungsangebote für die unmittelbar Betroffenen, aber auch für ihre Angehörigen, sind.
Der Bericht stellt es klar heraus: Es geht zukünftig zusätzlich zu den Beratungen bei Rehabilitationsansprüchen oder die Einsicht in Stasiakten um weitere Aufgaben und Themen. Zunehmend vor allem um Biografieklärung und die Aufarbeitung von Familiengeschichten.
Und jeder Tätigkeitsbericht des Landesbeauftragten bringt neue Themenfelder der Aufarbeitung hervor, die noch gar nicht systematisch beleuchtet wurden. In diesem Berichtszeitraum rückten zum Beispiel das DDR-Staatsdoping oder politisch motivierte Adoptionen in den Fokus. Diese Themen können nur aufgedeckt und aufgearbeitet werden, wenn die Opfer auf leicht zugängliche Beratungsangebote stoßen und der Landesbeauftragte in ganz Sachsen präsent sein kann.
Mit der höheren Mobilität, mit dem Ausbau von Vor-Ort-Beratungen, mit neuen Kooperationen auch mit Kulturschaffenden zur Erfahrbarmachung von Unrechtsgeschichte und den neu zu bearbeitenden Themenfeldern steigt nicht nur der quantitative Personalbedarf der Behörde des Landesbeauftragten. Ich hoffe, wir als Haushaltsgesetzgeber können sie hierbei unterstützen.
Wichtig finde ich auch den Vorschlag des Landesbeauftragten, psychotherapeutische Kompetenz in das Beratungsteam zu bringen. Menschen bei der Aufarbeitung ihrer eigenen Biografie oder ihrer Familiengeschichte zur Seite zu stehen und ihnen damit für ihr jetziges und zukünftiges Leben zu helfen, ist das täglich Brot von Psychotherapeuten.
Warum sollen diese Kompetenzen nicht auch in der Beratung von Opfern staatlicher Maßnahmen in einer Diktatur richtig sein?
Diese Kompetenzen sind auch in der Bildungsarbeit wertvoll, wenn die Förderung von Empathie Opfern und ihrer Lebensgeschichte gegenüber gefördert werden soll. Das scheint mir ein wichtiger Ansatz nicht nur in der Bildungsarbeit zur DDR-Geschichte zu sein.
Zum Schluss bleibt mir nur noch zu sagen:
Lieber Herr Rathenow, Liebe Frau Dr. Aris, Liebes Team des Landesbeauftragten: Ich danke Ihnen für Ihre vielschichtige Arbeit. Machen sie bitte weiter so. Wir wissen das sehr zu schätzen.