Datum: 03. März 2017

Das neue Schulgesetz: Viele neue Aufgaben, aber unzureichende Ressourcen

(2017-61) Petra Zais, bildungspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag, zur heutigen Anhörung zum ‚Gesetz zur Weiterentwicklung des Schulwesens im Freistaat Sachsen‘:
"Nach langen Beratungen und Verhandlungen war es überfällig, endlich einen Abschluss für die Schulgesetz-Novelle zu finden. Während der monatelangen Diskussionen in der Koalition wurden insbesondere durch die SPD große Erwartungen hinsichtlich substanzieller Verbesserungen produziert, denen der nun endverhandelte Entwurf jedoch nicht gerecht wird."

"Sachsen Schulen sind mit Herausforderungen konfrontiert, auf die auch das Schulgesetz Antworten finden muss. Migration und Inklusion, zunehmende Urbanisierung und die damit einhergehenden Probleme für Großstädte und ländliche Räume, Digitalisierung und neue Lernmittel, aber auch Lehrkräftemangel und gestiegene Erwartungen an politische und gesellschaftliche Bildung bestimmten die bildungspolitischen Diskussionen. Darüber hinaus brachten insbesondere Eltern immer wieder den Wunsch nach längerem gemeinsamen Lernen für ihre Kinder in die Debatte ein. Auf nur wenige dieser Themen gibt der nun vorliegende Koalitionsentwurf tatsächlich eine substanzielle Antwort."

"Das Positivste am Koalitionsentwurf ist die Tatsache, dass die gröbsten Schnitzer aus dem Entwurf des Kultusministeriums beseitigt wurden. Das betrifft die Herabsetzung der Mindestschülerzahl für Berufsschulen von 750 auf nun 550 und die künftig zentrale Steuerung der Berufsschulplanung durch das Kultusministerium. Allerdings blieb offen, wie diese Mindestschülerzahl ermittelt wurde. Bei der Entscheidung für einen Schulstandort sollte immer die konkrete Situation vor Ort betrachtet werden – eine generelle Festlegung auf Mindestschülerzahlen wurde von mehreren Sachverständigen abgelehnt."

"Auch die ursprünglich für Mittelzentren ausgeschlossene Einzügigkeit bei Oberschulen wurde gekippt. Nun soll die vorübergehende Einzügigkeit mit 20 Schülerinnen und Schüler pro Klasse in den Mittelzentren der Landkreise doch möglich werden. Bei diesen beiden Themen war der Druck der Landkreise und ihrer Vertretungen auf Veränderung zu Recht besonders groß – die nun vorgelegten Änderungen waren zu erwarten."

"Hinsichtlich der durch Rechtsprechung umzusetzenden Urteile wird beim Beispiel der Lernmittelfreiheit deutlich, dass die Koalition auch weiterhin nicht gewillt ist, für tatsächliche Klarheit im Gesetz zu sorgen. Wer den in Art. 102 der sächsischen Verfassung geregelten Anspruch auf Lernmittelfreiheit dem Verordnungsgeber (§ 38 Abs. 4 Satz 2 Ziff. 1 ) überlässt, riskiert bewusst neue Klagen."

"An vielen Stellen fehlt es dem Koalitionsentwurf an gesetzlicher Bestimmtheit. Bei den Themen Schulsozialarbeit und Inklusion werden die Schwachstellen besonders deutlich. Zu gut gemeinter Prosa gesellen sich viele Soll-Regelungen und einschränkende Bedingungen – das entspricht nicht der gesellschaftlichen Relevanz dieser Themen."

"Wir begrüßen, dass die Schulsozialarbeit als Teil der grundlegenden Versorgung jeder Schule ermöglicht wird. Allerdings lassen die Formulierungen im Gesetz viel Gestaltungsspielraum. Ein Anspruch auf Ressourcen der Schulsozialarbeit gibt es auch mit dem neuen Gesetz nicht. Je nach Kassenlage kann hier eine Entscheidung für oder gegen Schulsozialarbeit getroffen werden."

"Dass die Koalition bei der Durchsetzung des Rechts auf inklusive Beschulung nun komplett auf Freiwilligkeit setzt und die Entscheidung über die Einführung auf die Jahre 2023/2024 verschiebt, kommt einem Armutszeugnis gleich. Die aus dem mageren Konzept des Kultusministeriums stammende Idee der ‚Kooperationsverbünde‘ hat es immerhin in den Gesetzestext geschafft. Allerdings stellen sie lediglich eine weitere organisatorische Struktur dar, die zudem erst noch entwickelt werden muss. Schon heute fragen mich Lehrerkräfte, was denn damit gemeint sei. Wer Inklusion will, muss die gesetzlichen Regelungen für den Erfolg schaffen, dazu gehören ausreichend Fachpersonal und Schulhausbau ebenso wie ein niedrigerer Klassenteiler bei inklusiver Beschulung. Davon ist die Koalition weit entfernt."

"Was im Entwurf besonders negativ auffällt ist die Tatsache, dass insbesondere die Oberschulen viele zusätzliche Aufgaben bekommen sollen, ohne dass sie dafür auch die notwendigen Ressourcen zur Verfügung gestellt bekommen. Hier waren sich die meisten Sachverständigen in der Anhörung einig, dass es einer gesetzlichen Regelung der notwendigen Personal- und Sachkosten bedarf."

"Die Forderung nach längerem gemeinsamen Lernen und nach einer Öffnung des Schulgesetzes für die Schulart Gemeinschaftsschule als Regelschule findet sich im Koalitionsentwurf leider nicht wieder. Es bleibt absolut unverständlich, warum es in Sachsen keine Möglichkeit dafür geben soll. In der Anhörung wurden gute und erfolgreiche Beispiele vorgestellt. Viele Eltern, aber auch die IHK und die Handwerkskammer wollen, dass Gemeinschaftsschule gerade aus qualitativen Gründen zumindest ermöglicht wird. "

"Die CDU hält an ihrem Mantra ‚KEINE Gemeinschaftsschule‘ verbissen fest, selbst der Name ‚Gemeinschaftsschule‘ darf im Schulgesetz nicht vorkommen. Das ‚Chemnitzer Schulmodell‘ und die ‚Nachbarschaftsschule Leipzig‘ sollen als ‚Schulen besonderer Art‘ geführt werden, sind de facto aber Gemeinschaftsschulen. Das ist absurd und zeigt die verbohrte Haltung der CDU. Schulpolitik in Sachsen gründet weiter mehr auf Ideologie als auf Pädagogik."