Datum: 12. Februar 2007

PM 2007-46: Von nachhaltiger Energiepolitik hat Herr Milbradt keinen blassen Schimmer

Die Fraktionsvorsitzende der GRÜNEN im Sächsischen Landtag, Antje Hermenau, kritisierte in ihrer Rede auf dem Parteitag der sächsischen GRÜNEN in Chemnitz scharf die Klimapolitik der Regierunskoalition:
Diese Woche wurde es amtlich: es kommt schlimmer als angenommen mit dem Klima und nur unter größten Anstrengungen lässt sich das Schlimmste – eine Klimaerwärmung um fast 6 Grad in diesem Jahrhundert – vielleicht noch verhindern! Und das Erstaunlichste dabei ist – vorbeugende Anstrengungen kommen ökonomisch günstiger als Katastrophennachsorge. Das küsste letzte Woche nun auch noch den letzten Klimafrosch medial wach –  an den dicken Seiten der BILD zum Klimawandel kam keiner mehr vorbei.
Und trotz all diesen Rummels bleibt am Ende die nüchterne Erkenntnis: die weltweite Resonanz auf den Bericht des Klimarates der UN war enttäuschend. Eine gewisse Sensationslust (mehr Naturkatastrophen – wie aufregend) und eine erschreckende Blauäugigkeit (Malle an der Ostsee und Zitronen auf dem Balkon – geil) griffen schnell um sich.
Nun bin ich weit davon entfernt, mit Ökoalarmismus all diejenigen zu vertreiben, die wir jetzt vielleicht endlich für unsere Politik gewinnen können, aber es macht mich wütend, wenn der sächsische Ministerpräsident als Reaktion auf den Bericht eine „ideologiefreie Diskussion über die Atomkraft“ forderte. Ich glaube, viel plumper kann man sich als Politiker nicht aus der eigenen Verantwortung stehlen. Da hat man in den letzten Tagen selbst von George Bush Intelligenteres zum Thema gehört! In nachhaltiger Finanzpolitik ist Herr Milbradt unbestritten ein As, von nachhaltiger Energiepolitik hat er offenkundig keinen blassen Schimmer.
Jeder, der sich mit dem Thema Klimawandel etwas intensiver auseinandergesetzt hat, weiß, dass die Atomkraft auch dann keinen nennenswerten Beitrag zur Reduktion der Treibhausgase leisten könnte, wenn sie gesellschaftlich akzeptiert wäre. Im Mittelpunkt der politischen Diskussionen sollte die Frage stehen, was wir an dem Platz, an dem wir stehen, gegen den Klimawandel unternehmen können. Und da sollte einem Ministerpräsidenten eines Landes, dessen CO2 –Ausstoß pro Kopf zu den weltweit höchsten zählt, ein paar andere Dinge einfallen. Erst vor kurzem wurde ein weiteres Kohlekraftwerk in Boxberg genehmigt, dass nach dem alten Stand der Technik bis in die Mitte dieses Jahrhunderts hinein CO2 emittieren wird. Da hätten wir Sachsen auf Energieeffizienz und Energieeinsparung neben den Erneuerbaren Energien setzen sollen, statt eine weitere Dreckschleuder zu erlauben!
Im letzten Jahr hat der Wirtschaftsminister, Thomas Jurk, angekündigt, er werde noch im Jahr 2006 ein neues Energieprogramm für Sachsen vorlegen. Mittlerweile haben wir aus der Presse erfahren, dass der Entwurf dieses Programms schon seit Monaten vorliegt, aber im sächsischen Kabinett blockiert wird. Es ist nicht so, dass wir uns von diesem Entwurf klimapolitische Wunder versprechen, etwas besser als das alte aus CDU-Alleinregierungszeiten sollte er schon sein. Aber selbst die kleinen Schritte für ein Mehr an Klimaschutz, für eine etwas bessere Energiepolitik – selbst diese kleinen Schritte werden in Sachsen in der Koalition blockiert. Diese Koalition veranstaltet ein Kasperletheater: Die SPD haut mutig in die Tasten und spielt sich als Klimaretter auf, dabei hat Herr Jurk Boxberg zugestimmt und der Braunkohle verspricht er in Sachsen noch viele Jahre lang eine hohe Bedeutung. Dieser Koalitionsstreit ist offensichtlich ein inszenierter Sturm im Wasserglas. Die SPD versucht zurzeit sehr auffällig, grüne Themen zu besetzen und uns für überflüssig zu erklären. Ihnen steht das Wasser politisch offensichtlich bis zum Hals. Für NRW hat sich die SPD auch nach dem Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ verhalten und der Steinkohle Subventionen bis 2018 erkämpft – das wurde selbst dem sozialdemokratisch angehauchten Herrn Rüttgers zuviel. Schlimmer geht’s nimmer. Das alles erinnert mich stark an die seit 30 Jahren laufende Rentendebatte. Da ist man auch kaum in der Substanz vorangekommen, aber die Politik hat dauernd General- und Jahrhundertreformen der ach so sicheren Rente vorgenommen… Dem Klima könnte ein ähnliches Schicksal in der deutschen Politik drohen, wenn, ja wenn, wir Grünen nicht die taktische Lage erkennen und angemessen darauf reagieren.
Wir dürfen uns die erkämpfte Definitionshoheit im Bereich Umwelt- und Klimapolitik nicht mit laschen Parolen und künstlichen Koalitionskrisen abluchsen lassen. Jetzt ist hier in Sachsen endlich die Zeit angebrochen, dass man nicht mehr nur Wirtschaft und Arbeitsplätze als existentielle Fragen diskutiert, sondern auch die Umweltfragen. Darauf haben wir lange warten müssen. Umso mehr gilt für uns alle: ran an den Bürger. Aufklärung tut not. Viele praktische Vorschläge werden gebraucht. Wir müssen den Leuten Mut zur erneuten Veränderung machen! Und wenn wir ganz gut sind, sogar Lust darauf!
Eine Vollversorgung aus 100 Prozent Erneuerbare Energien ist möglich unter der Voraussetzung, dass wir Energie sparen und Energie effizient einsetzen. In diese Richtung müssen jetzt die Weichen gestellt werden. Effizienz, Einsparung und Erneuerbare – das ist der neue Dreiklang in der
Energie- und Klimapolitik. Manche Techniken wie das Null-Energie-Haus mit solarer Warmwasserbereitung sind heute schon verfügbar. An anderen müssen wir arbeiten. Und diese Technologien müssen für die breite Masse bezahlbar sein. Eine große Herausforderung auch für den Technologie-Standort Sachsen. Wie weit kann man mit einem Liter Kraftstoff fahren?  Das Team „fortis sa onia“ von der TU Chemnitz kam mit einem Liter Benzin beim Eco-Marathon in Frankreich 1742 Kilometer weit. Ja, ihr habt richtig gehört 1742 Kilometer mit einem Liter Treibstoff. Das ist High-Tech für die Zukunft hier von der TU Chemnitz. Mit einem Porsche Cayenne kommt man mit einem Liter Treibstoff gerade mal 7 Kilometer weit.
Der Chef der Staatskanzlei, Herrn Winkler, nannte die Vorschläge aus Brüssel eine „EU-Geisterfahrt“, die sächsische Arbeitsplätze in der Automobilindustrie gefährde. Soviel Dreistigkeit lässt auch eine erfahrene Politikerin wie mich etwas ratlos zurück.
Diesen klimapolitischen Gartenzwergen möchte ich ins Stammbuch schreiben:
Das Gegenteil ist richtig. Eine vernünftige Klimaschutzpolitik gefährdet keine Arbeitsplätze, sondern sie schafft neue, sichere Arbeitsplätze. Solche Arbeitsplätze sind überall in Sachsen zu besichtigen, einige Tausend allein hier im Regierungsbezirk  Chemnitz. Aber die Gleichung Klimaschutz schafft Arbeitsplätze beschränkt sich nicht allein auf die Erneuerbaren Energien. Die Autos von morgen, das ist sicher, sind solche, die weniger Treibstoff verbrauchen. Zu viel Umweltschutz, das ist keine Gefahr für die Autoindustrie. Zu wenig Umweltschutz – eine solche Politik wird über kurz oder lang Arbeitsplätze gefährden.
Auf Bundesebene hat das die Union übrigens auch schon begriffen. Im neuen Grundsatzprogramm ist von 25 Prozent Stromerzeugung bis 2025 und von 50 Prozent Primärenergie aus Erneuerbaren Energieträgern die Rede. Alle reden von Energiepolitik beim Thema Klimawandel und der sächsische MP redet vom ganzjährigen Tourismus im Erzgebirge, weil der Schnee ausbleibt. Der Klimawandel ist doch nicht plötzlich und von höherer Gewalt über uns hereingebrochen wie eine biblische Heimsuchung! Wir sind da als Menschheit sehenden Auges hineingelaufen.
In der Union – auch in der sächsischen – wird immer unheimlich viel von Werten schwadroniert – aber das es in der Zuspitzung bei unserem täglichen Verhalten darum geht, der Erde, unseren Mitgeschöpfen und den uns nachfolgenden Generationen den ihnen gebührenden Respekt zu erweisen, da endet die Wertedebatte unvermittelt. Viele Kinder sollen geboren werden – in welche Welt hinein, interessiert dann nicht mehr. Ich finde das unverantwortlich und bigott. Lasst lieber uns eine Wertedebatte führen – da kommt vielleicht mehr dabei raus.
Solche kollektive Unverantwortlichkeit, wie wir sie in der letzten Wochen bei der Diskussion über die Folgen des Klimawandels erlebt haben, macht mich wütend. Wie soll ich meinem kleinen Sohn all die Unvernunft schildern, die unsere Zeit prägt, wenn er mich später einmal danach fragen wird?
Der Klimawandel wird die Verteilungskämpfe brutalisieren: entwicklungspolitische Erfolge der letzten Jahrzehnte werden zunichte gemacht werden. Die Welt wird wieder unsicherer werden – innen- und außenpolitisch. Waren wir gerade noch damit beschäftigt, die ökologische Frage mit der ökonomischen zu verknüpfen, müssen wir sie nun deutlich mit der sozialen in Verbindung setzen. Viele werden nicht die materiellen Möglichkeiten haben, mit den Folgen des Klimawandels umzugehen, sondern ihnen brutal ausgeliefert sein.
Liebe Freundinnen und Freunde, ich möchte Euch abschließend bitten, dass wir gemeinsam an der Klimapolitik für den Freistaat Sachsen weiter arbeiten. Wir haben dazu in der Fraktion ein erstes Programm aufgestellt und brauchen Eure tatkräftige Unterstützung. Am 2. März findet dazu ein internes Arbeitstreffen statt. Klimaschutz – das ist eine Aufgabe globaler Dimension. Klimaschutz fängt aber auch zu Hause an. Klimaschutz ist Sache der Kommunen, Klimaschutz gehört ins Zentrum der Landespolitik. Wo immer über den Klimawandel und die richtige Politik gestritten wird, ich wünsche mir, dass Mitglieder von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN  dabei sind, sachkundig wie engagiert. Wir haben die besseren Konzepte, wir sind länger dran am Thema.
Wenn wir die Definitionshoheit behalten wollen, müssen wir einerseits volkstümlich und einfach in der Breite aufklären und die nun geweckte Neugier produktiv befriedigen. Und andererseits müssen wir noch genauer und noch konsequenter die wissenschaftlichen und technischen Details diskutieren, kompromisslos Schutzziele formulieren und ach so chic daherkommenden frischgebackenen grünen Glaubensbekenntnis der anderen als Bigotterie enttarnen, wenn sie nicht mit ernsthaften Konsequenzen verbunden sind. Darauf sollten wir jetzt all unsere Kräfte konzentrieren – das ist die politische Aufgabe, vor der wir stehen.