Seiteneinstieg/Qualität des LehrerInnenberufs − Zais: Seiteneinstieg muss künftig besser begleitet und qualifiziert werden

Rede der Abgeordneten Petra Zais zum Antrag der Fraktion GRÜNE:
"Qualität des LehrerInnenberufs sichern – Erfolg des Seiteneinstiegs nicht dem Zufall überlassen“ (Drs 6/11193)
67. Sitzung des Sächsischen Landtags, 1. Februar, TOP 9

– Es gilt das gesprochene Wort –

Sehr geehrter Präsident,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,

seit Jahren beschäftigt uns GRÜNE das Thema Seiteneinstieg in den sächsischen Schuldienst. So fragten Grüne Abgeordnete seit 2009 regelmäßig dazu an. Im Jahr 2009 ging es um die Voraussetzungen für den Seiteneinstieg in den sächsischen Schuldienst. Kollege Wöller wird sich vielleicht an die von ihm erteilte Antwort erinnen. Dort steht: „Grundsätzliche Voraussetzung für eine Einstellung als Lehrkraft in den sächsischen Schuldienst ist der Abschluss der Ersten und Zweiten Staatsprüfung für ein Lehramt mit Lehrbefähigung in mindestens zwei Fächern oder eine vergleichbare Lehrerausbildung. Eine Einstellung ohne einen derartigen Abschluss kommt nur in Ausnahmefällen […] in Betracht“ . Soweit 2009.

2013 fragte Frau Giegengack zur Einstellung von BewerberInnen ohne abgeschlossene Lehrerausbildung und wurde auf die angedachte Einrichtung einer berufsbegleitenden Qualifizierung für Seiteneinsteiger hingewiesen bei – "Entstehung eines entsprechend großen Bedarfs". Ansonsten war alles easy. Nein – nicht ganz.

Da war der damalige Kultusminister Wöller schon zurückgetreten, aus den Reihen der CDU Fraktion wurden Sparzwänge und mangelnder demografischer Vorsorge beklagt. Gehandelt wurde nicht oder nur zögerlich, immer wurden zuerst die größten Lücken geschlossen, es war keine Langfriststrategie erkennbar – die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit im Bereich der Lehrergewinnung blieb zunehmend auf der Strecke.

In der Antwort auf meine Anfrage zur Einstellung von BewerberInnen ohne abgeschlossene Lehrerausbildung zum Schuljahr 2015/16 änderte sich die Tonlage. Jetzt ist "der Seiteneinstieg in den Schuldienst möglich, – Zitat: „wenn ein Einstellungsbedarf besteht, der nicht vollständig mit grundständig ausgebildeten Lehrkräften abzudecken ist“.

Aber was verbirgt sich hinter den Formulierungen tatsächlich?

In den Schuljahren 2005/06 bis 2009/10 ist die Zahl der Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteiger nie dreistellig gewesen und lag in Prozentpunkten, gemessen an allen Einstellungen, zwischen knapp 5 und 14 Prozent. Von 475 Einstellungen im Schuljahr 2007/08 zum Beispiel, vor genau 10 Jahren, hatten nur 22 eingestellte Lehrkräfte keine pädagogische Ausbildung, wobei fast alle entsprechenden BewerberInnen, nämlich 19, an berufsbildenden Schulen eingesetzt wurden.

Im fachpraktischen Unterricht der Berufsschulen lässt sich über den Begriff „Seiteneinsteiger“ natürlich trefflich streiten. Im Einstellungsverfahren für das aktuelle Schuljahr 2017/18 hingegen gab es 1.401 zu besetzende Stellen. Von den insgesamt 3.166 Bewerberinnen und Bewerbern hatten nur 1.160 ein Lehramtsstudium absolviert, 2.006 Interessenten bewarben sich ohne grundständige Lehramtsausbildung. 720 SeiteneinsteigerInnen wurden letztlich eingestellt – und damit erstmals mehr als grundständig ausgebildete Lehrkräfte.

Damit, werte Kolleginnen und Kollegen, ist die bisherige Ausnahme zur Regel geworden. Und weil das so ist, ist es aus Sicht meiner Fraktion dringend geboten, sich auch parlamentarisch mit dem Thema zu befassen und dem Seiteneinstieg die dringend gebotene Aufmerksamkeit zu schenken.

Grundsätzlich scheint darüber Einigkeit zu herrschen. So war in der Freien Presse vom 12.01. zu lesen: Kultusminister Christian Piwarz – Zitat – „nannte die Seiteneinsteiger ‚im Moment wichtig‘, um die Lehrerversorgung zu sichern. ‚Es ist unsere Pflicht, sie, so gut es geht, in das System Schule hineinzubringen, damit sie möglichst schnell gleichwertige Kollegen sind und auch im Lehrerzimmer keine Unterscheidung mehr vorgenommen wird‘, sagte Piwarz“ – Zitat Ende.

Ähnlich formuliert es das Institut für Mittelstands- und Regionalentwicklung GmbH in ihrem „Faktenblatt zur aktuellen Lehrerdiskussion in Sachsen“ – Zitat: „Zur Deckung des Lehrerbedarfs ist Sachsen kurz- bis mittelfristig im Saldo auf Absolventen anderer Bundesländer oder Seiteneinsteiger angewiesen.“ Und weiter: „Seiteneinsteiger sind besser als ihr Ruf und müssen adäquat unterstützt werden“ – Zitat Ende.

Wir sind uns also grundsätzlich darin einig, dass es Handlungsbedarf gibt. An dieser Stelle möchte ich vorsorglich einem Vorwurf begegnen, der mitunter laut wird, nämlich die Dinge schlecht reden oder die Lehrerschaft spalten zu wollen.

Wenn man unseren Antrag aufmerksam liest, und ich gehe davon aus, dass Sie das getan haben, werte Kolleginnen und Kollegen, wird man feststellen, dass das mitnichten die Intention ist. Das Gegenteil ist der Fall. Wir wollen nicht spalten, sondern Brücken bauen, Wege aufzeigen und Stolperfallen ausräumen. Nur weil ich Unterschiede, etwa in der Qualifikation oder der Bezahlung zwischen grundständig ausgebildeten Lehrerinnen und Seiteneinsteigern, nicht benenne, heißt das doch nicht, dass diese Unterschiede nicht da sind.

„Die Einladung für die Einstiegsqualifizierung wird mir bis zur 8. KW zugestellt. Der Kurs geht drei Monate, danach werde ich in meiner Schule zunächst voll eingesetzt. Innerhalb von drei Jahren muss ich mit der berufsbegleitenden Qualifizierung beginnen, einen Rechtsanspruch auf einen Studienplatz gibt es nicht, weswegen es durchaus länger dauern kann bis man mit dem Studium beginnen kann. Ein Fach bekomme ich nicht anerkannt, das habe ich aber auch nicht erwartet. Die Kommunikation mit der SBA hätte ich mir etwas intensiver gewünscht. Wirklich gut informiert fühle ich mich nicht, vielen Infos und dem aktuellen Stand habe ich hinterher telefoniert. Ich freue mich schon sehr auf meine Schule, das Studium und die Kinder. Mehr kann ich jetzt erstmal nicht sagen..
Da du kein Fach anerkannt bekommen hast, hoffe ich das man dir mitgeteilt hat, dass es nicht bei einer Qualifizierung bleibt. Das bedeutet 2 Jahre studieren (Grundschuldidaktik) und im Anschluss nochmal mindestens 2 Jahre ein extra Studium im Fach höhere Mathematik oder Germanistik + einem anschließenden 1 jahrigen Referenderiat. Das bedeutet nochmal mindestens 5-6 Jahre an der Uni und Teilzeitbezahlung bei voller beruflicher Belastung an der Schule. Das ist die Realität für alle in Sachsen ohne Fach, bei einer Bezahlung mit E9. Die Belastung in dieser Zeit liegt bei mindestens 50-60h pro Woche (inklusive Klausuren, Hausarbeiten, Klassenleitertätigkeit)

Die Unterschiede werden nicht dadurch egalisiert, dass man sie nicht benennt. Wir sind es allen Beteiligten: den Schülerinnen und Schülern und deren Eltern, den Lehrerinnen und Lehrern und den Seiteneinsteigerinnen und Seiteneinsteigern schuldig. Wir sind verantwortlich dafür, guten Unterricht zu gewährleisten und die geleistete Arbeit und den Lehrerberufs insgesamt anzuerkennen und wertzuschätzen. Und so möchte ich unsere Initiative auch verstanden wissen.

Wenn Sie Leute aus der Praxis fragen, bekommen Sie zum Thema Seiteneinstieg durchwachsene Rückmeldungen. Mitunter fällt das Urteil vernichtend aus. Seiteneinsteiger fühlen sich ins kalte Wasser geworden. Sie klagen über sinnlose Doppelprüfungen an den Hochschulen wenn sie die berufsbegleitende fachliche Qualifizierung machen. Schülerinnen klagen über ungerechte Benotung durch „Neu-Lehrer“. Mentoren beschweren sich über zu wenig Zeit für die geforderte und nötige Beratung und Betreuung für die neuen Kollegen.

Schulleiter sind dankbar über Verstärkung, müssen gleichzeitig aber zu Beginn des Schuljahres und tageweise im laufenden Schuljahr auf die neue Kraft verzichten, weil diese für die Einstiegsfortbildung oder berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen freigestellt ist. Zur Erinnerung: Das alles sind keine Argumente für oder gegen Seiteneinsteigerinnen, sondern Hinweise, was besser laufen muss. Und auch wenn kleinste Besserungen in Sicht sind: Das Thema Seiteneinstieg brauch eine professionelle Begleitung und es brauch die Kontrolle durch das Parlament. genau da setzt unser Antrag an. Wir wollen, dass die Handlungs- und Steuerungsfähigkeit in diesem Feld zurückgewonnen wird.

Wir wollen zunächst ein regelmäßiges Lagebild und ein komplexes Monitoring: Wie viele Seiteneinsteiger wurden eingestellt? Wie viele befinden sich in Weiterbildung? Sind die von den Hochschule zur Verfügung gestellten Ressourcen ausreichend? Wie viele sind – vor allem auch aus welchen Gründen – bereits wieder aus dem Schuldienst ausgeschieden? (Immer diese lapidare Antwort, man wüsste nichts über die Gründe …

Und natürlich auch die Frage, wie das Mentoring an den Schulen und die Qualifizierungsphasen organisiert sind.

Weiterhin brauchen wir dringend eine bessere Koordinierung für den Seiteneinstieg, um die Bemühungen um die „Neu-Lehrer“ zu bündeln und zu intensivieren. Was ist beispielsweise mit Studentinnen und Studenten, die in Fachrichtungen eingeschrieben sind, die an den Schulen dringend benötigt werden? Diese müssten schon im Studium angesprochen und auf einen möglichen Wechsel in ein Lehramtsstudium hingewiesen werden. Dann muss man auch den Wechsel erleichtern und die Wechselwilligen nicht mit überflüssigen Doppelprüfungen malträtieren. Auch deshalb sehen wir das Thema LehrerInnen und Seiteneinstieg als eine Sache des gesamten Kabinetts und insbesondere eine Sache von Kultus und Hochschule.

Vielfach ist die Ansprache potenzieller Seiten- oder auch Quereinsteiger noch nicht zielgruppenspezifisch genug. Und es müssen mehr Zielgruppen erschlossen werden. An dieser Stelle ist das Kultusministerium seiner Führungsverantwortung aus meiner Sicht bisher nur unzureichend nachgekommen. Das Monitoring des Seiteneinstiegs muss konsequent umgesetzt werden. Das muss in enger Abstimmung mit dem Ministerium für Wissenschaft und Kunst erfolgen, damit letztlich die Qualifizierung stimmt.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die Abwehr in den Lehrerzimmern gegenüber den SeiteneinsteigerInnen war zunächst groß. Insbesondere im Schuljahr 2016/2017 wurde viel getan, um diese auch begründeten Vorbehalte abzubauen. Wenn jetzt die Ausnahme zur Regel wird, brauchen wir ein deutliches Signal an die Eltern, LehrerInnen und Schüler, dass wir diesem Prozess nicht dem Zufall überlassen.

» GRÜNER Antrag ‚Qualität des LehrerInnenberufs sichern – Erfolg des Seiteneinstiegs nicht dem Zufall überlassen‘ (Drs 6/11193) https://www.lehrerforen.de/thread/45238-seiteneinsteiger-in-sachsen-gesucht/  » Alle Infos zum 66./67. Plenum » Alle GRÜNEN Reden