20 Jahre Deutsch-Tschechische Erklärung − Maicher: Grenzen nicht wieder entstehen lassen

Rede der Abgeordneten Claudian Maicher (GRÜNE) zur Aktuellen Debatte der Fraktionen CDU und SPD zum Thema: ’20. Jahrestag der deutsch-tschechischen Erklärung – Europa basiert auf guter Nachbarschaft‘
48. Sitzung des Sächsischen Landtags, 01. Februar 2017, TOP 2

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrte Frau Präsidentin,
sehr geehrte Abgeordnete,

20 Jahre Deutsch-Tschechische Erklärung. Das ist eine Erfolgsgeschichte. Deutschland und und die Tschechische Republik haben darin nicht nur den Status-quo der Beziehung zueinander festgehalten – selbst das Einvernehmen darüber war aus damaliger Sicht bereits eine wichtiger Schritt. In die Zukunft gerichtet, haben beide Seiten in der gemeinsamen Erklärung vielmehr einen tiefer gehenden Prozess des Austauschs angestoßen. Die Erklärung ist heute ein wichtiger Baustein, der dazu beitragen konnte, das deutsch-tschechische Verhältnis im Europa der Nachwendezeit auf politischer Ebene zu entkrampfen. Es ging beiden Länder auch um ein Bekenntnis für die jeweilige Verantwortung über die gemeinsame Geschichte.

Fußend in der Aufarbeitung hat es die Deutsch-Tschechische Erklärung geschafft, über den Prozess der Versöhnung zu einem gestalterischen Miteinander beider Seiten beizutragen. Besonders hervorzuheben ist dabei die Gründung des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds als konkrete Vereinbarung in der Erklärung.

Im Rahmen des Zukunftsfonds konnten seither mehr als 9.400 kleine und große Projekte zwischen beiden Ländern realisiert werden: Sprachaustausche, Geschichts- und Politikdiskurse, Sozial- und Umweltschutzprojekte, Gemeindepartnerschaften, Stipendien, die vielfältige Zusammenarbeit und der Austausch von Künstlerinnen und Künstlern. Verstärkt steht bei diesen Projekten im Mittelpunkt, die deutsche und tschechische Zivilgesellschaft zusammenzubringen. Hierauf wurzelt das Zusammenleben in guter Nachbarschaft schließlich.

Schauen wir beispielhaft auf interkulturelle Austausche, die der Deutsch-Tschechische Zukunftsfond bisher ermöglicht hat. Für Lehramtsstudierende aus dem deutsch-tschechischen Grenzgebiet wurde beispielsweise ein Austausch realisiert, in dem die angehenden Lehrerinnen und Lehrer im Sprachunterricht für AsylbewerberInnen im Nachbarland hospitierten. Die Erfahrungen sind in mehrfacher Hinsicht ein interkultureller Schlüssel zum Zusammenleben. Mit diesem Ansatz wirkt das Projekt weit über das bilaterale Verständnis zwischen Deutschen und Tschechen hinaus.

Oder das Beispiel der bildenden Künstlerinnen und Künstler aus Tschechien und Deutschland. Sie haben sich in Autorencomics den Themen Flucht, Grenze und illegaler Grenzübertritt gewidmet. Im Rahmen dieses Projektes entstand eine gemeinsame Ausstellung, die sowohl in Tschechien, als auch in Deutschland zu sehen war.

Die Bilanz des Zukunftsfonds ist positiv. Eine langfristige finanzielle Perspektive sollte nicht nur in Aussicht gestellt, sondern verbindlich vereinbart werden. Leider endet die vage Andeutung zur langfristigen Finanzierung über 2017 hinaus auch mit dem Auslaufen des Koalitionsvertrags von CDU und SPD zum Ende der laufenden Bundestagslegislatur.

Während wir heute auf Antrag der CDU/SPD diese Debatte über gute Nachbarschaft zwischen Sachsen und Tschechien führen, versetzt einem der immer wieder angeschlagene Ton aus den Reihen der CDU Sachsen in andere Zeiten zurück. Leider reden ihre Vertreter sehr gern, sehr oft, sehr ausgiebig über die Themen Grenzkriminalität, Drogenschmuggel, Einbrüche, Kfz-Diebstähle und fordern deshalb die Einführung verstärkter Grenzkontrollen und das Ende offener Grenzen zu unseren Nachbarn.

Herr Kollege Schiemann, ich darf sie zitieren (30.01.2017): "Es nützt nichts, die Haustür geschlossen zu halten, wenn die Hoftür offen steht."
Sachsens Innenminister Markus Ulbig hat die Wiedereinführung der Grenzkontrollen 2015 im Schengenraum begrüßt. Es sei "eine richtige Entscheidung" gewesen. Man darf "nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen". Sie wollten das Schengen-Abkommen aushebeln.

Aber das gute bilaterale Verhältnis von Tschechien und Sachsen und das Zusammenwachsen im gemeinsamen Haus Europa gehen Hand in Hand. Der EU-Beitritt der mittel- und osteuropäischen Staaten 2004, darunter Tschechiens und der Slowakei, sowie der Wegfall der ständigen Grenzkontrollen 2007 waren doch eine Freude, ein Erfolg. Das bedeutet auch, Grenzen nicht wieder entstehen zu lassen. Eine enge behördliche Zusammenarbeit bei freiem Grenzverkehr ist notwendig. Für Sachsen ist das Jubiläum der Deutsch-Tschechischen Erklärung zudem Auftrag, grenzüberschreitende Projekte stärker voranzutreiben. Auch im Alltag.

Die Nachricht der Kultusministerin vor zwei Wochen, dass immer mehr junge Sachsen Tschechisch lernen hat mich natürlich sehr gefreut. Ich wünsche mir allerdings, dass die Schülerinnen und Schüler in Sachsen auch flächendeckend – und nicht nur in den Grenzregionen – die Möglichkeit erhalten, die Sprache unseres Nachbarlandes lernen zu können. In Leipzig bietet kein einziges Gymnasium diese Fremdsprachen an.

Oder schauen wir auf ein anderes Thema, dass Sachsen und die Tschechische Republik gleichermaßen auf der Agenda haben sollten. Denn auch unsere Nachbarn stehen vor der Herausforderung, den ohnehin ins Haus stehenden Strukturwandel für die Kohleregionen einzuleiten. Anstatt den Braunkohleausstieg weiter zu verschleppen, ist es für die Staatsregierung Zeit, jetzt über die Einhaltung der EU-Klimaziele bis 2030 und Strategien zu reden, wie Sachsen und Tschechien gemeinsam den Umstieg auf 100 % Erneuerbare schaffen.

Herzlichen Dank.

» Alle Redebeiträge der GRÜNEN-Fraktion » Alle Infos zur 48./49. Landtagssitzung