Redebeitrag des Abgeordneten Thomas Löser (BÜNDNISGRÜNE) zur Großen Anfrage der Fraktion DIE LINKE „Der Freistaat Sachsen: 30 Jahre Land der Bundesrepublik Deutschland“ und die Antwort der Staatsregierung Drs 7/3872
26. Sitzung des 7. Sächsischen Landtags, Donnerstag, 25.03.2020, TOP 4
– Es gilt das gesprochene Wort –
Sehr geehrter Herr Präsident, liebe Kolleginnen und Kollegen,
167 Fragen, darunter viele interessante Fragen – Gesundheit, Sportstätten, Wohnen –, aber auch die Frage: „Welche NVA-Liegenschaften und Liegenschaften der Sowjetischen Streitkräfte in Deutschland gab es zum Stichtag 3.Oktober auf dem Gebiet des heutigen Freistaates Sachsen.?“
Was machen sie eigentlich mit der Antwort auf diese Frage?
Und das führt uns gleich weiter zu der Frage, warum führen wir heute, im Jahr 2021, also im 31. Jahr des Freistaates Sachsen, eine Debatte mit dem Titel „Der Freistaat Sachsen: 30 Jahre Land der Bundesrepublik Deutschland“?
Wir führen diese Ost-West-Debatte, weil die Große Anfrage der LINKEN letztlich nur im Titel nach Sachsen als Land der Bundesrepublik fragt. Die Friedliche Revolution 1989, die Überwindung der SED-Diktatur und die Konstituierung als Bundesland im Zuge der deutschen Wiedervereinigung waren aber die Voraussetzungen dafür, dass der Freistaat Sachsen wieder als Gemeinwesen mit seinen besonderen Eigenheiten Realität wurde.
Die Fragen ihrer Großen Anfrage beziehen sich dann aber immer wieder auf Sachsen und nicht auf Sachsen als Bundesland der Bundesrepublik Deutschland. Das wäre in der Tat eine interessante Debatte gewesen.
Man hätte über die Stellung Sachsens im föderalen Gefüge der Bundesrepublik diskutieren können wie auch über seine guten und weniger guten Besonderheiten. Wir hätten auch darüber reden können, wie wir uns Sachsen in 30 Jahren vorstellen – und da hätten wir BÜNDNISGRÜNE genügend Stoff bis heute Abend.
Aber danach hat die LINKE nicht gefragt, und darum geht es ihr auch nicht im Entschließungsantrag.
Am Ende steht hinter dieser Debatte doch die Frage: „Wie halten wir es politisch mit den letzten 30 Jahren in Sachsen.“ Und da hätten wir BÜNDNISGRÜNE auch viel zu kritisieren.
Und, ich bin auch weit entfernt davon, die Geschichte Sachsens nach der „Wende“ einfach nur als eine Erfolgsgeschichte erzählen zu wollen.
Die Menschen, die in der Endphase der DDR als Mitglieder von Bündnis 90 oder der Grünen-Partei aktiv waren, hatten zum Teil auch andere Vorstellungen als die schnelle Wiedervereinigung.
Sie haben viele illusionäre Erwartungen nicht geteilt und standen nicht zuletzt aus ökologischen Gründen einer einseitigen Orientierung auf Konsum und Wirtschaftswachstum skeptisch gegenüber.
Aber diese Positionen waren damals nicht mehrheitsfähig; und es nützt angesichts der realen historischen Entwicklung auch nichts, so zu tun, als ob man es besser gewusst hätte.
Die Menschen in der DDR haben vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen den Weg der schnellen Wiedervereinigung und der D-Mark gewählt. Und denjenigen, die sie von etwas anderem überzeugen wollten, ist dies nicht gelungen.
Nun zu ihrem Thema Umgang mit der Treuhand im Entschließungsantrag.
Die Aufarbeitung der Ungerechtigkeiten und Verletzungen der Nachwendezeit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, bei der wir politische Vereinfachungen vermeiden sollten.
Die in Wahrheit komplizierte Rolle von Akteurinnen wie der Treuhand muss Gegenstand differenzierter historischer Forschung sein – und diese findet ja auch statt. Sie kann weder durch eine beiläufige Frage nach der Beurteilung durch die Staatsregierung noch durch parlamentarische Gremien wie Untersuchungsausschüsse in der notwendigen Differenziertheit geklärt werden. Und schon gar nicht durch eine „Kommission zur Aufarbeitung des Treuhand-Unrechts“, bei der der Name schon die geschichtspolitische Richtung vorgibt!
Ich hätte gern mit Ihnen nach vorn diskutiert. Wie soll Sachsen in 30 Jahren aussehen? Ich hätte gern darüber gesprochen, dass wir dann die Energiewende geschafft haben – Stichwort Sachsen 100 Prozent erneuerbar. Dass wir dann nicht mehr pro Tag zwei Hektar Boden versiegeln, dass wir nicht mehr ein Drittel unserer Lebensmittel wegwerfen, dass unsere Wälder wieder gesunde Mischwälder sind, dass wir eine gestärkte demokratische Kultur und eine politische Beteiligungskultur haben, die dazu führt, dass nicht 30 Prozent der Menschen in Sachsen offen oder verdeckt mit autoritären Strukturen liebäugeln, sondern die Demokratie und die offene Gesellschaft als beste aller Regierungsformen innerlich befürworten. Das wäre doch eine schöne Debatte gewesen.
Schließen möchte ich mit Dirk Neubauer, SPD-Bürgermeister von Augustusburg:
30 Jahre unglaublicher Entwicklung liegen hinter uns. Harte Jahre. Schöne Jahre. Bittere Jahre. In denen wir gelacht, gemacht, getanzt und auch geweint haben. Und auch vieles geeint haben. Leben eben. Und statt nach vorn zu gehen, herauszufordern und zu tun, was zu tun ist, mäandert eine merkwürdige Mischung aus Wut und Verschwörung übers Land. Die da. Die da oben. Die da drüben. Die Erkenntnis ist ebenso bitter wie sie süß ist: Wir sind das Problem. Aber wir sind auch die Lösung. Niemand sonst! Wir sollten nicht noch einmal 30 Jahre brauchen, dies zu erkennen.
Vielen Dank.