Datum: 10. Juni 2016

Anhörung im Schulausschuss zu Inklusion zeigt, dass im Entwurf für das neue Schulgesetz noch erheblicher Änderungsbedarf besteht

(2016-184) In der heutigen Sachverständigenanhörung im Ausschuss für Schule und Sport im Sächsischen Landtag ging es um den Antrag der GRÜNEN-Fraktion zu "Inklusion an sächsischen Schulen". Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, resümiert:
"Die Sachverständigen haben aus unterschiedlichen Perspektiven die zentralen Handlungsfelder in puncto schulischer Inklusion aufgezeigt, die auch in unserem Antrag benannt sind. Dazu zählen Formulierungen im vorgelegten Schulgesetz-Entwurf ebenso wie untergesetzliche Regelungen, etwa zum Diagnostikverfahren, und praktische Fragen des gemeinsamen Unterrichts von Schülerinnen und Schülern mit und ohne Handicap."
Die GRÜNE-Landtagsfraktion hatte mit Prof. Dr. Anke Langner, Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Inklusive Bildung an der TU Dresden, eine ausgewiesene Expertin als Sachverständige benannt. Ihre zentrale Kritik lautete, dass gerade in Bezug auf Inklusion keinerlei Strategie im Entwurf für das neue Schulgesetz sei. Inklusion nach Haushaltslage, Inklusion nach Schulleiterermessen und eine Beibehaltung der Förderschulpflicht bezeichnete sie als ‚No-Go‘ aus Sicht der UN-Behindertenrechtskonvention. Inklusion müsse als Element der Schul- und Qualitätsentwicklung begriffen werden.
Ähnlich äußerte sich Prof. Dr. Dieter Katzenbach, Professor für Erziehungswissenschaft an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Inklusion sei ein integraler Bestandteil von Schulentwicklung. Dafür sei es unabdingbar, Lehrkräfte für den Umgang mit Heterogenität und zur Kooperation in multiprofessionellen Teams zu befähigen. Es müsse verhindert werden, dass sich die Lehrerinnen und Lehrer im Prozess der Inklusion allein gelassen fühlten. Hier fehle der sächsischen Staatsregierung eine Vision oder zumindest eine konkrete Zielvorgabe. Der gerade von der sächsischen CDU gern zitierte Leitgedanke ‚So viel gemeinsamer Unterricht wie möglich, so viel Unterricht an der Förderschule wie nötig‘ bezeichnete er gemessen an diesem Anspruch als ‚Leerformel‘.
Dass Inklusion konkreter Auftrag und nicht ferne Zielbeschreibung ist, war auch Anliegen von Ute Schnabel, Vorsitzende des Verbands Sonderpädagogik. Wie mehrere andere Sachverständige problematisierte sie das Verfahren zur Feststellung des sonderpädagogischen Förderbedarfs. Im aktuellen Schulgesetz-Entwurf ist vorgesehen, auf die Diagnostik bestimmter Förderbedarfe vor dem Schuleintritt zu verzichten. Dies sei nur dann tragbar, so Schnabel, wenn die grundlegende Ressourcenausstattung der Schulen stimme, was momentan aber keinesfalls gegeben sei. Das Problem des Personalmangels bekräftigten weitere Sachverständige. Sabine Mehnert vom Lehrerhauptpersonalrat aus Leipzig formulierte drastisch, sie könne sich des Eindrucks nicht erwehren, dass der Gestaltungsprozess Inklusion bewusst ‚an die Wand gefahren‘ werde.
Anke Spröh, stellvertretende Vorsitzende des Landeselternrates Sachsen, sprach für die organisierte Elternschaft im Freistaat. Die (Schul-)Politik der Segregation würde die Gestaltung von Inklusion verhindern. Dabei ginge es nicht um das Abwägen der besseren Argumente für oder gegen eine gemeinsame Beschulung, sondern um die verpflichtende Umsetzung eines Menschenrechts. Das Elternwahlrecht müsse bei der Wahl des Förderortes gestärkt werden.
"Für mich lautet das Fazit: Mit Blick auf das neue Schulgesetz bleibt noch einiges zu tun. Dazu zählt vor allem die Streichung von offensichtlich diskriminierenden Passagen. Die angenommene unzureichende Förderung von Kindern ohne sonderpädagogischen Förderbedarf darf nicht zur Verhinderung des gemeinsamen Unterrichts führen. Außerdem muss Inklusion als Regelfall betrachtet und die Schulen entsprechend ausgestattet werden. Ob ein Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf an einer Regelschule unterrichtet wird oder nicht, darf nicht im Ermessen der Schulleitung stehen. Aufgrund unzureichender Ressourcen wäre die Antwort in vielen Fällen klar – aber ganz sicher nicht aufgrund pädagogischer Abwägungen. Im Sinne der Bildungsgerechtigkeit müssen hier andere Wege gefunden werden, die das Zusammenwirken von staatlicher Schulaufsicht, Eltern und den am Diagnostikverfahren Beteiligten sichern", erklärt Petra Zais. » GRÜNER Antrag "Inklusion an sächsischen Schulen – Ressourcen effizient steuern, Unterstützung gewährleisten, Bildungschancen wahren" (Drs. 6/5046) » Stellungnahme der Staatsregierung zum Antrag