Datum: 26. Januar 2017

Suizide in Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften: Innenminister schätzt die Lage der Prävention offensichtlich falsch ein

(2016-31) Petra Zais, migrationspolitische Sprecherin der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN im Sächsischen Landtag ist bestürzt über die Antwort des Innenministers Markus Ulbig (CDU) zu Suiziden und Suizidversuchen von geflüchteten Menschen in Erstaufnahmeeinrichtungen des Freistaates und in kommunalen Gemeinschaftsunterkünften:

"Sieben Suizide von Asylsuchenden im Jahr 2016 sind eine traurige Bilanz. Nach Aussage des Ministers sind ihm für die Jahre 2014 und 2015 keine Suizide bekannt."

"Offenbar funktioniert die soziale Betreuung noch nicht überall so, wie es für den zu unterstützenden Personenkreis angemessen wäre: geflüchtete Menschen haben nicht nur in ihrer Heimat traumatisierende Erfahrungen gemacht. Auch die Flucht auf gefährlichen Routen, wie über das Mittelmeer, belasten die Psyche stark. Dazu kommen große Verunsicherung durch den Verlust von Angehörigen, den vagen Ausgang des Asylverfahrens und die Angst vor Abschiebung. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung ist das Suizidrisiko bei geflüchteten Menschen weit höher."

"Wenn dann der Innenminister meine Frage nach Maßnahmen der Suizidprävention damit beantwortet, dass die in den kommunalen Gemeinschaftsunterkünften eingesetzten Heimleiter und Sozialarbeiter für diese Thematik sensibilisiert seien und er damit die erforderliche Hilfe als gewährleistet erachtet, schätzt er die Lage offensichtlich falsch ein. Keineswegs ist sichergestellt, dass geflüchtete Menschen in allen Regionen Sachsens gleichermaßen Unterstützung durch Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter erhalten. Die Identifizierung von besonders schutzbedürftigen Menschen ist schon in den Erstaufnahmeeinrichtungen nicht gewährleistet. Ich erkenne darin eine erhebliche Betreuungslücke, die es zu schließen gilt."

"Solange es der Minister unterlässt, Clearingverfahren in den Erstaufnahmeeinrichtungen und Betreuungsstandards verbindlich im Flüchtlingsaufnahmegesetz zu regeln, ist es mehr oder weniger dem Zufall überlassen, ob und wie traumatisierte geflüchtete Menschen vor Ort unterstützt werden. Damit nimmt er fahrlässig in Kauf, dass suizidgefährdete Menschen unerkannt und ohne adäquate Hilfe bleiben."

Hintergrund:
Die sechs Männer, die sich das Leben nahmen, kamen aus Kosovo, Myanmar, Libyen, Eritrea, Afghanistan und Syrien. Eine Frau stammte aus Albanien. Davon waren drei Personen in Gemeinschaftsunterkünften und vier Personen in Wohnungen untergebracht.

» Kleine Anfrage ‚Suizide und Suizidversuche in Erstaufnahmeeinrichtungen und in Gemeinschaftsunterkünften‘ » Zum Suizidrisiko geflüchteter Menschen am 7. September 2015 im Ärzteblatt