Datum: 18. Oktober 2010

Johannes Lichdi: „2013 ist Schluss mit der Braunkohle“

Herr Lichdi, im Sächsischen Landtag haben Sie kürzlich prophezeit, dass der Vattenfall-Konzern 2013 seine Braunkohlekraftwerke abschaltet. Wie kommen Sie darauf?
Braunkohlestrom verursacht einen 25-fach höheren Kohlendioxid- Ausstoß je erzeugter Kilowattstunde Strom als Wind- oder Sonnenstrom. 2013 startet der europaweite Emissionshandel. Vattenfall muss dann Verschmutzungszertifikate für seine Kohlendioxid-haltigen Abgase kaufen, die der Konzern bisher geschenkt erhielt. Bei einem geschätzten Preis von 25Euro je Tonne wird Vattenfall etwa 1,5 Milliarden Euro im Jahr bezahlen müssen. Zudem will die schwedische Politik, dass der Staatskonzern zu Hause in erneuerbare Energien investiert. Vattenfall wird sich aufgrund des Atomkonzepts der Bundesregierung auf den Weiterbetrieb seiner norddeutschen Uralt-Kernkraftwerke Krümmel und Brunsbüttel konzentrieren. Emissionshandel, neue Geschäftspolitik und die Verlängerung der Atomlaufzeiten stellt das Geschäftsmodell von Vattenfall in der Lausitz in Frage.
Sie glauben nicht an die Zukunftsfähigkeit der Braunkohle, wenn das Kohlendioxid abgetrennt und unterirdisch eingelagert wird?
Diese sogenannte CCS-Technologie ist eine völlig unwirtschaftliche Fata Morgana. Diese Technologie soll großtechnisch erst ab 2020 zur Verfügung stehen. Bund und Länder streiten sich seit Jahren um ein CCS-Gesetz. Kohlendioxid-Endlager stoßen auf massiven Widerstand der Bevölkerung. Die Braunkohleindustrie wird kein Interesse an der Anwendung haben, da sich der Strompreis aufgrund sinkenden Wirkungsgrads und mehr Braunkohlebedarf um etwa ein Drittel erhöhen würde.
Aber wo sollen ab 2013 die Menschen arbeiten, die jetzt noch Kohle fördern und verbrennen?
Im Lausitzer Braunkohlerevier arbeiten jetzt noch knapp 8000 Menschen in der Braunkohle. Die sächsische Staatsregierung hätte schon längst ein Konzept für den Strukturwandel weg von der Kohle auf den Weg bringen müssen. Stattdessen wiegt sie die Menschen in dem falschen Glauben, die Braunkohle könnte noch in Jahrzehnten Arbeitsplätze sichern. Solange der Lausitz das Image der Braunkohleregion anhängt, wird die Ansiedlung neuer Arbeitsplätze etwa bei den Erneuerbaren nicht gelingen.
Welche Energiequellen könnten so schnell die Braunkohle als Stromlieferanten ersetzen? Zurzeit kommt ja in Deutschland noch fast jede vierte Kilowattstunde aus Braunkohlekraftwerken.
Sachsen exportiert rund ein Drittel des hier erzeugten Stroms. Der Sachverständigenrat der Bundesregierung für Umweltfragen hat erst wieder im Mai nachgewiesen, dass das bisher geplante Auslaufen der Atomkraft- und Kohlekraftwerke eine ausreichende Brücke zu den erneuerbaren Energien darstellt. Wir haben 2008 mit unserer Grünen-Ausbaustudie nachgewiesen, dass Sachsen im Jahr 2020 drei Viertel seines Strombedarfs aus Wind, Sonne und Biomasse beziehen könnte. 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien ist keine technische Frage, sondern eine Frage des politischen Willens!
Macht sich Deutschland nicht erpressbar, wenn es einen der bislang wichtigsten heimischen Energieträger aus der Hand gibt und statt dessen Strom importiert?
Genau das plant jetzt die Bundesregierung mit ihrem sogenannten Energiekonzept. Es sieht nämlich vor, dass trotz der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke im Jahr 2050 ein Drittel des Stroms importiert werden muss. Wir meinen dagegen: Nur ein starker Ausbau der Nutzung erneuerbarer Energien kann echte Versorgungssicherheit gewährleisten.

Wie viele Menschen arbeiten in Sachsen schon in der Erneuerbare-Energien-Branche, wie viele könnten es noch werden?

In Sachsen arbeiten derzeit schon 10000 Menschen bei den erneuerbaren Energien. Bundesweit werden bis 2020 etwa 500000 Arbeitsplätze erwartet. In Sachsen wären bei einer entschlossenen Politik zugunsten der erneuerbaren Energien 25000Arbeitsplätze möglich.

Was raten Sie Vattenfall: Alle Tagebaue zuschütten und auf den Flächen Sonnenkollektoren aufbauen?

Zunächst sollte Vattenfall die Vertreibung der 1500 Anwohner am Rande des Tagebaus Nochten einstellen und die Erweiterung des Tagebaus aufgeben. Wenn der neue 675-Megawatt-Block im Kraftwerk Boxberg 2011 ans Netz geht, sollten weniger effiziente Blöcke abgeschaltet werden. Sicher eignen sich alte Tagebaue auch für Windparks. Sonnenstrom- und Sonnenwärmeanlagen sollten vorrangig auf oder an Gebäuden eingesetzt werden.

Was sollte mit den Kraftwerken passieren: abreißen, auf Biomasse umrüsten oder als technische Denkmale erhalten?

Ich habe große Zweifel, dass eine Umrüstung alter Braunkohlekraftwerke auf Gas oder Biomasse wirtschaftlich darstellbar ist. Über Abriss oder Erhalt einzelner Kraftwerke sollte in der Lausitz entschieden werden.

Gespräch: Tilo Berger
(Sächsische Zeitung, Lokalausgabe Zittau, 13. Oktober 2010)